Massive Mandatsverluste Warum Putin nicht der Gewinner, sondern der Verlierer der Regionalwahlen ist

Russlands Präsident Wladimir Putin
Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" verliert bei Regionalwahlen viele Mandate
© Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik Kremlin / DPA
In Russland sind neue Gouverneure und Regionalparlamente gewählt worden. Die Partei von Wladimir Putin beansprucht den Sieg für sich. Doch was nach einem Erfolg aussieht, ist für den Kreml ein bitterer Verlust. 

Es war ein Mammut-Programm. In 41 der 85 Regionen waren die Russen zwischen Freitag und Sonntag zur Stimmabgabe gerufen, insgesamt gab es rund 9000 verschiedene Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen. Stadträte, Bürgermeister, Gouverneure und auch vier Abgeordnetenposten für die Staatsduma in Moskau waren zu besetzen. Es klingt wie ein Fest der Demokratie – doch von den 40 Millionen an die Urnen gerufenen Russen kam nur ein Bruchteil. In vielen Regionen lag die Wahlbeteiligung zwischen 20 und 40 Prozent. 

Dennoch sind die Regionalwahlen für Moskau wichtig. Sie gelten traditionell als wichtiger Stimmungstest für die Parlamentswahl, die im nächsten Jahr ansteht. Für Staatschef Wladimir Putin und die Regierungspartei "Einiges Russland" steht viel auf dem Spiel. Es überrascht wenig, dass Putins Partei den Sieg für sich beansprucht. Schließlich dürfen alle Kreml-treuen Gouverneure dürfen auf ihren Posten bleiben. Doch schaut man sich die Zahlen genauer an, offenbart sich, wie dünn das Eis unter Putins Füßen geworden ist.

"Einiges Russland" verliert Mandate 

In neun der elf Regionen, in denen ein neues Regionalparlament gewählt wurde, wird "Einiges Russland" Mandate einbüßen. In der Republik Komi im Nordwesten des Riesenreiches muss die Partei die größten Verluste hinnehmen. Hier kam sie auf 28 Prozent der Stimmen. Bei den Wahlen 2015 waren es noch 58 Prozent. Im Parlament wird "Einiges Russland" nun maximal acht statt 15 Sitze bekommen. Die Wahlbeteiligung ist in der Region zudem von 50 auf 30 Prozent gesunken.

In der Region Kostroma hat die Regierungspartei ebenfalls einen erheblichen Teil ihrer Wähler verloren. 32,5 Prozent hat sie dort nach offiziellen Angaben erreicht , 2015 waren es 51 Prozent. Nur zehn von 35 Mandaten werden nun an "Einiges Russland" gehen.

In vier weiteren Regionen verzeichnet die Regierungspartei Verluste zwischen elf und 15 Prozent. Und so verbucht zwar "Einiges Russland" in zahlreichen Regionen den Sieg für sich, doch es wird klar: Die Machtbasis Putins in der Provinz bröckelt.

Nawalnys Verbündete ziehen in die Stadträte ein 

Auch in der Stadtduma von Tomsk hat "Einiges Russland" die Mehrheit verloren. Statt auf 21 kommt sie nun nur noch auf elf Sitze. Zudem schafften es zwei Mitstreiter von Alexei Nawalny in den Stadtrat: Xenia Fadeewa und Andrej Fateew.

In Nowosibirsk, der gemessen an der Einwohnerzahl drittgrößten Stadt Russlands, gewann der Oppositionspolitiker und Nawalny-Verbündete Sergej Bojko ein Mandat im Stadtrat und verdrängte einen Kandidaten der Kommunistischen Partei, der seit 24 Jahren sein Mandat innehatte und treu dem Kreml diente. Die Kommunistische Partei wird zur "systemischen Opposition" gezählt, die vorgibt, eine Alternative zu "Einiges Russland" zu sein, aber de facto den Vorgaben des Kremls folgt.

Bojko war es gelungen, eine Koalition von unabhängigen Oppositionellen zur "Koalition Nowosibirsk 2020" zu vereinen. 31 von ihnen traten zur Wahl des Stadtrats an. Neben Bojko gewannen noch Helga Pirogowa and Anton Kartawin ihre Wahlkreise. 

Wieder "Baumstumpf-Wahlen" 

Nicht nur die niedrige Wahlbeteiligung, sondern auch die Rahmenbedingungen der Wahl waren einer gefestigten Demokratie kaum würdig. Anstatt in regelkonformen Wahllokalen ihre Stimme abzugeben, mussten die Russen ihre Abgeordneten auf Bushaltestellen, Parkbänken oder provisorischen Ständen in Innenhöfen oder Spielplätzen wählen. "Baumstumpf-Wahlen" hat der Volksmund diese Art von Wahlen längst getauft. Bereits bei der Abstimmung über die Verfassungsänderung im vergangenen Juli haben die Baumstümpfe, auf denen die Wahlurnen aufgestellt worden waren, eine traurige Berühmtheit erlangt.

Die Bilder der "Baumstumpf-Wahlen", die nun erneut die sozialen Netzwerke fluten, zeigen nicht nur so symbolisch wie eindrücklich den Zustand der Demokratie in Russland, sondern enthüllen auch eine Seite des Putin-Reichs, die der Kreml-Chef am liebsten vor der ganzen Welt verbergen möchte: Russland ist marode und das Land versinkt in Armut. Überall zu sehen waren: zerfallene Häuser, zerrüttete Straßen, ausgezehrte Gesichter.

Im Staatsfernsehen werden diese Bilder nicht gezeigt. Passen sie doch so gar nicht zur Propaganda des Kremls, die Russland als eine Supermacht der Superlative und Putin als einen Messias präsentiert, der das Land "von den Knien erhoben hat".

Bilder, die über Twitter verbreitet wurden, zeigen ein Wahllokal in Tambow, der rund 400 Kilometer südöstlich von Moskau gelegenen Hauptstadt der gleichnamigen Region. Der Gouverneur von Tambow, Alexander Nikitin, bekam übrigens nach offiziellen Angaben 86,5 Prozent der Stimmen. 

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Massive Manipulationen 

Unabhängige Wahlbeobachter kritisieren zudem gravierende Manipulationen. In mehr als 1000 Berichten werden Verstöße bei der Stimmabgabe kritisiert. In sozialen Netzwerken berichten die Menschen von unzähligen Fälschungen. In Krasnodar stellten Wahlbeobachter fest, dass in einem der Wahlbezirke 226 Wahlzettel einfach hinzugemischt wurden. In Perm wurden Mitarbeiter eines Kindergartens dabei gefilmt, wie sie nach der Abgabe ihrer Stimmzettel Vorgesetzten Bericht erstatteten. Die Nötigung von staatlichen Angestellten zur Stimmabgabe wurde bereits bei den vergangenen Wahlen oft dokumentiert. Auch Mitarbeiter von Gazprom, dem staatlichen russischen Erdgas-Förderunternehmen, und Studenten wurden in Perm offenbar zur Stimmabgabe genötigt.

Heimlich angefertigte Aufnahmen aus anderen Regionen zeigen etwa, wie Mitarbeiter der Wahlkommission in die Wahlkabinen zu den Wählern gehen, Mappen mit den Stimmzetteln austauschen oder schlicht den Wählern zeigen, wo sie ihr Kreuzchen machen sollen. 

Vertreter der Wahlbeobachter-NGO Goloss sprachen von "Willkür", die am Tag der Abstimmung in den Wahllokalen herrschte. Mehr als 1500 Meldungen über Unregelmäßigkeiten seien bei der NGO eingegangen, ein Rekord.

Ein glorreicher Sieg für Putin? Eher: für seine Propagandaleute und jene, die manipulierten.