Elon Musk muss einen ganz speziellen Filter für sein soziales Netzwerk haben: Immer, wenn ein deutschsprachiger Rechtsextremer einen Hilferuf auf X postet, muss bei Musk irgendein besonderer Alarm losgehen. "Deutschlandlied smooth remix", irgend so etwas. Musk jedenfalls muss diese germanischen Nazis einfach lieben. Vielleicht, weil sie so authentisch sind, so nah an der Quelle seiner eigenen Gesinnung. Auf jeden Fall will er einfach kein Posting von diesen kernigen Burschen verpassen. Damit er ihnen sofort zur Hilfe eilen kann, sobald sie in der Klemme sitzen.
Am Wochenende sprang Elon Musk wieder einmal einem Rechtsextremen bei. Dieses Mal profitierte Björn Höcke von der enormen Reichweite des Tech-Milliardärs. Brasilien zeigt derweil, wie man mit rechter Propaganda umgeht: Dort hat ein Richter ein Verfahren gegen Musk eingeleitet.
So sprang er erst im März dem österreichischen Neonazi Martin Sellner bei, als der in der Schweiz verhaftet wurde. Der Kopf der rechtsextremen "Identitären Bewegung" war von der rechten Schweizer Gruppierung "Junge Tat" eingeladen worden. Wie schon bei Sellners inzwischen berüchtigtem Potsdamer Remigrationsvortrag sollte er in der Schweiz wieder seine rassistischen Deportations- und Vertreibungsfantasien unters Volk bringen. Sellners aktuelles Lieblingsthema. Doch die Schweizer Polizei machte kurzen Prozess: Kaum hatte Sellner zu seinem Hetzvortrag angehoben, wurde er von Kantonspolizisten von der Bühne abgeführt.
Als Sellner am 16. März 2024 morgens dann genüsslich von seiner Verhaftung durch die Schweizer Polizei berichtete, sprang ihm nur drei Stunden später Elon Musk persönlich bei. Die Schilderungen von seiner Verhaftung kommentierte Musk mit der ungläubigen Frage: "Ist das legal?" (Die Antwort: Ja. Paragraf 34 des zuständigen Aargauer Polizeigesetzes erlaubt es, Personen aus einem Gebiet wegzuweisen, "wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet sieht oder wenn die Personen sich in verbotener Weise verhalten".)
Musks Intervention verlieh Sellners Beitrag eine enorme Reichweite. Über eine halbe Million Nutzer sahen Sellners Posting, mehr als 9000 Nutzer haben den Beitrag mit einem Herzen versehen.
Immer ein offenes Ohr für Faschisten
Nun lieh Musk sein wohlwollendes Ohr dem Faschisten Björn Höcke, der bei der Thüringer Landtagswahl am 1. September als Spitzenkandidat für die AfD aufgestellt ist. Höcke steht bald vor dem Landgericht Halle, weil er eine verbotene Losung der NS-Organisation Sturmabteilung (SA) verwendet haben soll. Laut Staatsanwaltschaft soll Höcke bei einer Veranstaltung der AfD in Gera im Dezember 2023 die SA-Parole "Alles für Deutschland!" verwendet haben. Bei einer Rede soll der ehemalige Geschichtslehrer den ersten Teil der Losung "Alles für" selbst intoniert haben und dann das Publikum durch Gesten dazu aufgefordert haben, "Deutschland" zu ergänzen. Eines der üblichen Mitmachspielchen von rechtsesxtremen Einheizern.
Am Wochenende bat Höcke auf Musks Netzwerk "X" dann um Unterstützung bei seinem Prozess in Halle. Auf Englisch schrieb er: "Deutschland ist wieder einmal Vorreiter bei der Verfolgung von politischen Gegnern und der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Am 18. April werde ich in Halle vor Gericht stehen. Mir wird vorgeworfen, ein angebliches Zitat verwendet zu haben, in dem ich meinen Patriotismus 'falsch' ausgedrückt habe. Ich lade Sie ein, nach Halle zu kommen und aus erster Hand zu erfahren, wie es um Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland bestellt ist."
Immer dieselben scheinheiligen Kommentare
Bei Musk schrillten die Alarmglocken, und schon war er zur Stelle. Erst kommentierte er mit einem ungläubigen "Was haben Sie gesagt?", dann legte er mit der rhetorischen Frage nach: "Warum ist das illegal?" Man erkennt dasselbe scheinheilige Kommentiermuster wie schon bei Sellner ("Ist das legal?").
Der Schauspieler und Regisseur Marcus Mittermeier beantwortete Musks Frage treffend mit dem nüchternen Satz "Ist ein Nazi-Slogan. Und manche davon sind illegal." Doch irgendwelche linksversifften Antworten interessierten Musk nicht mehr. Sein Job war erledigt: Der Mann mit den meisten X-Followern der Welt hatte Deutschlands mächtigstem Rechtsextremen zu maximaler Reichweite verholfen. Dessen Hilferuf hat bislang über eine Millionen Leser gefunden. Für gewöhnlich erreichen seine Postings selten mehr als 100.000 Leser. Das Landgericht in Halle kann sich schon einmal auf ein, zwei Besucher mehr als sonst einstellen.
Wem hilft Musk als nächstes? Einem notorischen Holocaust-Leugner? Einem inhaftierten Reichsbürger-Verschwörer? Wie viel Sorgen müssen wir uns machen, wenn ein Milliardär, der vier bis sechs Milliarden Dollar in ein Tesla-Werk in Brandenburg investiert, eine rechtsextreme politische Agenda verfolgt? Glaubt Musk vielleicht, dass ein faschistisches Deutschland einfach besser für seine Geschäfte ist?
Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an dem brasilianischen Richter Alexandre de Moraes nehmen. Der ist einer von elf Richtern des Obersten Gerichtshofs des Landes. Als solcher hat de Moraes in den vergangenen Jahren den Kampf gegen Desinformation und Propaganda in sozialen Netzwerken aufgenommen. Er ordnete die Sperrung von Konten einflussreicher Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro an. Der war im Juni 2023 für acht Jahre von allen politischen Ämtern ausgeschlossen worden, weil er das brasilianische Wahlsystem mit Fake News diskreditiert hatte.
Musk hatte diesem Richter wiederholt Zensur vorgeworfen. Denn immer, wenn Rechtsextreme an der Verbreitung ihrer Propaganda gehindert werden sollen, berufen sie sich auf Meinungsfreiheit. So argumentiert Musk hier nicht durch Zufall ähnlich wie Höcke, der sich in seinem Hilferuf auf X ebenfalls auf Meinungsfreiheit beruft ("Deutschland ist wieder einmal Vorreiter bei der Verfolgung von politischen Gegnern und der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung."). Doch natürlich lässt sich aus einem Recht auf Meinungsfreiheit kein Recht auf Nazi-Propaganda ableiten. Letztere ist und bleibt verboten.
Folglich ließ sich der brasilianische Richter durch Musks Zensurvorwürfe auch nicht beirren. Sondern legte nach. Und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Tech-Milliardär ein. Dazu erklärte der Richter: "Das soziale Netzwerk X muss es unterlassen, gerichtliche Anordnungen zu missachten, einschließlich der Reaktivierung eines Kontos, dessen Sperrung der Oberste Gerichtshof angeordnet hat."
Richter de Moraes droht Musk mit einer Geldstrafe von etwa 20.000 Dollar für jedes Konto, das entgegen der Entscheidung des Gerichtshofs wieder freigeschaltet wird. "Soziale Netzwerke sind kein rechtsfreier Raum", schreibt er in seiner Verfügung. Eines scheint klar: In Brasilien will man sich die Demokratie nicht länger demontieren lassen.
Einreiseverbot für rechtes Gedankengut
Vielleicht könnten sich die deutschen Gerichte den Fortlauf des brasilianischen Verfahrens einmal etwas genauer anschauen. Im Falle von Martin Sellner zum Beispiel könnten sich eventuell noch interessante Möglichkeiten auftun. Denn obwohl Sellner in Deutschland Einreiseverbot hat, kann er hierzulande über X immer noch seine menschenverachtende Propaganda verbreiten. Und das nur, weil Elon Musk sein Konto nach jahrelanger Sperrung im vergangenen März wieder freigeschaltet hatte. Vielleicht zeigt das brasilianische Beispiel ja Möglichkeiten auf, wie man auch rechtem Gedankengut ein wirksames Einreiseverbot erteilen kann.
Und vielleicht kann die Argumentation von Richter de Moraes ja auch bei der Beurteilung von Höckes Hilferuf auf X helfen. Denn wie legitim ist es eigentlich, wenn Musk einem Rechtsextremen hilft, seinen Aufruf zu einem Flashmob vor einem deutschen Gericht zu verbreiten, vor dem er wegen Nazi-Propaganda angeklagt ist? Liegt hier vielleicht dasselbe Vergehen vor wie das, was Richter de Moraes bei Musk beanstandet: kriminelle Instrumentalisierung seines Kurznachrichtendienstes? Wir dürfen schon jetzt gespannt sein auf die Beurteilung durch deutsche Gerichte.