Sigmar Gabriel hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sich etwas ändern muss.
Am vergangenen Donnerstag trat der Bundesaußenminister vor die Presse, um eine scharfe "Neuausrichtung der Türkei-Politik" anzukündigen. Es waren ungewöhnlich klare Worte. Es fielen Sätze wie: "Deutsche Bürger sind vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher" oder "Wir erwarten eine Rückkehr zu europäischen Werten". Der entscheidende: "Wir können nicht so weitermachen, wie bisher."
Und dann das. "Come to turkey, discover your own story" - kommen Sie in die Türkei, ergründen Sie Ihre eigene Geschichte. Das ist der entscheidende Satz in einer Werbebotschaft der türkischen Exportvereinigung (Turkish Exporters Assembly), einem Teil des staatlichen Wirtschaftsministeriums. Der rund 100-sekündige Spot preist die Türkei als florierenden Wirtschaftsstandort an, Ex-Nationalspieler Lukas Podolski knipst zur Untermalung ein paar schöne Tore für seinen ehemaligen Verein Galatasaray Istanbul. Der Trailer wurde seit Wochen auf den Nachrichtensendern N24 und n-tv ausgestrahlt. Und auch im direkten Anschluss von Sigmar Gabriels scharfen Worten. Ausgerechnet.
"Come to Turkey" - als wäre nichts gewesen?
N24 und n-tv erteilen Türkei-Spot eine Absage
"Aufgrund der aktuellen politischen Ereignisse haben wir uns entschieden, die Spots nicht mehr zu spielen.", sagt nun N24-Sprecherin Kristina Faßler zum stern. Die umstrittene Kampagne soll bei N24 ab heute nicht mehr zu sehen sein. "Auch wenn wir klar zwischen Programm und Werbung trennen, ist es uns auch wichtig, unser Publikum in Anbetracht der neuesten Entwicklungen nicht zu irritieren."
Das war durchaus der Fall. Wirft man einen Blick in die sozialen Netzwerke, finden sich Posts wie diese: Von "Ist das euer Ernst?" über "Kannste Dir nicht ausdenken" - das Unverständnis der Zuschauer war besonders nach Gabriels Pressekonferenz groß. Nicht zuletzt, weil der seit Monaten inhaftierte Journalist Deniz Yücel für "Die Welt" schreibt, die wiederum zur Dachmarke WeltN24 gehört.
"Werbung wird viel langfristiger geplant und auch auf anderen Systemen", erklärt die Sprecherin weiter. Warum der Spot seit Mitte Juni überhaupt gezeigt wurde, habe aber gute Gründe. "Wir haben keinerlei Interesse daran, dass es der Wirtschaft in der Türkei schlecht geht, denn das schadet zuallererst den ganz normalen Menschen in der Türkei von denen ein sehr großer Teil mutig gegen Erdogan gestimmt hat.", so Faßler zum stern. Auch der Nachrichtensender n-tv sieht nun von einer Ausstrahlung des Spots ab, nachdem sich die politische Lage in den letzten beiden Tagen "grundlegend verändert hat und der Bundesaußenminister inzwischen vor Investitionen in der Türkei öffentlich warnt." Eine weitere Ausstrahlung halte man daher für "nicht sinnvoll", sagt eine Sprecherin zur "WAZ".
"Wahrheit über die Türkei"
Terroranschläge, Massenverhaftungen und das allgemeine Chaos, das Erdogan angerichtet hat, haben den Wirtschaftsaufschwung abgewürgt. Die Touristen bleiben aus, Unternehmen zögern mit Investitionen. Das Wachstum erlahmt, Arbeitlosigkeit und Inflation steigen. Aktuelle und vergangene Schlagzeilen aus der Türkei zeichnen das Bild eines krisengebeutelten Landes. In der Türkei hat man sich daher offenbar gesagt: Es wird dringend Zeit für gute PR.
Hinter der im großen Stil angelegten Kampagne - für die auch Anzeigen in zahlreichen internationalen Zeitungen geschaltet wurden (auch im stern) - steht das Wirtschaftsministerium sowie der Exportverband TIM und der Kammerverband TOBB. Man wolle damit die "Wahrheit über die Türkei" und "wirkliche Lage des Geschäftslebens" verbreiten, hieß es dazu von einer TIM-Sprecherin in der "FAZ". Dafür loben seit Ende März Landeschefs europäischer, amerikanischer und asiatischer Gesellschaften von 16 Unternehmen in der Türkei das Land als sicheren Investitionsstandort. Darunter Schwergewichte wie Unilever und Fiat Chrysler, wie die Zeitung berichtete.
Zum Start der Kampagne hieß es (der stern berichtete), dass die Reklame in sieben Ländern laufen und 500 Millionen Menschen erreichen solle. TV-Spots seien in Deutschland, USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten geplant. "Anbiedern an Erdogans Türkei", titelte die "FAZ" - mit dem Reklamefeldzug wolle man vor allem eigene Investitionen retten. Eine plausible Deutung, die bei aller Kontroverse beinahe in den Hintergrund rückte.
"Schussfahrt in die Diktatur" oder "Sieg über den Terror"?
Auch die "Süddeutsche Zeitung" hat reichlich Kritik eingesteckt, als sie in ihrer Wochenendausgabe (15./16.7.) eine der Türkei-Jubel-Anzeigen ("Sieg der Demokratie über den Terror") veröffentlicht hat.
Wenige Seiten zuvor der Aufruf in einem Kommentar: "Auf in die Türkei". Autor Detlef Essinger führt durchaus nachvollziehbare Gründe an. Man solle nicht ein "ganzes Volk meiden, weil einem dessen Herrschende zuwieder sind." Doch schreibt er auch, dass sich die Türkei auf einer "Schussfahrt in die Diktatur" in die Diktatur befinde. Man ist geneigt zu fragen: Was denn nun?
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Kurz: Redaktionelle Inhalte und Anzeigen sind auch bei der "Süddeutschen Zeitung" klar getrennt - vielleicht waren sie es auch in diesem Fall zu sehr.