Mitarbeiter im Bundestag Mario Müller: Der militante Arm der "Identitären Bewegung"

Mario Müller auf einer Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin 2017.
Mario Müller auf einer Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin 2017
© Christian Mang / Imago Images
Laut "Correctiv"-Recherchen war auch Mario Müller von der "Identitären Bewegung" bei dem rechten Netzwerktreffen in Potsdam anwesend. Der 35-jährige ist mehrfach vorbestraft – und Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten im Bundestag

Die Enthüllungen von "Correctiv" über ein Geheimtreffen von führenden Köpfen der rechten Szene ziehen weiter Kreise. Am Mittwochabend warf das Recherchenetzwerk bei einer Veranstaltung das Schlaglicht auf einen weiteren Teilnehmer der Konferenz in Potsdam: Mario Müller. Der Neonazi und verurteilte Gewalttäter ist neben Martin Sellner eine der wichtigsten Figuren der "Identitären Bewegung" (IB). Und er könnte ein zentraler Punkt in der Debatte um ein Verbot der AfD werden. 

Gewalttäter und Neonazi mit internationalen Kontakten

Müller wurde 1988 in Bremen geboren und wuchs im Landkreis Oldenburg auf. Er kam früh mit der rechtsextremen Szene in Berührung und wurde gewalttätig. Ab 2007 soll er im Umkreis der rechtsextremen Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) der NPD aktiv gewesen sein. "Die Zeit" nannte ihn später sogar "ehemaligen JN-Kader".

2010 griff Müller eine Gruppe von Jugendlichen auf dem Marktplatz in Delmenhorst mit einem Totschläger an, den er aus einer Hantelmutter und einer Socke selbstgebaut hatte. Zu dieser Zeit soll er Führungskader der Neonazi-Schlägertruppe "Aktionsbündnis Delmenhorst" gewesen sein, wie antifaschistische Rechercheplattformen berichten. Drei Jahre nach dem Angriff wurde Müller wegen gefährlicher Körperverletzung zu siebeneinhalb Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Es sollte nicht seine letzte Straftat gewesen sein.

Über das lose organisierte Netzwerk "Autonome Nationalisten" knüpfte er erste Kontakte ins Ausland. Als die Gruppierung nach und nach an Bedeutung verlor, schloss er sich der "Identitären Bewegung" an. Fotos zeigen ihn etwa mit Mitgliedern des bewaffneten, neonazistischen "Asow-Bataillon" in der Ukraine. Dort ließ er sich unter anderem ein Tattoo mit einem Zitat des NS-Dichters Hans Baumann auf das Bein stechen: "Rebellen haben Tod und Teufel zum Gesellen".

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Müller engagierte sich ab 2015 zunehmend in der IB, gründet innerhalb der Bewegung die Gruppierung "Kontrakultur" und schrieb ein Buch mit gleichem Namen, das zu einer Art Wörterbuch für Identitäre wurde. Spätestens mit dieser Veröffentlichung wurde deutlich, wessen Geistes Kind er ist. In der Schrift zeigte er sich für Identitäre gewohnt pseudo-intellektuell. Sein wichtigstes Thema: Der "Große Austausch", eine Verschwörungserzählung, wonach die europäische Bevölkerung durch Ethnien aus dem arabischen oder afrikanischen Raum ersetzt werden soll. Müller fällt in diesem Buch schnell in einen Duktus des Widerstands und warnt davor, dass "in jedem klassischen Einwanderungsland – sei es Australien, Kanada oder die USA", die Ureinwohner als marginalisierte Gruppe am Rande der Gesellschaft lebten; das gelte es zu verhindern – Identitäre als deutsche Aborigines.

Seine Gewalttaten stehen im Widerspruch zur Strategie der IB

Derweil stieg er innerhalb der Organisation auf. Ihm wird das Projekt "Kontrakultur Halle" in Halle an der Saale anvertraut. Mit Hilfe des rechtsextremen "Verein Ein Prozent" und der ominösen "Titurel Stiftung" kauften Rechtsextreme dort ein Gebäude mit Sport-, Wohn- und Konferenzräumen. Es sollte als Anlaufstelle für Neue Rechte dienen. Müller zog mit seiner Freundin offenbar selbst ein.

Immer wieder griff die "Kontrakultur"-Gruppierung Menschen vor dem Haus oder auf dem Gelände der gegenüberliegenden Universität an. Im November 2017 stürmten Müller und ein weiterer Mann aus dem Haus und attackierten zwei Männer, die sie dem linken Spektrum zuordneten. Die Angegriffenen offenbarten sich allerdings als Zivilpolizisten und konnten Müller und seinen Kameraden festnehmen. Müller wird später zur acht Monaten Haftstrafe verurteilt, die auf zwei Jahre Haft auf Bewährung ausgesetzt wird. Der zweite Angeklagte wurde freigesprochen.

Von außen betrachtet wirkt Müller in der "Identitären Bewegung" wie ein Fremdkörper. Seine Gewalt, seine martialisches Auftreten und die Bedrohungen stehen im Widerspruch zur Strategie der Identitären, rechtes Gedankengut über eine intellektuelle und kulturelle Ebene implizit in der Gesellschaft zu verankern – und eben nicht mit der Faust. Trotzdem hat der Neonazi sich als nützlich für die Gruppierung erwiesen, vor allem durch seine Kontakte.

Einer breiteren Öffentlichkeit wird Müller durch zwei Vorfälle bekannt: Gemeinsam mit Martin Sellner heizte er die Stimmung an, als es 2017 auf der Frankfurter Buchmesse zu Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken am Stand des rechtsextremen Verlags "Antaios" kommt. Dabei schrie Müller gemeinsam mit Sellner Polizisten an, die den Verlagsstand vor Demonstranten schützen und fragten die Beamten in einem Schlachtruf provokativ "Wo wart Ihr Silvester?" mit Anspielung auf die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln.

Zudem berichteten mehrere Medien im März 2019 über ihn, als er Gast auf einer häufig kritisierten Geburtstagsfeier des ehemaligen "Spiegel"-Redakteurs Matthias Mattusek war, auf der Rechtsextreme, Journalisten und AfD-Funktionäre feierten. Auch Jan Böhmermann thematisierte das Treffen in einer Ausgabe des "Neo Magazin Royale". 

Müller erhält Zugang zu sensiblen Information

Doch Müllers Kontakte bestehen nicht nur in die militante rechtsextreme Szene, sondern auch zum parlamentarischen Arm der Bewegung, der AfD. 

Im September 2022 wurde ein Bild öffentlich, das Müller in einem Raum im Bundestag zeigte, auf dem er einen Hausausweis beantragte. Damit wäre es ihm möglich gewesen, ohne weitere Sicherheitskontrollen im Parlamentsgebäude ein und aus zu gehen. Laut Recherchen der "Welt" wurde ihm der Ausweis allerdings verwehrt. 

Dennoch sitzt Müller derzeit nah an den Schalthebeln der deutschen Demokratie. Denn der Rechtsextremist ist Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt aus Sachsen-Anhalt. Dieser begründete die Beschäftigung Müllers damit, dass das Rechtsstaatsprinzip "jedem Menschen in unserer Gesellschaft eine zweite Chance" ermögliche. Schon 2016 hatte Schmidt als damaliger Landtagsabgeordneter einen ehemaligen NPD-Kader beschäftigt und dessen Anstellung ähnlich verteidigt.

Für Müller ist es als Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten möglich, Zugang zu eingestuften Dokumenten und Interna, sensiblen Daten und Informationen zu erhalten. Die Bundestagsverwaltung, die ihm einen Hausausweis verwehrt hat, kann diesen Zugang nicht verhindern.

Nun wurde durch "Correctiv" bekannt, dass auch Müller an dem rechten Netzwerktreffen in Potsdam teilnahm. Er habe sich auf der Konferenz damit gebrüstet, für einen gewalttätigen Übergriff auf einen Kronzeugen eines Gerichtsverfahrens mitverantwortlich zu sein, indem er seinen Aufenthaltsort in der rechten Szene publik machte. Zudem habe er erklärt, dass nicht nur die "Antifa", sondern auch andere Politiker, Journalisten und Linke zu seinem Feindbild zählen. Müller bestritt die Vorwürfe und erklärte, er lehne Gewalt aus Überzeugung ab, von ihm gehe für niemandem im Bundestag oder anderswo ein Risiko aus.

Die Opfer seiner Gewalttaten sehen dies vermutlich anders.