Dieser Moment hätte den furchtbarsten Abschnitt der deutschen Geschichte beenden können: Als am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr eine Bombe im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" explodierte, glaubten sich der 36-jährige Offizier Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Mitverschwörer am Ziel. Doch Adolf Hitler überlebte. Der letzte Versuch, Deutschland "aus eigener Kraft" von der Gewaltherrschaft des Nazi-Regimes zu befreien, endete mit der Hinrichtung der Attentäter.
Hitlers Propaganda-Getöse
"Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der deutschen Wehrmacht auszurotten" - Hitlers Radioansprache wurde nach dem Anschlag pausenlos verbreitet. Eine überschaubare Gruppe von Einzeltätern, losgelöst vom Rest des Militärs und der Bevölkerung: das war die Version, die Hitler am besten passte. Von diesem Propaganda-Getöse abgesehen, wurde das Ereignis bis zum Ende des Krieges tot geschwiegen.
Bis heute ist das öffentliche Bild der Hitler-Attentäter gespalten. Zuerst galten sie als Verräter. In den 60er-Jahren wurde ihnen dann ihre nationalistische Vergangenheit vorgeworfen: als reaktionäre Monarchisten, die selbst die Macht an sich reißen wollten. So ähnlich wurden die Offiziere auch von den Alliierten gesehen. Winston Churchill sprach gar von "Ausrottungskämpfen unter Würdenträgern des Dritten Reiches". Noch immer streiten die Historiker, was schwerer wiegt: Die anfängliche Begeisterung der Attentäter für den Nationalsozialismus - oder ihr Mut, das eigene Leben für die Vernichtung eines Unrechtsregimes zu riskieren.
Von den meisten deutschen Historikern wird das Attentat als das wichtigste Ereignis des deutschen Widerstands gesehen. Aus drei Gründen: Nur die Wehrmacht verfügte über die Mittel, Adolf Hitlers Regime zu stürzen. Die Offiziere arbeiteten mit politisch erfahrenen Zivilisten zusammen, die bereit standen, die Regierung zu übernehmen. Und schließlich war der Umsturzversuch das klarste Zeichen deutschen Widerstandes.
Aus Freude wird Furcht
Für Militärs und Konservative war der Weg dahin lang gewesen, hatten sie die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 doch überwiegend begrüßt. Anfangs freute sich auch die Mehrheit der Deutschen noch über die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die außenpolitischen Erfolge - später fürchtete sie den Terror der Gestapo.
Von Anfang an zu den Feinden des NS-Regimes zählten KPD, SPD und Gewerkschaften. Schon im Juni 1933 waren sie verboten und Zehntausende Funktionäre eingekerkert. Auf Widerstand im Untergrund hatten sich aber nur die Kommunisten vorbereitet, wie der Historiker Wolfgang Benz erklärte. Die KPD-Führer wähnten jedoch, sie könnten die Nazis allein mit Streiks, Demonstrationen und Flugblättern entmachten und zugleich auch noch die SPD als "Sozialfaschisten" bekämpfen. Für die erfolglosen Aktionen wurde das Leben von Hunderten Genossen geopfert. Ab 1935 blieb der kommunistische Widerstand auf einzelne Zellen beschränkt.
Die SPD, bis 1932 stärkste Partei in Deutschland, wollte die Nazis nur mit legalen Mitteln bekämpfen. Der Parteivorstand flüchtete nach Prag und rief von dort aus die Arbeiterschaft auf, die "Ketten der Knechtschaft" abzuschütteln. Daheim kritisierten SPD-Mitglieder das Regime im kleinen Kreis und bestärkten sich gegenseitig. Widerstand blieb die Sache Einzelner wie Julius Leber, Adolf Reichwein oder Carlo Mierendorff, die sich überparteilichen Gruppen anschlossen.
Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung war schon erloschen, als Mitte der 30er Jahre die Kirchen gegen das Neuheidentum und den totalitären Machtanspruch der Nazis protestierten. Papst Pius XI. ließ 1937 seinen Rundbrief "Mit brennender Sorge", in der er auch die Rassenpolitik kritisierte, von den Kanzeln verlesen. Aber nur Einzelne wie der Münsteraner Bischof Clemens Graf von Galen griffen das Regime offen an. Die evangelischen Kirchen standen den Nazis lange sogar überwiegend positiv gegenüber. Protest äußerten Minderheiten wie die Bekennende Kirche mit Pfarrer Martin Niemöller oder die Zeugen Jehovas. Der christliche Widerstand hatte allerdings im Unterschied zu anderen einen greifbaren Erfolg: Nach abgestimmten Protesten der katholischen und der Bekennenden Kirche 1941 brach Hitler die "Euthanasie" von Behinderten ab.
Bomben gegen den Tyrannen
Einzelne Bürger wagten mitunter spektakuläre Aktionen. Die größte Erfolgsaussicht hatte das Attentat des Schreiners Georg Elser, der kurz nach Kriegsbeginn im November 1939 im Münchner Bürgerbräu eine selbst gebaute Bombe zündete. Hitler war zu einer Feier dort, verließ den Saal aber unerwartet früh. Die Explosion tötete acht Menschen; Elser wurde später gefasst und im KZ umgebracht. Nach dem Krieg berühmt wurde die Münchner Studentengruppe um die Geschwister Scholl, die in Flugblättern Unfreiheit, Krieg und Judenmord anprangerten und zum Umsturz aufriefen. Im Februar 1943 wurden sie gefasst und enthauptet.
Konservative Bildungsbürger und Adlige fanden ab 1938 aus Empörung über Rechtlosigkeit, Judenverfolgung und Eroberungskrieg zum Widerstand. Der Kreisauer Kreis um den Völkerrechtler Helmuth Graf Moltke plante für die Zeit nach Hitler einen christlichen Sozialstaat. Zu der Runde gehörten Peter Graf Yorck, der Diplomat Adam von Trott zu Solz, die Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Eugen Gerstenmaier und die Sozialdemokraten Reichwein und Leber.
Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 schlossen sich die meisten der Widerstandsgruppe um den nationalkonservativen ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Karl Goerdeler an, der mit den Verschwörern in der Wehrmacht zusammenarbeitete.
Dreh- und Angelpunkt Bendlerblock
Der Berliner Bendlerblock war der Dreh- und Angelpunkt des militärischen Widerstands gegen Hitler. Im Ostflügel war im Zweiten Weltkrieg das Allgemeine Heeresamt untergebracht. Unter Führung von General Friedrich Olbricht plante hier eine Gruppe konservativer preußischer Offiziere das Attentat auf Hitler. Das schon im Kaiserreich errichtete massive Gebäudeensemble am Nordufer des Landwehrkanals im Schatten des Tiergartener Botschaftsviertels ist seit 1993 der Berliner Dienstsitz des Bundesverteidigungsministers.
Der Bendlerblock wurde zwischen 1911 und 1914 für das Reichsmarineamt errichtet. Unter der Herrschaft der Nazis war die angrenzende Bendlerstraße bis 1935 Sitz des Reichswehrministeriums, danach des Oberkommandos der Wehrmacht. Im Krieg wurde das Oberkommando aber in das jeweilige Hauptquartier Adolf Hitlers verlegt. Nach dem Krieg wurde die nach dem Kommunalpolitiker Johann Christoph Bendler benannte Straße in Stauffenbergstraße umbenannt.
Das Militär hatte 1933 auf Aufrüstung, Karriere und Wiederherstellung Deutschlands als Großmacht gehofft. Doch 1938 bereitete Generalstabschef Ludwig Beck wegen Hitlers Kriegsplänen gegen die Tschechoslowakei einen Putsch vor. Die Nachgiebigkeit Englands und Frankreichs entzogen dem Staatsstreich den Boden, Beck trat zurück. Oberst Hans Oster warnte die Niederlande, Dänemark und Norwegen vor einem deutschen Angriff.
Einige Dutzend Offiziere um Beck und Oster ließen sich von den deutschen Blitzsiegen nicht blenden. Überzeugt, dass der Krieg verbrecherisch sei und in die Katastrophe führe, überwanden sie ihre Skrupel und entschlossen sich zum Tyrannenmord. Der Anschlag vom 20. Juli 1944 war ihr fünfter Versuch. Angesichts der bevorstehenden Niederlage verfolgten sie nur noch zwei Ziele: Den Krieg zu verkürzen - das scheiterte - und, wie Generalmajor Henning von Tresckow sagte, "dass der deutsche Widerstand beweist vor der Welt und der Geschichte, dass er den entscheidenden Wurf gewagt hat".
"Als Funktionsträger in das System verstrickt"
Der Historiker Wolfgang Altgeld von der Universität Würzburg hat sich entschieden: "Wichtig ist doch, dass sie schließlich in den Widerstand gegangen sind - wie spät auch immer", betont er. Die meisten fühlten sich von der irrsinnigen Willkürherrschaft der Nazis abgestoßen. Dennoch spricht Altgeld von einem "unauflösbaren Grundproblem" bei der Beschäftigung mit den Offizieren des 20. Juli: "Sie waren als Funktionsträger in das System verstrickt."
Nur weil Stauffenberg und die anderen als hochrangige Militärs Teil des Nazi-Regimes waren, hätten sie genug Macht und Gelegenheiten für ein Attentat gehabt. Nur die Offiziere waren demnach diejenigen, die etwas unternehmen konnten und auch in der Öffentlichkeit als Akteure wahrgenommen wurden. Deshalb wird bis heute vom militärischen Widerstand gesprochen, Dokumentationen zum 20. Juli heißen "Offiziere gegen Hitler" oder "Die Stunde der Offiziere". Dagegen sind die zivilen Widerständler, die mit dem 20. Juli in Verbindung stehen, kaum bekannt.
Für Altgeld greift das zu kurz: "Hinter den Offizieren war nicht einfach nur Luft", betont er. Eine bunte Mischung aus Widerständlern aller sozialen Schichten hatte sich zusammengefunden. Zur Widerstandsbewegung "Kreisauer Kreis" um Helmuth James Graf von Moltke zählten Menschen aller sozialen Schichten und mit unterschiedlichsten Vorstellungen: Katholiken, Wirtschaftsliberale, Sozialisten und Nationalkonservative.
Was wäre passiert?
Was wäre passiert, wenn Stauffenberg bei dem Attentat nicht versehentlich zu wenig Sprengstoff verwendet hätte? Hitler hätte den Anschlag sicher nicht überlebt, und sein Regime wohl auch nicht. "Wenn man diese Spitze weggesprengt hätte, wäre es schwer gewesen, die übrigen Nazis beisammenzuhalten", zeigt sich Altgeld überzeugt. "Das hätte sehr schnell zur Kapitulation geführt."
Was das frühere Kriegsende bedeutet hätte, rechnet ZDF-Historiker Guido Knopp vor: "Von Juli 1944 bis Mai 1945 sind mehr Menschen umgekommen als in den Jahren vorher." Der Holocaust habe erst im Sommer 1944 seinen Höhepunkt erreicht. "Ein gelungener Tyrannenmord hätte seinen Sinn gehabt", betont Knopp. Und auch Altgeld ist überzeugt, dass Abertausende von Menschenleben hätten gerettet werden können. Was für ein Deutschland nach einem geglückten Attentat entstanden wäre, ist angesichts der unterschiedlichen, teilweise auch nationalistischen Vorstellungen der Widerständler schwer vorstellbar. "Nur ein Ziel war für alle völlig klar: Die Wiederaufrichtung der Rechtsstaatlichkeit", meint Altgeld.
Sie sollten ihr Ziel nicht erreichen. In den Monaten bis zum Kriegsende richteten die Nazis Hunderte Widerständler hin, die mit dem fehlgeschlagenen Attentat in Verbindung standen. Stauffenberg wurde noch am Abend des 20. Juli standrechtlich erschossen. Mit Stauffenberg wurden im heutigen Ehrenhof dessen Offizierskameraden Werner von Haeften, Albrecht Ritter Merz von Quirnheim und General Olbricht erschossen. Ludwig Beck, dessen Pläne für die Absetzung Hitlers bereits 1938 scheiterten, wurde kurz vor Mitternacht die Gelegenheit zur Selbsttötung im Gebäude gegeben. Der General der Artillerie wurde nach zwei misslungenen Versuchen von einem Feldwebel erschossen.
Asche über die Felder verstreut
Am 21. Juli wurden die Leichen der Erschossenen auf einem Friedhof mit ihren Uniformen und Ehrenzeichen bestattet. Himmler ließ sie exhumieren und verbrennen. Ihre Asche wurde über die Felder verstreut.