Eigentlich rollt zu dieser Jahreszeit etwas heran, aus Moskau. Hunderte "harte" Kerle in Lederkutten auf mindestens doppelt so vielen Reifen brechen traditionell Ende April / Anfang Mai von der russischen Hauptstadt in Richtung Südwesten auf. Ziel der Rally mit dem bedeutungsschwangeren Namen "Routen des Siegs" ist Berlin, wo die Biker am 9. des Monats den Sieg der sowjetischen Armee über Nazideutschland feiern.

Es geht um die Nachtwölfe, auf russisch Notschnyje Wolki. Die Mitglieder des Motorradklubs stehen im Ruf allzu nationalistische Ansichten zu vertreten, ihr Anführer Alexander Saldostanow, Spitzname "der Chirurg", gilt als enger Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin.
Auch heute, zum 78. Jahrestag des Weltkriegsendes, sollten die Rocker ihre Wallfahrt in Berlin beenden – so zumindest der Plan. Denn, obwohl nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP eine Kolonne aus Hunderten Bikern vor mehr als einer Woche im Moskau startete, war fraglich, ob sie ihre Reise in Berlin beenden würden.
Deutsches Nachtwölfe-Chapter offenbar erst im März gegründet
Bevor die Biker in Deutschland einrollen, müssen sie Polen durchqueren – was in den vergangenen Jahren immer wieder für reichlich Diskussionen im Nachbarland sorgte. In diesem Jahr dürfte der Weg für die Rocker noch deutlich steiniger sein. In Polen wandte sich Klubchef Saldostanow mit einer Videobotschaft an die polnischen Behörden, nachdem die den Bikern offenbar die Weiterreise verwehrt hatten. Stattdessen würde der Klub Hilfsgüter nach Mariupol liefern. Doch man werde in Berlin sein, daran könne sie nichts und niemand hindern, verspricht der bullige 60-Jährige, während er auf seinem knatternden Zweirad sitzt.
Die EU hatte den Klub im Sommer 2022 auf die Sanktionsliste gesetzt. Hintergrund ist – neben der Nähe ihres Anführers zu Putin – ihre aktive Rolle im Ukraine-Konflikt. Ob die Moskauer Nachtwölfe in Berlin aufschlagen, ist folglich fraglich. Dennoch war für Dienstag eine Veranstaltung unter dem Namen "Gedenktag der Nachtwölfe Germany MC" angemeldet, erklärt eine Sprecherin der Berliner Polizei gegenüber dem stern. Eine Gruppe "im mittleren zweistelligen Bereich" sei am Dienstagmittag am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow angekommen und habe Kränze niedergelegt.

Aus Tschechien angereiste Sympathisanten der Rockergruppe mussten ihre Fahnen abgeben, wie ein Polizeisprecher gegenüber der Nachrichtenagentur DPA sagte. Die Biker hätten "aus verkehrstechnischen Gründen" nicht in geschlossener Formation anfahren dürfen. Ob auch Nachtwölfe darunter waren, die kürzlich von Moskau aus aufgebrochen waren, sei nicht bekannt.
Wahrscheinlich ist aber, dass es sich auch um Mitglieder eines deuten Ablegers handelte, die eigenen Angaben zufolge nach Berlin unterwegs waren. Dieses "Chapter" existiert offenbar erst seit Mitte März. Auf Facebook betreibt der Ableger eine entsprechende Fanseite, über die die "Nachtwölfe Germany MC", ihren knapp 700 "Freunden" ein frohes Osterfest wünschen, über Ausflüge berichten (unter anderem ins KZ Bergen Belsen) und vor allem über eine Tour nach Berlin zum 9. Mai informieren. Am Sonntag startete den Fotos nach zu urteilen eine Gruppe von rund 50 Bikern. Ein Besuch des KZ Buchenwald bei Weimar sei den Kuttenträgern verwehrt worden. Auch der Besuch der Gedenkstätte des KZ Sachsenhauses fiel angeblich ins Wasser – die Rocker hätten ihre Kutten bedecken und auf Flaggen und Symbole verzichten müssen. Für die deutsch-russischen Biker sollte es daraufhin weiter nach Berlin gehen.
Die Nachtwölfe – angeführt vom Putin-Vertrauten Alexander Saldostanow
Der Präsident und Gründer des ursprünglichen Klubs, Saldostanow, ist selbst Sohn einer russischen Mutter und eines ukrainischen Vaters. Bevor er den MC gründete, arbeitete er zeitweise in Berlin als Türsteher, bevor er in Moskau Medizin studierte und später als Mediziner für Gesichtsrekonstruktionen operierte, was ihm später den Spitznamen "der Chirurg" einbrachte. 2015 verlieh ihm Putin, den der Chirurg seinen "Freund" nennt (was auf Gegenseitigkeit beruht), mehrere Auszeichnungen für seine "patriotische Arbeit". Gegenüber dem US-Magazin "Vice" sagte er damals, er habe Putin "jahrelang ermutigt", "die Krim zu übernehmen".

Den Klub machte er zu einer "Schlüsselkomponente der Propagandamaschine des Kremls", schrieb der britische "Guardian" 2016. Tausende Mitglieder sollen ihm inzwischen angehören. Der MC vertritt eigenen Angaben nach christlich-orthodoxe und vor allem russisch-nationalistische Werte und gilt gemeinhin als gewaltbereit und homophob. Wegen ihrer Nähe zum Kremlchef werden die Klubmitglieder auch "Putins Engel" genannt.
Keine Panzer, keine Jets, aber tausende Kadetten – die Bilder der Putin-Parade aus Moskau

Die Nachtwölfe hatten sich bereits 2014 auf die Seite der Invasoren geschlagen und prorussische Demonstranten in der Ostukraine unterstützt. Im Zuge der Annexion der Krim sollen sie unter anderem Hilfsgüter auf die Halbinsel transportiert und Kontrollpunkte für die Invasoren eingerichtet und betrieben haben.