Welchen Einfluss die sozialen Medien auf ein Wahlergebnis haben können, zeigten in der jüngeren Vergangenheit bereits die Wahlkämpfe der späteren US-Präsidenten Barack Obama 2008 und Donald Trump 2016. Seit einigen Jahren setzen auch deutsche Politiker:innen verstärkt auf den Wahlkampf im Netz, bisher allerdings mit mäßigem Erfolg.
Professionalisierungsschub bleibt aus
Der Politikwissenschaftler Dr. Bendix Hügelmann berät Parteien, Verbände und Unternehmen zu Fragen digitaler Kommunikation und Kampagnenführung. Auch wenn die Parteien inzwischen mehr Geld in den Online-Wahlkampf investieren, vermisst der Kommunikationsexperte einen Professionalisierungsschub. Insbesondere auf kommunaler Ebene scheitert die Digitalisierung des Wahlkampfes oft an technischen Verständnishürden.
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Die Kandidat:innen sind inzwischen zwar deutlich häufiger auf Instagram, Facebook, Twitter und sogar Tiktok vertreten, nutzen diese Kanäle aber nur selten so, wie sie gedacht sind. Soziale Medien bieten die Möglichkeit, über Jahre treue Communities aufzubauen. Influencern gelinge es, allein durch die Teilhabe ihres Publikums zu relevanten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu werden, so Hügelmann. "Politiker tun sich damit offenbar schwer." Auf den digitalen Kanälen geht es nicht darum, das öffentliche Bild zu replizieren, sondern diesem eine private Komponente hinzuzufügen.
Digitaler Wahlkampf der Kanzlerkandidat:innen
Der Politikwissenschaftler hat in der Vergangenheit bereits einige Kandidatenteams begleitet und beobachtet ein wiederkehrendes Muster: Die Kampagnen aktivieren ihre Plattformen oft zu spät. Die "Community-Building-Phase" findet bereits in den ersten drei Jahren einer Legislaturperiode statt. Auch nach dieser Wahl würden viele Profile allerdings wieder für einige Monate auf Funkstille schalten, vermutet er.
Hügelmann nimmt vor allem die drei Kanzlerkandidat:innen Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) in die Pflicht. Sie würden auf Instagram in einer eher "unpersönlichen, steifen Form" auftreten. Persönliche Komponenten sucht man in der Regel vergeblich. Die Profile sind ein Kontrast zum sonstigen Erscheinungsbild der Plattform.
Özdemir, Lindner und Söder: Meister der Selbstinszenierung
Es gibt allerdings auch einige Beispiele: Neben Christian Lindner, welcher bereits im Bundestagswahlkampf 2017 erfolgreich auf eine persönliche Präsentation auf Instagram setzte, findet Hügelmann auch den digitalen Auftritt von Cem Özdemir und Robert Habeck (beide Bündnis 90/ Die Grünen) sowie Markus Söder (CSU) weitestgehend gelungen.
Politiker:innen, die viel Privates preisgeben, ernten zwar insbesondere auf Twitter eine Menge Häme und Spott, können sich aber in den meisten Fällen über steigende Beliebtheitswerte in der Bevölkerung freuen. So gelang es Cem Özdemir aufgrund seiner digitalen Selbstvermarktung seit der letzten Bundestagswahl 72.000 Instagram-Abonnent:innen dazu zu gewinnen. Der negative Ton und das "entkontextualisierte strategische Falschverstehen" sind zwar nicht wünschenswert, aber keine neuen Phänomene und schon ewig Teil des analogen Wahlkampfes, so Hügelmann.
AfD erfolgreich auf Facebook und YouTube
Insbesondere kleinere Parteien scheinen die sozialen Medien zu dominieren. So haben die Oppositionsparteien AfD, Grüne, Linke und FDP auf den meisten Plattformen eine größere Followerschaft als die Regierungsparteien SPD und CDU. Neben ihrem jüngeren Zielgruppe, liegt dies auch an ihrer besonderen Position im digitalen Diskurs. Da sie eine kleinere Basis ansprechen, können Forderungen und Versprechungen oft zugespitzter formulieren werden. Aber: "Negative Campaigning beobachte ich hierzulande bisher kaum. Wenn man mal von dem Matroschka-Spot der SPD und der Reaktion der Union absieht, ist es im Vergleich zu anderen Nationen relativ harmlos", meint Hügelmann
Auch wenn die AfD auf Facebook und Youtube am meisten Abonnent:innen hinter sich versammelt, stört den Politikwissenschaftler das Narrativ einer besonders erfolgreichen digitalen Rechten. Die AfD habe zu Beginn aus einer Notsituation heraus erkannt, dass sie die Öffentlichkeit, die sie braucht, um neue Mitglieder zu generieren, auf herkömmlichen Weg nicht bekommt. Inzwischen stagniert aber auch der digitale Erfolg der Rechtspopulisten.
Likes und Klicks geben keine Rückschlusse auf Wahlausgang
Während die heiße Phase des analogen Wahlkampfes nun langsam Fahrt aufnimmt, wird sich in den verbleibenden drei Wochen bis zur Bundestagswahl im Netz höchstwahrscheinlich kaum etwas an der Wahrnehmung von Parteien und ihrer Kandidat:innen ändern. Wenn nichts weiter schief geht, werden die einzelnen Profile aufgrund des größeren Medieninteresses lediglich leicht an Popularität gewinnen.
Einen Tipp auf den Wahlausgang vermag Politikwissenschaftler Hügelmann nicht abzugeben. Denn auch wenn eine gelungene digitale Wahlkampfstrategie die Chancen der Kandidat:innen auf einen Platz im deutschen Bundestags sicherlich nicht schmälern, lassen sich von Followern, Klicks und Likes noch keine Wahlergebnisse ableiten.