Zwischenruf Unser Schutz für Israel

Deutsche und französische Soldaten sollten gemeinsam einen Waffenstillstand im Nahen Osten überwachen - und Europa politisch in die Weltpolitik einbringen. Aus stern Nr. 33/2006

Wir sollten neu denken, anders als es sechs Jahrzehnte lang selbstverständlich und geboten erschien. Nicht reflexhaft abwehrend und negativ in unserer jüngeren Geschichte gefangen, wie es Guido Westerwelle getan hat, als er es "schlechterdings unvorstellbar" nannte, bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten einzusetzen. Respektabel, ehrenwert - aber rückwärtsgewandt und nur scheinbar zwingend. Die Frage verlangt keine speziell deutsche, sondern eine europäische Antwort. Und die verändert alles. Auch die deutsche Perspektive. Deutschland und Frankreich gemeinsam sollten Truppen in das israelisch-libanesische Grenzgebiet entsenden, um einen Waffenstillstand zu garantieren. Das ist nicht nur ein Gebot strategischer Klugheit, es wäre auch ein Quantensprung für die europäische Politik. Europa würde, weil es müsste, als gestaltende Kraft den schwierigsten Schauplatz der Weltpolitik betreten, den Nahen Osten. Mit tiefgreifenden Folgen für den Nahen Osten wie für die Weltpolitik. Vor allem aber für Europa selbst.

Denn die USA sind überfordert, politisch wie militärisch. In der arabischen Welt gelten sie spätestens seit dem Irak-Feldzug nicht mehr als ehrlicher Makler, der einen gerechten Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn vermitteln oder gar erzwingen könnte. Das Amerika des George W. Bush, verstrickt in einen heillosen Weltkrieg gegen den Terror, wird als Inspirator israelischer Härte, als engster Alliierter der Israelis gesehen, der die arabisch-islamische Welt umstürzen möchte, statt deren Interessen mäßigend und klug in Rechnung zu stellen. Eine amerikanische Truppe im Süden des Libanon liefe daher Gefahr, stellvertretend für die Israelis zum Ziel terroristischer Angriffe zu werden.

Ganz anders die Ausgangslage für Deutschland und Frankreich. Beide waren und sind nicht am Irak-Krieg beteiligt, beide sind glaubwürdig und respektiert in der arabischen Welt, obwohl, ja weil sie das Existenzrecht Israels unmissverständlich vertreten - wie auch das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Frankreich ist historisch eine Art Schutzmacht für den Libanon, Deutschland ist aus seinen besonderen historischen Gründen die engagierteste Schutzmacht für Israel. Denn nichts ist glaubwürdiger als die moralische Verpflichtung aus dem Judenmord des Nationalsozialismus. Deutschland steht für die Existenz Israels, die aktuell so bedroht ist - aus dem Iran -, wie seit langem nicht mehr. Und gerade deshalb kann das deutsche Eintreten für einen Ausgleich mit den Palästinensern Wirkung entfalten. Das sieht auch die israelische Führung so, deshalb wünscht sie ausdrücklich deutsche Truppen im Süden des Libanon. Wie könnte die historische deutsche Schuld produktiver, zukunftsgewandter an- und aufgenommen werden als durch die Rolle einer entschlossenen Garantiemacht für den Staat der Juden? Mit einem Mandat der Vereinten Nationen, eingebettet in die Politik des vereinten Europa.

Eine deutsch-französische Schutztruppe, allein oder als Zentrum einer multinationalen Interventionsmacht, würde eine solche außenpolitische Strategie der EU unumgänglich machen. Der militärischen Präsenz hätte eine aktive politische Rolle Europas, verkörpert und vorangetragen von Franzosen und Deutschen, bei der Vermittlung eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten zu folgen. Europa müsste sich zur weltpolitischen Macht wandeln, erzwungen von seinen Kern-Nationen. Ohne Europa, das zeigt sich immer klarer, steht Amerika auf verlorenem Posten, auch gegenüber dem Iran. Eine deutsch-französische Nahost-Truppe widerspräche der islamistischen Propagandathese von der amerikanisch-zionistischen Verschwörung. Zudem bauen Deutsche und Franzosen belastbare Brücken zu Russen und Chinesen.

Wie könnte die deutsche Schuld produktiver aufgenommen werden als durch die Rolle einer Garantiemacht für den Staat der Juden?

Deutschland, das die Zeit für gekommen hält, einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat zu beanspruchen, kann nicht gleichzeitig argumentieren, ausgerechnet im Nahen Osten, dem weltpolitischen Konfliktherd, sei es auf Dauer nicht handlungs- und verantwortungsfähig. Westerwelle wendet dagegen ein, dass ein bewaffneter Zusammenstoß zwischen deutschen und israelischen Soldaten atemberaubende politische Folgen hätte. Warum aber sollten deutsche Soldaten, die Israel schützen, von israelischen Soldaten angegriffen werden? Und warum sollte, bei dieser Lage, ein Unglück oder Missverständnis unüberschaubare politische Folgen haben? Wer so argumentiert, propagiert eine Ohne-mich-Politik. Für ewig.

Bleibt die Frage nach den globalen Fähigkeiten der Bundeswehr. Der Schutz Israels und die Befriedung des Balkan haben Priorität für die deutsche Politik. Das bedeutet Konzentration der Kräfte, Rückzug aus Afghanistan. Aus historischen und politischen Gründen sollten dort langfristig andere die Last tragen - Briten und Amerikaner.

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Hans-Ulrich Jörges