Hätte er mal nicht zu früh geplaudert. Hätte Hans-Hermann Tiedje, schillernder und CDU-naher Medienberater, einfach mal den Mund gehalten. Die Taktik nicht schon vor knapp zwei Wochen im Berliner "Tagesspiegel" herausposaunt. "Da wird es rumsen, da gibt's auf die Glocke", hatte er sich das TV-Duell in Schleswig-Holstein schon ausgemalt. "Die werden sich gegenseitig derart beharken, die brauchen keine Fragen von Journalisten. Besser geht's nicht."
Doch, es geht besser. Vor allem für Peter Harry Carstensen, den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Der verlor das Duell im NDR gegen seinen sozialdemokratischen Herausforderer Ralf Stegner - vor allem, weil er auf Scharfmacher wie Tiedje gehört hatte. Aber der Reihe nach.
SPD-Mann Stegner hat im Land zwischen den Meeren den Ruf eines Quertreibers, er gilt als arrogant und besserwisserisch. "Er wird, mit Verlaub, von den Menschen als Kotzbrocken wahrgenommen", behauptete Demoskop und Forsa-Chef Manfred Güllner vor einiger Zeit unverblümt. Der Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten ist deshalb nicht nur ein Ringen um Schwarz-Gelb (will Carstensen) oder Rot-Rot-Grün (schließt Stegner nicht aus), sondern um die Sympathie der Wähler. Angeheizt wird der Anti-Personen-Wahlkampf durch eine seit Jahren genährte Intimfeindschaft zwischen den Kandidaten. Es kann nur einen geben, signalisieren beide. Ihn oder mich!
Stegner hält sich zurück
Harvard-Absolvent Stegner kann Carstensen im Zweifel immer an die Wand quatschen. Oder so lange piesacken, bis das Gesicht des als "König der Volksfeste" verhöhnten Politikers aus Nordstrand die Farbe der Lübecker Backsteinhäuser annimmt. Aber er weiß: Das kommt nicht an.
Deshalb hält er sich im Duell betont zurück. Immer wieder bittet er darum, "über die Zukunft des Landes" reden zu wollen. Der SPD-Linke argumentiert für den Mindestlohn, gegen die Atomkraft und eine höhere Besteuerung von Einkommen ab 20.000 Euro im Monat.
Die Wahl
Die Schleswig-Holsteiner wählen am 27. September neben dem Bundes- auch den Landtag. Peter Harry Carstensen (CDU) hat bislang mit einer Großen Koalition regiert. Ralf Stegner (SPD) war zunächst Innenminister, zog sich auf Druck der CDU aber zurück auf den Fraktionsvorsitz. Als Grund dafür gelten seine stetigen Attacken auf die CDU. "In der Koalition waren wir nicht Partner, sondern Gegengewicht", sagte er stern.de.
Carstensen dagegen schafft es, in jeder Frage nach seinen Plänen irgendwo einen direkten Angriff auf Stegner unterzubringen. Bei dem Ausbau von erneuerbaren Energien soll Stegner, der sich offen für den Ausbau einsetzt, in Wahrheit das Gegenteil im Sinn haben. Die milliardenschwere Rettung der HSH Nordbank (die das Land an den Rand der Pleite gedrückt hat, das nördlichste Bundesland ist mit 23 Milliarden Euro verschuldet) hätte Stegner verhindern können, wenn er zu seiner Zeit als Finanzminister regelmäßiger an den Aufsichtsratssitzungen teilgenommen hätte. Als Stegner merkt, wie absurd die Versuche Carstensens (der sich bei der Rettung der Landesbank reichlich dilettantisch verhalten hat) wirken, die Schuld auf den Sozialdemokraten abzuwälzen, geht er kurzzeitig in die Offensive: "Wahrscheinlich waren Sie gar kein Ministerpräsident!"
Carstensen wie hormonbehandelt
Carstensen, durch schwindende Umfragewerte in der Defensive, übernimmt in diesem Duell ansonsten die Rolle des Herausforderers. Der Christdemokrat, der normalerweise wie ein Bernhardiner durchs Land tapst, hat den Terrier in sich entdeckt. Er weist Stegner wie einen Schuljungen zurecht ("Seien Sie mal ganz still!") und geht ihn bereits nach wenigen Minuten sehr persönlich an ("Ich muss mir keinen Zettel hinlegen, wo 'Smile' draufsteht"). Carstensen, der normalerweise den gemütlichen Schnack auf Platt genießt, wirkt wie hormonbehandelt.
Die Umfragen
Die CDU liegt einer Forsa-Umfrage im Auftrag der "Lübecker Nachrichten" zufolge nur noch bei 31 Prozent und erhält damit fast zehn Prozentpunkte weniger als bei der Landtagswahl vor vier Jahren. Die FDP liegt bei 16 (2005: 6,6) Prozent. Damit käme Schwarz-Gelb auf 47 Prozent - ein Prozentpunkt weniger als ein Linksbündnis aus SPD, Linkspartei, Grünen und SSW. Allerdings ist kurz vor der Wahl noch fast jeder Dritte unentschlossen, wo er sein Kreuz macht.
Stegner hatte genug Zeit, sich auf einen wild gewordenen Carstensen vorzubereiten. Durch Äußerungen wie jene von Hans-Hermann Tiedje oder die aggressiven Online-Videos der CDU, waren früh Anzeichen sichtbar, wie Carstensen sich im Duell verhalten würde. Stegner überlegte: Wie kommen persönliche Angriffe rüber? Wie wirkt jemand, der dem anderen ständig ins Wort fällt? Wie wirkt ein aggressiver Duellant? Stegner wusste, dass so etwas derzeit nicht ankommt, und es war ihm klar, dass Carstensens Truppe nur darauf wartete, den gewieften und scharfzüngigen Redner zu provozieren. Er sollte sich zu einem seiner hämischen und arroganten Kommentare hinreißen lassen, Carstensen vielleicht wieder einen "feigen Sack" nennen, wie er es schon einmal getan hatte. Wer weiß, was sie sich ausmalten, im Kieler CDU-Haus.
Ralf Stegner hat ihnen den Gefallen nicht getan.