Kommentar zum Flüchtlingsgipfel Unterbringung läuft, Integration vielleicht nicht

Die Länder bekommen mehr Geld, die Behörde für Migration mehr Stellen, Europa scheint sich auf eine Verteilungsquote zu einigen. Gut so. Aber wir müssen noch viel mehr tun.

Neulich fragte ein Radioreporter einen Jungen: "Wie lange bist Du schon in der Kita?“ "Zwei Jahre“ sagte er. "Und, habt ihr viele Ausländer in der Kita“, fragte er weiter. "Nein“, sagte der Junge. "Nur Kinder.“ Was für eine Antwort.
Die Mauern zwischen Ausländern und Deutschen, die in vielen Köpfen bestehen - dieser fünfjährige Junge sieht sie nicht. Er sieht nichts Trennendes. Er sieht nur Kinder.
Ja, so schaut gelungene Integration aus, möchte man sagen. Und weiß doch, nein, in der Realität gibt es sie zu selten. Weil viele Menschen das Trennende sehen, nicht das Verbindende.

Europa ist handlungsfähig

Was uns zu dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt bringt. Verringern dessen Ergebnisse die Mauern in den Köpfen? Oder machen sie die Mauern zumindest ein wenig durchlässiger?
Vielleicht. Der Umgang mit den Flüchtlingen ist eine Dauerbaustelle, am gestrigen Donnerstag brachten die Politiker an dieser Baustelle lediglich einige ordentliche Gerüste an.
Warum?
Es gibt mehr Geld. Eine Milliarde Euro zusätzlich in diesem Jahr, drei Milliarden Euro im nächsten, und kommen weitere Flüchtlinge, sollen die Länder noch mehr Geld erhalten.
Es gibt mehr Verwaltung. Die überlastete Asylbehörde Bamf soll 3000 weitere Mitarbeiter bekommen, der Bund will Flüchtlinge besser verteilen, die Verfahren straffen und abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben.
Es gibt mehr Bewegung in Europa. Die EU-Staaten einigten sich zuvor darauf, Syriens Nachbarn und Flüchtlingshelfer mehr zu unterstützen. Und sie entschieden 120.000 Flüchtlinge EU-weit zu verteilen – gegen den Widerstand der Ungarn, Rumänen, Tschechen und Slowaken. Europa kann also schnell entscheiden, wenn Europa will. Und Europa verteilt nicht nur Geld, Europa fordert auch Pflichten ein.
Das alles sind richtige Schritte. Aber gelingt deshalb die Integration?

Zwei Stimmungen in Deutschland

Es geht nicht nur um Geld und Gesetze, es geht auch um Gefühle. Um Ängste. Glaubt man dem Soziologen Heinz Bude, existieren in Deutschland zwei Stimmungen. Die eine Stimmung ist die Willkommenskultur. Es sind die Bürger, die an den Bahnhöfen die Flüchtlinge empfangen, ihnen Wasserflaschen reichen, eine Unterkunft und Klamotten besorgen. Es ist das freundliche Deutschland, über das sich die Welt verwundert die Augen reibt.
Doch es gibt, so Bude, noch eine andere Stimmung. Sie ist leise, verborgen, zurückhaltend. Es ist die Stimme der Angst. Da sorgen sich Menschen, dass sie ihren Job verlieren, weil ihn vielleicht ein Flüchtling übernimmt. Dass die Mieten steigen, weil mehr Menschen um bezahlbare Wohnungen wetteifern. Dass Sozialleistungen wegfallen, weil das Geld für die Flüchtlinge verwendet wird.
Manche Ängste sind übertrieben, andere nicht. Nehmen wir den Arbeitsplatz. Dass anerkannte Flüchtlinge leichter einen Job bekommen sollten, ist völlig richtig. Nur wer arbeitet, findet Zugang zu dieser Gesellschaft. Nur viele Flüchtlinge werden keinen Job finden, weil ihnen die Qualifikationen fehlen, um komplizierte Maschinen oder Computer zu bedienen. Der syrische Arzt, der unser Gesundheitswesen rettet, ist mehr Fata Morgana als Realität.

Kampf um Jobs und Wohnungen

Die meisten anerkannten Flüchtlinge werden Hartz-IV erhalten, und wenn sie tatsächlich eine Arbeit finden, werden sie mit Billig-Jobbern konkurrieren. Als Wachmann, Kassiererin im Supermarkt, Lagerarbeiter oder Putzfrau. Wer in diesen Berufen arbeitet, hat zu Recht Angst. Er hat vom Boom der vergangenen Jahre wenig gespürt, sein Lohn ist kaum gestiegen, nur der Druck am Arbeitsplatz. Und in den zurückliegenden Jahren brummte die Konjunktur, was aber, wenn sie nicht mehr brummt?
Oder nehmen wir den Wohnungsmarkt. In einigen Teilen Deutschlands vor allem in Großstädten, fehlen bezahlbare Wohnungen. Die Politiker haben den Mangel lange ignoriert und bisher nur halbherzig bekämpft. Kommen mehr Menschen ins Land wollen sie auch ein Dach überm Kopf. Der Kampf um bezahlbare Wohnungen wächst.

Gebt mehr klare Antworten

Zu beiden Fragen – Konkurrenz um Billig-Jobs und Gerangel um Wohnungen - hat der Gipfel wenig Antworten geliefert. Immerhin will sich der Bund mit 500 Millionen Euro am sozialen Wohnungsbau beteiligen. Das ist schon mal ein Anfang. Doch das wird nicht reichen, mehr klare Antworten werden nötig sein: Wie genau will der Staat bezahlbare Wohnungen schaffen? Wie will er den Druck für Billig-Jobber mildern? Wie will er Flüchtlinge qualifizieren? Nur mit klaren Antworten lassen sich Ängste bekämpfen, nur mit klaren Antworten lassen sich die rechten Rattenfänger in Schach halten, die den Fremdenhass schüren.
An den Umgang mit den Ängsten entscheidet sich, ob Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigt, und ob die Integration gelingt. Ein Scheitern wäre fatal. Die Mauern in den Köpfen, die in den letzten Jahren deutlich geschrumpft sind, würden wieder wachsen. Der kleine Junge aus dem Radio wäre dann kein Vorbild, er wäre die Ausnahme.