ICE-Überprüfung Die Achsen des Ärgers

Das Dauer-Spezial der Bahn: Pro Woche können nur zwei ICE-Züge mit Neigetechnik durchgecheckt werden. Jetzt gibt aber ein Notfahrplan Auskunft, welche Zugnummern von Ausfällen betroffen sind.

Montagmorgen um sieben Uhr morgens auf dem Berliner Hauptbahnhof: Auf Gleis 7 wartet eine große Zahl von Pendlern auf den ICE nach Hamburg. Dann kommt auch die Durchsage: "Der Zug hat fünf bis zehn Minuten Verspätung". Nichts Ungewöhnliches, aber dann heißt es: "Der ICE 1518 wird nur mit einem Zugteil einfahren." Schon bei normaler Länge ist es schwierig, ohne Reservierung einen Sitzplatz zu finden. Heute ist der Zug aber nur halb so lang wie üblich.

Die Menschentraube will mit ihrem Wochenendgepäck in einen nur halb so langen Zug einsteigen und positioniert sich vor den schmalen Waggontüren. Denn wer zuerst drin ist, hat vielleicht noch Chancen auf einen Platz. Binnen weniger Minuten ist der Zug überfüllt. Als der ICE anfährt, sitzen die Leute auch auf ihren Koffern in den Gängen oder gleich auf dem Boden. Viele müssen stehen. Die Luft ist stickig und die Stimmung gereizt. Aber man nimmt Rücksicht, rückt zusammen, steigt vorsichtig über die auf dem Boden sitzenden Reisenden hinweg, die vor ihrem Arbeitsbeginn in Hamburg noch ein wenig dösen möchten.

Mit 15 Minuten Verspätung erreicht der verkürzte ICE die Hamburger Stadtgrenze. Die Reisenden greifen zu ihren Handys: "Ich komme heute eine Viertelstunde später ins Büro. Bis gleich." Solche Gespräche werden dutzendweise geführt. Nicht nur auf der Strecke Berlin - Hamburg, auch auf den Routen von Berlin über Leipzig nach München und zwischen dem Ruhrgebiet, Frankfurt und Passau ist der ICE-Verkehr nachhaltig gestört (siehe Infografik). Zu Stoßzeiten liegen die Nerven bei den Bahnfahrern blank. Der Achsentest erweist sich als das neue Dauer-Spezial der Bahn.

Verspätung nach Plan

Die zeitaufwendigen Sonderkontrollen an den ICE-T-Neigetechnikzügen wurden erforderlich, weil sich bislang in zwei Fällen Rissen in den Zugachsen gebildet hatten. Pro Woche können aber nur zwei Züge durchgecheckt werden. Die Überprüfung kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Im Herbst steigen wegen des schlechten Wetters viele Reisende vom Auto auf die Bahn um. Außerdem werden zum 14. Dezember die Bahntarife um durchschnittlich 3,9 Prozent erhöht. "Die Kunden werden verärgert sein, wenn sie einerseits höhere Fahrpreise zahlen müssen und anderseits unter überfüllten Zügen oder sogar Zugausfällen leiden", so ein Bahnmanager.

Die Bahn hofft, ab Mitte Dezember die schlimmsten ihrer Probleme im ICE-Verkehr überwunden zu haben. Dann würden auch die vier ICE-T-Strecken wieder nahezu planmäßig bedient, die jetzt wegen der Sonderüberprüfungen der Achsen besonders beeinträchtigt seien, sagte ein Bahnsprecher am Montag in Berlin. Allerdings würden dann immer noch Ersatz- statt ICE-Züge zum Einsatz kommen. Damit korrigierte der Sprecher eine Hiobsbotschaft vom Wochenende. "Bild am Sonntag" hatte berichtet, die Überprüfung aller 70 ICE-Züge mit Neigetechnik dauere noch bis Februar. Erst ein Viertel der ICE-T-Züge sei bereits kontrolliert. Auf den von Ausfällen betroffenen vier Linien würden mit dem Fahrplanwechsel ab Dezember die Fernzüge "zu 97 oder 98 Prozent nach Plan fahren". Wegen der Sonderkontrollen der Achsen sind Teile der ICE-T-Flotte bis Februar nicht einsetzbar.

Was Bahnkunden wissen müssen

Nach Bahnangaben verkehren angeblich 90 Prozent des Fernverkehrs planmäßig. Aber Pech hat, wer erst auf dem Bahnsteig vom Zugausfall erfährt. Eine vom Fahrgastverband Pro Bahn geforderte verlässliche Fahrplanvorschau ist inzwischen online. Als hilfreich erweist sich die ständig aktualisierte Bahn-Sonderseite, die Abweichungen vorab nennt sowie über den Einsatz von Ersatzzügen und Fahrzeit-Verlängerungen informiert.

Auf den betroffenen Strecken zeigt sich die Bahn inzwischen kulant. Kunden, die wegen der Beeinträchtigungen ihre Reise nicht antreten konnten, dürfen ihre Fahrkarten und Reservierungen bis zum 30. November kostenlos umtauschen oder erstatten lassen. Auch Zeitkarten werden anteilig erstattet. Bei Angeboten, die nur für die gebuchte Reiseverbindung gültig sind wie das Dauer-Spezial, kann die "nächstgelegene Reiseverbindung" genutzt werden. Es darf ein Zug früher oder später genutzt werden. Wird nur ein IC statt eines ICE benutzt, erstattet die Bahn den Differenzbetrag.

Die Erstattung fordert allerdings viel Geduld am Schalter. Andrang und Informationsbedürfnis sind groß. Im Callcenter hat sich die Lage beruhigt. Wer vor wenigen Tagen wegen einer anderen Frage den Telefonservice für seine Bahncard erreichen wollte, wurde von eine Ansage vertröstet: "Bitte rufen Sie nächste Woche wieder an."

Karte der betroffenen Strecken

Zum Online-Notfahrplan der Bahn

Aktuelle Infos
Ersatzfahrplan der Bahn: www.bahn.de/blitz/view/index.shtml

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