Eigentlich gibt der ehemalige US-Präsident George W. Bush kaum Interviews. Aus der Politik hält er sich meistens raus. Er hat Bücher geschrieben, hält Reden und gibt sich ansonsten viel der Malerei hin. Doch für "seine liebe Angela" machte er eine Ausnahme und gab der "Deutschen Welle" ein exklusives Interview über die deutsche Kanzlerin, mit der er mehrere Jahre zusammenarbeitete. Anlass ist Merkels angekündigtes Ende als Bundeskanzlerin.
"Merkel hat Klasse und Würde in eine sehr wichtige Position gebracht; [sie] hat sehr harte Entscheidungen getroffen, und dies mit dem Besten für Deutschland im Sinne getan, und zwar nach Prinzipien", erzählt Bush der "Deutschen Welle" im Interview in seiner Sommerresidenz im Bundesstaat Maine. "Sie ist eine mitfühlende Anführerin, eine Frau, die keine Angst hat, zu führen."
Bush malte Porträt von Angela Merkel
"Merkel hat über acht Jahre in einem ziemlich harten Umfeld überlebt. Das ist ziemlich erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt", so Bush. Er spielt damit auf den Eindruck an, dass die US-Bürger:innen nach acht Jahren im Amt genug von ihm zu haben schienen. Es spiegele das Vertrauen der deutschen Wähler:innen wider.
Zu Merkels Amtsantritt waren die deutsch-US-amerikanischen Beziehungen frostig. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hatte Bush dafür kritisiert, den Irak-Krieg begonnen zu haben. Doch schnell besserte sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten – und das nicht zuletzt wegen Merkel, so Bush. Beide hätten sich von Anfang an außergewöhnlich gut verstanden.
Sie verstanden sich sogar so gut, dass Bush ein Porträt von Merkel malte. "Ich war ein Anfänger und habe mir Sorgen gemacht, dass ich die Person, die ich male, nicht richtig treffe. In Angelas Fall wollte ich eine liebevolle Person mit einer liebevollen Seele malen. Das ist der Mensch, den ich kennengelernt habe." Merkel sei zwar "tough", aber auch "mitfühlend und vernünftig" sowie ein bedächtiger und netter Mensch. Er hoffe, sie möge das Porträt.
"Über all der Politik war Freundschaft"
Natürlich gab es auch mal Differenzen. Bei der Frage, ob Georgien in die Nato sollte, waren die Spannungen laut Bush sehr groß. "Sie war sehr resolut und dachte, es sei nicht richtig", erzählte Bush, der gegenteiliger Meinung war. Doch persönlich seien die Differenzen nicht geworden. "Über all der Politik war Freundschaft." Auch andere Entscheidungen Merkels sieht er kritisch, etwa die Gas-Pipeline Nord Stream 2.
Ein prägender Moment in der zwischenmenschlichen Beziehung war für Bush das letzte Mal, als er Merkel persönlich traf: bei der Beerdigung seines Vaters, George Bush Senior. "Ich stand meinem Vater sehr nahe und die Tatsache, dass sie sich Zeit nahm, um zu kommen, hat unsere Beziehung sehr geprägt."
Angela Merkels 18 Jahre als Parteivorsitzende in Bildern
Ein anderer prägender Moment war für den Ex-Präsidenten der Besuch Merkels mit ihrem Ehemann Joachim Sauer auf seiner Ranch im Jahr 2007. Es sei eine Gelegenheit gewesen, sich besser kennenzulernen.
Merkel für Bush ein Vorbild für junge Mädchen
Unvergessen bleibt für viele wohl der Moment, als Bush Merkels Schultern bei einem Gipfel in St. Petersburg massierte. "Ich würde das keine ausgedehnte Massage nennen", lacht Bush. Es sei eine "spontane Reflexion von Freundschaft" gewesen, kein geskripteter Moment.
Auf die Frage, was er von Angela Merkels Einwanderungspolitik halte, sagte Bush, dass er ihre Entscheidungen respektiere. "Meine erste Reaktion war: 'Da ist eine Frau mit einem großen Herzen.' Und ich bin mir sicher, dass sie von menschlichem Mitgefühl motiviert war. Und es war eindeutig eine schwierige politische Entscheidung für sie – aber sie hat die Führung übernommen." Bush bewundert ihre Standhaftigkeit: "Angela hat keine Angst, eine Entscheidung zu treffen."
Persönlich hält Bush – Vater von zwei Töchtern – Merkel für ein Vorbild, insbesondere für Mädchen und junge Frauen. "Es gibt viele Mädchen, die Angela Merkel beobachten und sagen: 'Auch ich kann Verantwortung und Macht übernehmen.'"
Ob Merkel gute Arbeit geleistet habe? Bush bejaht: "Ich denke schon." Merkel sei oft wiedergewählt worden, was "Bände spreche über ihre Erfolge".
Am Donnerstag wird sich Kanzlerin Merkel in Washington mit dem jetzigen US-Präsidenten Joe Biden und der Vizepräsidentin Kamala Harris treffen. Der US-Besuch soll den Neuanfang in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA nach dem Tiefpunkt in der Ära von Donald Trump markieren.