Mobilitätsforscher Mehr Unfälle mit E-Scootern – Experte: "Man muss die Fahrer disziplinieren"

Auf einem E-Scooter fährt ein junger Mann in schwarzen Jeans und weißem T-Shirt durch Berlin
In deutschen Großstädten gehören mietbare E-Scooter längst zum Stadtbild
© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild / DPA
Die Zahl der E-Scooterunfälle mit Verletzungsfolgen ist um fast 50 Prozent gestiegen. Andreas Knie, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, glaubt: Ein Verbot wäre nicht die Lösung.

Herr Knie, bei 8.260 Unfällen mit E-Scootern sind vergangenes Jahr Menschen zu Schaden gekommen, das sind 49 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie bewerten Sie das?

So weit wir das überblicken können, ist gleichzeitig auch das Angebot an E-Scootern um hundert Prozent gestiegen. Wir haben eine Verdopplung der Zahl der Fahrten. Die Unfallzahlen sind natürlich bedenklich, aber gemessen an den zusätzlichen Fahrleistungen sogar zurückgegangen. Und man darf nicht vergessen: Mit allen Fahrzeugen kommt es zu Unfällen. Dass immer wieder isoliert auf die E-Scooter geguckt wird, wird der Sache wirklich nicht gerecht. 

Sollten aus dem Anstieg trotzdem Konsequenzen folgen?

Wir haben drei Verantwortliche: Die Anbieter und die Kommunen, die für Abstellflächen sorgen müssen und kontrollieren sollten, dass diese auch genutzt werden. Die Zahl der Unfälle, die wegen auf dem Bürgersteig herumstehenden E-Scootern passiert sind, fließen nämlich in die Verkehrsstatistik mit hinein. 

Und die Fahrenden? 

Wir sehen in der Verkehrsstatistik eine erschreckend hohe Zahl an Unfällen mit E-Scootern unter Alkoholeinfluss. Das sehen wir überall im Verkehr, ich plädiere da sehr für eine 0,0 Promillegrenze, wie das in Schweden und Dänemark zum Beispiel schon längst der Fall ist. 

Sie wohnen und arbeiten in Berlin: Stören Sie die E-Scooter im Stadtbild?

Nein, mich stören die nicht, ganz im Gegenteil. Ich brauche die, weil ich sie als ein lebendiges Element eines modernen Metropolverkehrs interpretiere, auch nutze. Und da gehören sie auch hin. Sie sind, ich würde fast sagen, zukünftig unverzichtbar, um eine Alternative zum Auto zu schaffen.

Andere sagen, genau das klappe nicht: Kaum jemand miete sich einen E-Scooter und lasse stattdessen sein Auto stehen.

Die müssten dann aber erstmal den Beweis antreten. Wir als Verkehrsforscher sehen ja, wo die E-Scooter ausgeliehen und abgegeben werden. Das passiert vor allem an ÖPNV-Haltestellen. Das heißt, die werden tatsächlich größtenteils genutzt, um zur U- oder S-Bahn zu kommen. Das ist die letzte Meile, die brauchen wir, um den ÖPNV dauerhaft attraktiv zu machen.

Können Sie verstehen, dass sich Menschen daran stören, wenn die E-Scooter überall im Weg stehen?

Klar gibt es viele, die damit nicht sorgfältig umgehen, keine Frage. Aber man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen. Wir haben Platzprobleme, das stimmt. Das liegt aber vor allem an den ganzen Autos, darüber regt sich nur keiner auf.

Man kann schon eine gewisse Lässigkeit beobachten, mit der die E-Scooter geparkt werden.

Natürlich muss man die E-Scooter-Fahrer auch disziplinieren. Dafür tun die Anbieter zu wenig, dabei sind die technischen Möglichkeiten längst da. Die Karten sind mittlerweile so gut codiert, dass man punktgenau sehen kann, wo ein E-Scooter abgestellt wird. Ob am Straßenrand, oder mitten auf dem Bürgersteig. Die Hälfte der Fälle, in denen E-Scooter bewusst falsch abgestellt werden, ließe sich verhindern, indem man sagt: So kannst du nicht parken. Und solange du den nicht umstellst, läuft die Uhr weiter, das kostet. Solche Ärgernisse lassen sich vermeiden.

Wegen genau solcher Ärgernisse haben die Pariser Anfang April entschieden, E-Scooter aus der Stadt zu verbannen. Haben Sie das kommen sehen?

Das hat mich schon überrascht. Paris war einer der ersten Städte, die E-Scooter zugelassen haben, die wurden dort auch viel genutzt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Anne Hidalgo (Pariser Bürgermeisterin, Anm. der Redaktion) ein Verbot überhaupt anstrebt, auch als bindendes Element benutzt.

… Sie sprach von einem "Sieg der lokalen Demokratie".

Eine Wahlbeteiligung von sieben Prozent ist dann doch ein bisschen wenig, um so eine Entscheidung zu legitimieren.

Vor allem ältere Menschen haben für das Verbot gestimmt. Ist die Frage nach den E-Scootern längst auch eine Generationendebatte?

Ja, das sieht man ja schon, wenn man sich die Leute anguckt, die damit unterwegs sind. Vor allem ältere Männer, das ist mein Eindruck, tun sich immer ein bisschen schwer mit solchen Innovationen. Ich werde auch schon gefragt, ob mir das nicht peinlich wäre, E-Scooter zu fahren, in meinem Alter. Was wir in Umfragen allerdings feststellen, ist, dass Fahrradfahrer ein mindestens genauso großes Aufregerthema sind. Insbesondere in Städten, in denen die Radwege nicht gut genug ausgebaut sind und man auf den Bürgersteig ausweichen muss. Das wird medial nur nicht so hochgekocht.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister will erreichen, dass E-Scooter in seiner Stadt nicht mehr überall, sondern nur noch in eigens dafür bestimmten Parkzonen abgestellt werden

Ja, das ist die Debatte, die wir jetzt in Deutschland führen. Die Frage, wie man mit den E-Scootern umgeht, wenn man sie nicht verbieten will. Zugewiesene Flächen sind grundsätzlich erstmal eine gute Idee. Wie sinnvoll das ist, hängt aber natürlich davon ab, wo die dann schlussendlich sein sollen. In Leipzig gibt es diese Parkflächen für E-Scooter nur an den ÖPNV-Stationen, das allein macht natürlich wenig Sinn. Denn ich will ja auch weg von der Straßenbahn, in ein Quartier. Man kann mit dieser Flächenpolitik viele Probleme lösen, dafür muss man aber berücksichtigen, wohin die Leute fahren wollen.

Abstimmung über Verbot: Paris wirft E-Roller aus der Stadt
Paris wirft E-Roller aus der Stadt

Wäre es auch eine Möglichkeit, einfach die Anzahl der zugelassenen E-Scooter zu reduzieren?

Das würde ich den Markt regeln lassen, da wird es eine natürliche Grenze geben. Die eigentliche Gefahr für die Unternehmen sind nämlich nicht die Straßenbaubehörden, sondern das Geld. Investoren werden angesichts steigender Zinsen immer scheuer, was das Risikokapital angeht, das sie in solche Firmen stecken. Deswegen gehen wir davon aus, dass eine nicht geringe Anzahl von E-Scooter-Anbietern bald von selbst vom Markt verschwinden wird.

Hinweis der Redaktion: Dieses Interview erschien ursprünglich Anfang April. Damals hatte Paris entschieden, E-Scooter aus der Stadt zu verbannen. Anlässlich der aktuellen Unfallstatistik zu E-Scootern haben wir Mobilitätsforscher Andreas Knie zusätzliche Fragen gestellt und das Interview aktualisiert.