"Wer von uns etwas will, muss die normalen Umgangsformen beachten", legt Oskar Lafontaine vor. Soll heißen: Wer bei der Präsidentenwahl 2009 auf die etwa 90 Stimmen der Linken setzt, muss sich mit ihr in Verbindung setzen und eine Absprache treffen. "Ich würde immer dagegen protestieren, dass irgendetwas mit denen abgemacht wird", setzt Gesine Schwan dagegen. Soll heißen: keine Koalition mit der Linken in der Bundesversammlung.
Verhakt, verbaut, verloren - schon wenige Tage nach Schwans Nominierung? Blieben SPD und Linke bei diesen Positionen, ginge nichts zusammen. Einer muss sich bewegen, sonst könnte das Projekt Schwan gescheitert sein, bevor es richtig begonnen hat. Und in der stärkeren Position ist nun mal die Linke, denn die SPD braucht sie.
Scheut Beck den Kontakt mit Lafontaine, soll er Bisky anrufen.
Es wäre der erste offizielle Kontakt, die formelle Anerkennung der Linken durch den SPD-Chef
Was Lafontaine unter "normalen Umgangsformen" versteht, erschließt sich, wenn man in der Führung der Linkspartei nachhört. Das Triumvirat an der Parteispitze - Oskar Lafontaine, Lothar Bisky und Gregor Gysi - hat sich abgestimmt, nicht sofort Hurra zu rufen, sondern die SPD kommen zu lassen. Schwan selbst wird ohnehin auf die Linke zugehen, das hat man schon in Rechnung gestellt. Auch ein Gespräch der Parteimanager Hubertus Heil und Dietmar Bartsch würde der linken Etikette nicht genügen.
Ein Telefonat würde genügen
Kurt Beck, der Parteichef selbst, muss auf einen der drei Spitzen-Linken zugehen und um deren Unterstützung bitten. Scheut er den Kontakt mit Lafontaine, kann er Bisky oder Gysi ansprechen. Ein Telefonat würde genügen. Daran, so wird beteuert, führt kein Weg vorbei. Exakt so, wie Beck ja auch auf die Spitze der Grünen zugehen müsse.
Das ist das Stöckchen der Linken, über das Beck springen soll. Es wäre der erste offizielle Kontakt zwischen den rivalisierenden Parteiführungen, die formelle Anerkennung der Linken durch den SPD-Chef, das Ende seines verächtlichen Spruchs von der "sogenannten Linken" - und der Beginn vom Wandel durch Annäherung. "Warum soll Beck nicht Bisky anrufen?", fragt man in der Führung der Linken. "Es muss protokollarisch angemessen sein." Und: Gesine Schwan habe ihre flinke Zunge zu hüten, dürfe nicht weiter so daherplappern, die Linke in die Ecke der Regierungsunfähigkeit stellen und Lafontaine als Demagogen schmähen. Denn: Gegen ihn gibt es keine Mehrheit in der Bundesversammlung.

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Die SPD-Führung hat sich in eine Falle manövriert. Von Angela Merkel heißt es, sie denke politische Prozesse vom Ende her. Kurt Beck aber hat mit Schwans Nominierung einen Prozess in Gang gesetzt, dessen Ende er offenbar nicht bedacht hat. Die Konfrontation mit Horst Köhler, dem überaus populären Amtsinhaber, hat seine führungslos taumelnde Partei so dramatisch Ansehen gekostet, dass die Blütenträume von der Mobilisierung enttäuschter SPD-Anhänger schon zerplatzt scheinen. Vor der Bundestagswahl rechts zu blinken, für eine Ampelkoalition mit FDP und Grünen, bei der Präsidentenwahl aber links zu fahren, dem folgt nur noch ein unverwüstlicher Bodensatz der Wähler.
SPD-Dissidenten erwägen, heimlich für Köhler zu votieren
Beck befindet sich in der Hand der Linken, in doppelter Hinsicht. Andrea Nahles, die Sprecherin der SPD-Linken, ist innerparteilich zur Patronin des verzweifelten Parteichefs geworden. Und bei der Präsidentenwahl hat er sich in die Hand Lafontaines begeben, sofern er für seine Kandidatin eine Mehrheit organisieren und nicht vier Monate vor der Bundestagswahl spektakulär scheitern möchte. Zumal SPD-Dissidenten schon heute darüber nachdenken, heimlich für Köhler zu votieren.
Ein neuerlicher Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegenüber der Linken bietet keinen Ausweg aus dem Dilemma, sondern verstärkt es nur. Franz Müntefering, der ihn fordert, spielt Revanche mit Beck, der ihn ins Aus gedrängt hatte. Allein die Forderung heißt nichts anderes, als dass Becks Beteuerungen gegen Rot-Rot-Grün nicht zu glauben ist. Beschließt die SPD nun, dass heute ein Bündnis mit der Linken nicht infrage kommt, lässt das die Antwort auf das Morgen offen. Beschließt sie aber eine dauerhafte Absage, ist der Bruch gleich eingebaut - so wie 1994 bei der "Dresdner Erklärung" gegen Bündnisse mit der PDS auf Bundes- und Landesebene. Im selben Jahr hatte sich Reinhard Höppner in Magdeburg mit den Stimmen der PDS zum Ministerpräsidenten wählen lassen, später folgten Koalitionen in Schwerin und Berlin.
Beck hat nun auch im Westen und - durch Schwans Nominierung - sogar im Bund den Weg zur Zusammenarbeit mit der Linken geöffnet. Auf halbem Weg stehen zu bleiben und taktisch zu rudern ergibt keinen Sinn. Will er nicht vollends scheitern, muss er vorangehen und die Sache noch vor der Bundestagswahl geradeziehen. Anruf genügt.