Zwischenruf In Frankreichs Hand

"Geheimplan" für den Irak? Das war nur ein Berliner Luftballon. Doch Deutsche und Franzosen können Amerikas Vormacht brechen - wenn Paris standhaft bleibt. Aus stern Nr. 8/2003

Sie bringen die Weltordnung ins Wanken. Amateure, Dilettanten zuweilen, die ihre Kugeln übers diplomatische Parkett donnern wie Bowlingspieler. Um dann staunend zu schauen, welche Kegel sie umgerissen haben. Aber - und dies ist der schreiende Widerspruch dieser Tage - sie bewegen die Welt. Und sie könnten am Ende gar die amerikanische Ordnung zum Einsturz bringen - um das geschmähte "alte Europa" als globale Großmacht in die Geschichte zurückzuführen. Der Preis dafür aber ist schwindelerregend hoch: die transatlantische Achse zerbrochen, die Nato gelähmt, Europa heillos zerstritten.

Historisch gesehen könnten wir am Beginn einer jener Übergangsphasen stehen, in denen die Scherben einer alten Ordnung zu einer neuen zusammengefügt werden müssen - Phasen von hektischer Unsicherheit und existenziellem Risiko. Panik und Kreativität, taktische Kurzsichtigkeit und strategischer Plan fügen sich zu einem hochbrisanten Gemisch.

Hypermacht USA

Das war so nach beiden Weltkriegen, das erleben wir nun wieder. Mit mehr als einem Jahrzehnt Verspätung entscheidet sich, wer den Gang der Welt nach dem Untergang der Sowjetunion bestimmt: die Hypermacht USA mit ihrem alten Netzwerk von Verbündeten, Vasallen und vorerst noch demütigen Rivalen - Russland entkräftet, China noch nicht stark genug. Oder vier annähernd gleich starke Mächte, die wechselnde Allianzen schließen: Amerikaner, Russen, Chinesen - und Europäer.

Europa betritt die Weltbühne torkelnd und tief gespalten. Gestoßen von den Deutschen, deren verzweifelt ums Überleben kämpfende Regierung mitunter von allen guten Geistern, jedenfalls von allen Loyalitäten verlassen scheint. Sie lebt heute allein von Frankreichs Gnaden - und macht es selbst den Franzosen schwer, ihren alten gaullistischen Traum von europäischer Größe neu zu träumen und sich nicht erschrocken von diesem unkalkulierbaren Partner abzuwenden. Denn der "deutsch-französische Geheimplan" eines Blauhelm-Protektorats über den Irak, in Berlin aus blanker innenpolitischer Not in die Welt geblasen, erwies sich als monströse diplomatische Fehlgeburt.

Weder handelte es sich um einen ausgereiften Plan, noch war er wirklich deutsch-französisch; und schon gar nicht sah er die hochriskante Entsendung von UN-Blauhelmen vor. Die Idee war eine ganz und gar französische - und viel schlichtere. Als US-Außenminister Colin Powell vergangene Woche dem Weltsicherheitsrat seine angeblichen Beweise gegen den Irak präsentiert hatte, schlug sein französischer Kollege umgehend eine Verstärkung des Kontrollsystems der Waffeninspektoren vor, um Zeit zu gewinnen, einen Krieg abzuwenden. Joschka Fischer pries dies in New York als "very interesting idea".

Die UN wären den USA entrissen, Berlin der Isolation entronnen

Keine Rede von Blauhelmen, schon gar nicht von deutschen - allenfalls ein ferner, vager Gedanke in einigen Köpfen. Im Kanzleramt witterte man die Chance zu spektakulärer Abkehr von militärischer Enthaltsamkeit - und blies den Ballon im "Spiegel" bis zum Platzen auf. Fischer wurde kalt erwischt; wie schon bei der Goslarer Wahlkampfrede gegen ein deutsches Ja zum Krieg hatte ihn Gerhard Schröder auf internationalem Parkett unmöglich gemacht. Der Koch blamiert den zürnenden Kellner - und muss nun selbst behutsam zurückstecken, um ihn nicht zu verlieren.

Ein mächtiges Bündnis

Dennoch: Der "deutsch-französische Plan" ist in der Welt - und verändert sie. Russland hat er schon gewonnen. Deutsche, Franzosen, Russen und Chinesen - die letzten drei als Atom- und Veto-Mächte im Sicherheitsrat - sind ein mächtiges Bündnis, das eine Mehrheit für fortgesetzte Waffeninspektionen organisieren kann. Wie wollen Amerikaner und Briten den Irak bombardieren, wenn dort UN-Inspektoren unterwegs sind? Wie kann der schlingernde Tony Blair dann George W. Bush die Treue halten?

Die UN wären amerikanischer Dominanz entrissen, Berlin der Isolation entronnen. Doch zurück blieben Spaltung, Erbitterung und Hass. Der außenpolitische Konsens in Deutschland: zerstört. Rot-Grün spielt fortan die europäische, die Union die amerikanische Karte (mit nicht minder hohem Risiko). Das deutsch-amerikanische Verhältnis: ramponiert. Europa: trotz der Klammer einer gemeinsamen Währung geteilt. Das alte Europa wagt den Weg zur neuen Welt, das neue Europa - voller Furcht vor deutsch-französischer Hegemonie - verteidigt die alte. Und Rot-Grün: ganz in der Hand Frankreichs. Schwenken die Franzosen auf Kriegskurs, sind Schröder und Fischer erledigt. Wie die neue Welt.

print
Hans-Ulrich Jörges