Wenn die Lichter verlöschen auf der politischen Bühne, wenn die Darsteller verschwinden und geistige Führung im Halbdunkel versinkt, wenn das Publikum wegzudämmern beginnt, dann kriechen Gespenster auf die Bretter und gelegentlich dringt irres Gelächter herunter zu den Verstörten, Entsetzten. In der Union sind die Wertkonservativen und die Radikalreformer, die vorwärtsdrängenden Marktwirtschaftler, verstummt. Friedrich Merz, ihr Herold, tritt ab. Die Sozialdemokratie löst sich auf, von unten her. In Hamburg und Wiesbaden sind die Lichter schon erloschen. Und die Führung ertrinkt in der Großen Koalition.
Die neue Linke, euphorisch gegründet von der alten des Ostens und der verzweifelten des Westens, ist mit sich selbst beschäftigt. Man fusioniert. Man hat nichts zu sagen. Die Grünen saugen, ausgezehrt, an der beglückenden Katastrophe, der des Klimas. Und die Liberalen sind zur Ein-Mann-Partei herabgesunken. Ist der in Form, Guido Westerwelle, einziger Oppositionsführer im Bundestag, trägt ihn Jubel. Stolpert er in den Orchestergraben, ist die liberale Idee ohne Stimme. Gallerte ist der zähe Stoff, den die Große Koalition absondert. Alle waten darin. Gemeinsam. Schmatzenden Schrittes.
Und es ziehen Gespenster auf. In diesen Tagen sind einige auf die Bühne gekrochen. Unter irrem Gelächter. Es ist ihr eigenes. Weil sie ihr Glück nicht fassen können. Es sind Gespenster des Reaktionären, Rückwärtsgewandten, Unaufgeklärten. Das Millionenspektakel um die Flucht der Deutschen aus dem Osten, das Gezeter um Kinderbetreuung und Frauen als Mütter, die Narrendebatte um den Antikapitalismus des Ex-Terroristen Christian Klar - allesamt sind sie reaktionäre Kulturgespenster. Allesamt vernebeln sie den Verstand. Allesamt suchen sie die Gesellschaft zurückzuzerren in überwunden geglaubtes Denken. Wie kann eine schmerzhaft geschichtsbewusst gewordene Nation den süßlichen Kitsch um eine ostpreußische Gräfin und ihren stutigen Dünkel als Parabel nehmen für Flucht und Vertreibung von Millionen? Wie können sich Millionen davon überwältigen lassen, dass sie selbst, diese Millionen, diese einfachen Menschen, nur als anonymes Gewimmel um die edlen Rösser edlen Landadels herumwuseln?
"Meine Leute", nennt die Hauptfigur besitzergreifend und herrschaftlich dirigierend jenes dumpfe, vertrauensselige Volk, das leibeigen unterwürfig die Flasche hebt "auf unsere Gräfin, die alles fest zusammenhält". Die panische Flucht der Dörfer, Weiler und Güter vor der heranrückenden Roten Armee wird zum geordneten Exodus unter der mosesgleichen Führung antinazistischen, selbstlosen Adels. Welch reaktionäre, honigtriefende, klitternde Geschichtslüge! Das hat Preußen, der verkannte, über weite Strecken seiner Geschichte mitreißend liberale und fortschrittliche Staat, nicht verdient. Das haben auch die Vertriebenen nicht verdient.
Gespenster sind auf die Bühne gekrochen, unter irrem Gelächter. Es sind Geister des Rückwärtsgewandten, Unaufgeklärten. Sie können ihr Glück selbst nicht fassen
Wie kann ein Bischof im 21. Jahrhundert jene jungen Frauen als "Gebärmaschinen" schmähen, die Kinder und Beruf kompatibel machen möchten, ohne dass ihm das ganze Land und seine eigene Kirche die Soutane zerknittern? Wie kann dieser allerkatholischste Walter Mixa nach einem vorgetäuschten, taktischen Rückzieher, in der Sache stählern reaktionär, ein national beachtetes "Christiansen"-Forum als Sieger verlassen, eine unternehmerisch engagierte Mutter hingegen kleinlaut zu Selbstvorwürfen gedrängt? So schroff haben sich die Maßstäbe verschoben, dass die aufgeklärte Konservative Ursula von der Leyen, Ministerin und Mutter von sieben Kindern, unversehens wie eine Linke erscheint. Auf der heruntergedimmten Bühne jedenfalls leuchtet sie als Fortschrittlichste weit und breit - während Oskar Lafontaines Ehefrau dem Bischof applaudiert.
Wie kann schließlich die gesamte politische Klasse so gründlich jenes Zeichen verkennen oder verdrehen, das der um Begnadigung bittende Ex-Terrorist Christian Klar mit seinem Grußwort an eine Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz gesetzt hat? Eine Konferenz, die von der Gewerkschaft Verdi und den Jugendverbänden von DGB und IG Metall unterstützt wurde. Die RAF hat nicht diskutiert, sie hat liquidiert. Und sie hat gerade jenes "revisionistische" Milieu verachtet, an das Klar nun politisch anzuknüpfen versucht. Sein Grußwort ist nicht Ausweis fortdauernder Gefährlichkeit, sondern seiner beginnenden Resozialisierung - in der legalen Linken! Das Grundgesetz schützt auch Antikapitalismus, unter seinem weiten Dach darf man den Kapitalismus sogar zur Hölle wünschen. Es wäre Auftrag des organisierten Liberalismus, diesen Freiraum zu verteidigen - doch Guido Westerwelle in seinem zubeißenden Anti-68er-Furor hat ihn freiwillig geräumt für nachdrängende Reaktionäre. Übrigens: Von Rosa Luxemburg, deren Namen die angeblich staatsfeindliche Konferenz trug, stammt der ewig gültige Auftrag: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenken.