Zwischenruf In Schröders Schatten

  • von Hans-Ulrich Jörges
Er kann nicht loslassen, er hat noch eine Rechnung offen, er führt im Hintergrund Regie: Der Ex-Kanzler dominiert wieder die SPD - und wird damit zur Belastung statt zur Hilfe für den Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier.

Sein Schatten ist nicht mehr zu übersehen. Er liegt auf seinen Nachfolgern und er ist auf seine Partei gefallen, schwer und dunkel, am Europa-Wahltag. Denn den Wählern ist er nicht verborgen geblieben, den sozialdemokratischen zumal. Einiges spricht dafür, dass der Schatten Gerhard Schröders die SPD so urplötzlich - und nur scheinbar rätselhaft - zurückgeworfen hat.

Denn dieser Schatten weckt traumatische Erinnerungen. An Jahre der Unterwerfung der Partei unter seinen Willen. An Hartz IV und die erzwungene Zustimmung zu einem Projekt, das die Linkspartei erst möglich machte. An den selbst gewollten Abschied von der Macht durch vorgezogene Neuwahlen, die Zustimmung erpresst in einer bizarren, tief verstörenden Bundestagssitzung. An die sieben schillernden Schröder-Jahre. An den unvergesslichen Wahlabend 2005, als die Fernsehnation zusah, wie er das Ende abzuwenden suchte, das selbst herbeigeführte, mit fast putschistischen Emotionen.

Der Mann, der nicht weichen will

Nun wird er wieder sichtbar, überall, der Mann, der nicht weichen will. Der abgewählt wurde und das nicht verwunden hat, bis heute nicht, der deshalb eine Rechnung offen hat mit seiner Nachfolgerin. Der politisch keine Ruhe findet.

Schröder: Das ist die Zuflucht der SPD zur Industriepolitik alten Stils, zu Rettungsoperationen à la Holzmann. "Wir haben bei Holzmann kein Steuergeld verplempert", hat er Ende Mai in der alten Gebläsehalle der Ilseder Hütte verkündet. In einer Art Regierungserklärung für seine Nachfolger in der SPD. Die sie gehört und angenommen haben.

Schröder: Das ist das vermeintliche Rettungsprogramm für Opel mit der Sberbank Wladimir Putins und dem russischen Autowerk Gaz. "Wer hat andere, interessante Märkte im Auge?", warb er damals für eine Zukunft in Russland.

Schröder: Das ist der Angriff auf "diesen Baron da aus Bayern", den Freiherrn zu Guttenberg, der sich dem Russland-Deal verweigern wollte und deshalb ausersehen war, dem "Professor aus Heidelberg", Paul Kirchhof, nachzufolgen, als Schmerzensmann im Wahlkampf.

Schröder: Das ist das Brandmarken der "geordneten Insolvenz", von der zu Guttenberg sprach. "Die Opel-Leute wissen schon, dass Insolvenz nahe an der Pleite ist", sagte der Russland-Werber. Sie sollten nicht wissen, dass Insolvenz Entschuldung heißen kann und Rettung des gesunden Kerns.

Schröder: Das ist die Ablehnung von Fiat als Investor. Fiat und Opel und Chrysler, das hätte zur Konkurrenz werden können für den VW-Konzern des ehemaligen Regierungschefs von Niedersachsen.

Schröder: Das sind Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier, erkennbar nun wieder als seine Leute. Der eine Parteichef in der Endphase des Kanzlers, beteiligt am Neuwahl-Projekt, der andere als Stratege und Hausmeier im Kanzleramt, der eigentliche Autor der Agenda 2010.

Taktische Windungen

Erkennbar sind schließlich auch wieder der Unernst, die taktischen Windungen und Wendungen, die Widersprüche der Schröder-Politik. Seinen Steuersenkungen für Spitzenverdiener folgt nun die höhere Reichensteuer im SPD-Programm.

Die CDU hat einen Schnitt mit Helmut Kohl gemacht, die SPD nicht mit Gerhard Schröder

"Der Staat muss an der Seite der arbeitenden Menschen stehen", ruft er in die Ilseder Hütte - der Mann, der dem Aufsichtsrat der Gasprom-Tochter für die Ostsee-Pipeline vorsitzt, den Schweizer Großverleger Ringier berät, bei der New Yorker Redneragentur Harry Walker unter Vertrag steht, dem Europa-Beirat der Rothschild-Bank und dem Verwaltungsrat des drittgrößten russischen Ölkonzerns TNK-BP angehört und in einem Interview gesagt hat: "Wenn einer sehr viel Geld verdient, soll er doch!"

Die CDU hat einen Schnitt mit Helmut Kohl gemacht, die SPD nicht mit ihm. Das gibt dem Gespann Müntefering- Steinmeier etwas Provisorisches, Unselbstständiges, Gelenktes. Für den Kanzlerkandidaten, der ein integrer Mann ist und zur Eigenständigkeit entschlossen war, bedeutet das einen Bruch mit weitreichenden psychologischen Folgen: Das Bild eines zweiten Mannes verfestigt sich.

Das Publikum sucht Glaubwürdigkeit, Rückgrat, Unabhängigkeit. Nur daraus leitet zu Guttenberg seine Stärke ab. Und das Publikum hat eine tiefe Abneigung gegen Großindustriepolitik - sein Herz schlägt für die Kleinen, die Handwerker und Mittelständler, die im Schatten stehen.

Das neue SPD-Gespann aber erscheint plötzlich als Verlängerung des alten Regimes - durch die Köpfe wie im Denken. Auch wenn es fast frivol klingt: Unter Kurt Beck war die Partei da schon mal weiter.

Sie will abschließen mit der Ära Schröder, neu beginnen. Das war bildmächtig zu beobachten in der Bundesversammlung, bei der Wiederwahl Horst Köhlers.

Doris Schröder-Köpf saß da, bevor die Sitzung eröffnet wurde, als Wahlfrau lange Zeit einsam und schweigend zwischen den Genossen, die Stühle um sich herum frei. Als habe sie einen Makel.

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