Anzeige
Anzeige

New York City Das Hoch im Süden Manhattans

New York ist zurück, selbstbewusster, monumentaler und stolzer denn je: 15 Jahre nach dem Einsturz der Zwillingstürme hat sich Lower Manhattan neu erfunden. Blick auf eines der spannendsten Viertel New Yorks.

Als Floyd Maxson den Bell-Helikopter auf 150 Meter zieht, taucht in der Ferne die Süsspitze Manhattans auf. Die Antenne des neuen World Trade Center verschwindet an diesem Morgen in einer dichten Wolkendecke. Maxson mag dieses Wetter. "So scheint die Skyline dem Himmel noch näher", sagt er und drückt den Steuerknüppel nach links. Die Maschine dreht eine Runde über dem Finanzviertel. "Da unten war es nach 9/11 kahl wie eine Wüste. Kriegsgebiet. Doch jetzt verändert sich die Skyline im Zeitraffer." 

Maxson, 59, fliegt reiche New Yorker zu ihren Privatjets und Wochenendhäusern. So wie Robert De Niro und Donna Karan. Doch wenn er über Manhattan schwebt, achtet er oft gar nicht darauf, wer neben ihm sitzt. Neulich fragte er einen Passagier: "Und was machen Sie so beruflich?" Der Mann antwortete: "Ich bin Athlet." Später sagte ein Kollege: "Hey, das war doch Michael Phelps." Gegen die Skyline von Manhattan verblasst sogar der größte Olympionike aller Zeiten.

Sanft setzt die Maschine am Heliport vor der Brooklyn-Bridge auf. Zum Abschied hebt Maxson die Pilotenbrille. Die Wolken sind jetzt aufgerissen. Wie Diamanten funkeln die Glasfassaden der Hochhäuser. Auf dem East River flitzen Motorboote. Über die Stadtautobahn am Manhattan-Ufer wälzt sich der Berufsverkehr. Bis zum Großereignis des Tages ist es noch eine Stunde hin: die Eröffnung des Westfield- Shoppingcenters. Die Mall ist Mittelpunkt des neuen "Oculus", der Haupthalle des Zentralbahnhofs im Süden der Stadt, erschaffen von Stararchitekt Santiago Calatrava. Mit einer 49 Meter hohen Kuppel aus über hundert Stahlspitzen gleicht sie den überdimensionalen Schwingen eines Adlers. Manche sagen, es sei der spektakulärste Bau überhaupt in Manhattan.

New York ist zurück

Die weißen Streben des Oculus erinnern an die Stahlstruktur der Zwillingstürme. 15 Jahre ist es her, dass zwei Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen. Fast 2800 Menschen starben, 1,2 Millionen Quadratmeter Bürofläche wurden vernichtet, 430 Firmen verloren ihre Heimat. Das World Trade Center war nicht nur das mächtigste Gebäude des Landes, hier schlug sein wirtschaftliches Herz. US-Aktien verloren binnen einer Woche sagenhafte 1,2 Billionen Dollar.

Doch 15 Jahre später ist New York zurück. Und wie! Noch selbstbewusster, stolzer, monumentaler denn je. In diesen Tagen hat man das Gefühl, die ganze Welt würde sich nur um New York drehen. Auf der Fashion Week stellen große Designer ihre Frühjahrskollektionen vor. Und beide Kandidaten für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten haben das Headquarter hier in der Stadt: Hillary Clinton hat ihre Wahlkampfzentrale in Brooklyn aufgeschlagen. Vor dem schwarzen Trump Tower an der Fifth Avenue stehen ständig die TV-Teams von NBC, ABC, CNN.

Vor allem aber ist da der Finanzdistrikt. Das einst zerstörte Zentrum Lower Manhattans ist so prachtvoll wiederauferstanden, dass es allein eine Reise wert ist. Eine unmissverständliche Demonstration von Kraft und Stärke. Fünf neue Wolkenkratzer wurden gebaut. Im Juni, beim Richtfest des dritten Turms, trat Gewerkschaftsboss Gary LaBarbera vor 1000 Bauarbeiter, Männer, die in 300 Meter Höhe schweißen und hämmern. Ihnen standen Tränen in den Augen, als LaBarbera rief: "Wenn ihr durch die Straßen von New York geht, könnt ihr voller Würde sagen: Wir waren dabei. Wir haben das World Trade Center wieder aufgebaut. Wir haben es für unsere Nation getan. Für die gesamte zivilisierte Welt."

Mit 541,3 Metern ist das 2014 eröffnete "One World Trade Center" das höchste Gebäude der westlichen Hemisphäre. Und das sicherste. Allein die Kontrollschleuse für Fahrzeuge kostete 40 Millionen Dollar. Und nun eröffnet der "Transportation Hub" mit der Oculus-Halle. Entstanden für das Doppelte der veranschlagten Bausumme von etwas mehr als zwei Milliarden Dollar. Der Eingang zwischen den weißen Stahlspitzen entlang der Church Street wirkt noch bescheiden. Doch wenn sich das Innere vor einem auftut, wird man fast erschlagen. Blendend weißer Marmor, so weit der Blick reicht. Die Kuppel aus 1000 Scheiben Panzerglas öffnet sich zum Himmel, sodass von allen Seiten Licht hineinfällt. Das Auge kann sich nirgendwo festhalten. Nach wenigen Sekunden weiß man kaum noch, wo oben und unten ist. New York zum Schwindeligwerden.

Lebenswertes und liebenswertes Manhattan

Doch das Bemerkenswerteste für die Veränderungen in Lower Manhattan ist nicht der Gigantismus. Den setzt man ohnehin voraus. Es sind Menschen wie Annie Hudson, die den großen Unterschied zwischen Gestern und Heute belegen. Annie trägt Piercings im Gesicht und Tattoos an allen Gliedmaßen, sie marschiert mit zwei Terriern und einem Labrador-Mischling über die Wall Street. Auf ihrer Visitenkarte steht: "Liebevolle Hundepflege im Finanzviertel."

"Ich habe mein Business vor sechs Monaten angefangen", erzählt sie. "Heute beschäftige ich vier Mitarbeiter." 17 Dollar kostet bei ihr eine halbe Stunde Gassi gehen. Hudsons Geschäftsmodell zeigt beispielhaft, dass der Stadtteil für viele New Yorker ein überaus lebenswerter geworden ist.

Vor 2001 war er ein Büroviertel, in dem Straßen nach 17 Uhr ausstarben. Damals lebten hier gerade mal 20.000 Menschen. Nach 9/11 glich die Gegend auch tagsüber einer Geisterstadt. Die großen Firmen gingen fort und viele der Bewohner auch. Inzwischen ist die Bevölkerung auf über 60.000 angewachsen, anfangs weil die Mieten günstig waren. Doch jetzt lebt sogar Leonardo DiCaprio hier. "River Terrace 2", bestätigt Hudson. "Seine Mutter hat zwei Hunde. Hoffentlich ruft sie an."

Kaum jemand hat die Veränderungen in diesem Viertel so erlebt wie Lynn Wagenknecht, eine zarte Frau mit kurzen grauen Haaren und blauen Augen. Sie empfängt im "Odeon", ihrem Restaurant in Tribeca, das die Angestellten von "Vogue" und "Vanity Fair" zu ihrer Kantine auserkoren haben, seit sie mit ihrem Verlag Condé Nast ins One World Trade Center gezogen sind. Das Odeon eröffnete 1980, in einer Zeit, als es hier nichts als alte Fabrikgebäude und Büros gab. "Nachts war die Gegend tot", sagt Wagenknecht – doch dann kam sie gemeinsam mit zwei Brüdern, mit denen sie zuvor ein anderes Restaurant betrieben hatte. Sie brachten ihre Stammgäste mit, die Crew von "Saturday Night Live", der berühmten amerikanischen Comedyshow.

John Belushi stand mit vielen anderen vor den Toiletten Schlange, weil alle Lust hatten auf das, was sie "Bolivianisches Marschier-Pulver" nannten. Kokain. Das Odeon war so etwas wie die Restaurant-Version des Studio 54. Andy Warhol traf sich hier mit Keith Haring. Damals sah man die Zwillingstürme, wenn man vor dem Odeon stand.

30 neue Hotels in Lower Manhattan

Heute blickt man von dort auf das One World Trade Center; Lynn Wagenknecht hat den Turm wachsen sehen. "Ich kann ihn nicht angucken, ohne an das zu denken, was dort war. Aber ich bin froh, dass er da ist." Er stehe für den Geist der Stadt: New York City lässt sich nicht unterkriegen. Ebenso wie das Odeon: Nach dem 11. September war die Gegend abgesperrt. Dafür kamen im Odeon die Anwohner zusammen, es gab kalte Speisen, die sich ohne Strom zubereiten ließen und den Helfern auf Ground Zero serviert wurden. Dann kam die Finanzkrise, 2008, als es wieder finster wurde in Wall-Street-Nähe. Und Hurrikan "Sandy", der den Hudson im Herbst 2012 so weit über die Ufer spülte, dass Trümmerteile bis zum Odeon trieben und die Fensterfront zerlegten. "Ohne unser Stammpublikum hätten wir all die Jahre nicht überlebt", sagt Wagenknecht.

Weit weg erscheint diese Krisenzeit heute. In der Stone Street ganz nahe der Wall Street, die mit ihrem alten Kopfsteinpflaster und den vielen Kneipen auch nach England passen würde, sitzen Touristen und Banker an langen Tischreihen. Die einen erholen sich vom Bummel durch den Battery Park, die anderen von einem harten Vormittag an der Börse. Bier und Wein sind beiderseits beliebt. Man kommt schnell ins Gespräch.

Das neue Lower Manhattan ist so entspannt und gastfreundlich wie nie. Rund 30 neue Hotels wurden errichtet, fast täglich eröffnen Restaurants. Es gibt Burger-Läden, die saftige Thunfischsteaks zwischen die Brötchenhälften legen, und Wiener Schnitzel fast so gut wie in Österreich. Wer ein kleines Budget hat, geht am besten zu einem der beliebten Food-Trucks.

An der Water Street wird man von Donald Haynes bedient. Haynes ist ehemaliger Detective der New Yorker Polizei. "Seit ich in Pension bin, helfe ich meinem Stiefsohn, sich den Traum vom eigenen Restaurant zu erfüllen." Der junge Mann steht in der kleinen Küche des feuerroten "Soul-Food-Mobils" und zaubert scharfe Köstlichkeiten aus Shrimps und frischen Salaten. Und was sagen Haynes' ehemalige Cop-Kollegen? "Die kommen natürlich zu uns zum Essen."

Für Erholung ist Zeit im nächsten Leben

Auf solche Geschichten stößt man immer wieder in New York. Und auch wer wissen will, wie das damals war am 11. September 2001, wird Menschen finden, die ihr Herz öffnen und erzählen. So wie Minas Polychronakis, der 1970 von der griechischen Insel Kreta einwanderte. Ohne Schulbildung, nur mit dem Wissen, wie man Schuhe repariert. Er schuftete, bis er sich einen kleinen Laden im Untergeschoss des alten World Trade Center leisten konnte. "Als der erste Turm einstürzte, ging ich gerade vor die Tür, um eine zu rauchen", erzählt Polychronakis. "Nur deshalb lebe ich."

Heute liegt das Geschäft des 75-Jährigen nicht weit entfernt in der Hanover Street. Im Regal steht ein Gurkenglas, das mit grauem Staub gefüllt ist, wie er nach 9/11 ganz Lower Manhattan bedeckte. "Aber das war mein altes Leben", sagt Polychronakis. "Man muss vergessen können, um wieder glücklich zu sein."

Mit der Sonne verschwinden die Menschenmassen langsam aus dem Finanzviertel. Den Touristen steht trotz der Anstrengungen des Tages die Vorfreude aufs Abendprogramm ins Gesicht geschrieben. Wie heißt es doch in New York: Für Erholung ist Zeit im nächsten Leben. Vielleicht sind sie auf dem Weg in den berühmten "Smalls Jazzclub" an der 10th Street. Oder zum Basketball im Madison Square Garden. Oder zum Broadway, wo die Musical- Welt einen neuen Hype erlebt.

Den verdankt sie dem Megahit "Hamilton" – einer Hip-Hop-Version über das Leben eines der Gründerväter der Vereinigten Staaten, Alexander Hamilton. Die meisten Darsteller sind schwarz, der von Präsident George Washington ein Latino. Leider sind die Karten für dieses Jahr ausverkauft oder nur für Preise bis zu 1500 Dollar zu haben. Was also tun, um "Hamilton" doch zu sehen? Veronica Claypool sitzt in einem Thai-Restaurant am Broadway und blickt über ihr Weinglas. Sie war Jurymitglied bei den Tony- Awards, dem amerikanischen Musical- Oscar, als "Hamilton" in elf Kategorien abräumte. "Ich würde es mit der Ticket-Lotterie im Internet versuchen", rät Claypool. "Ansonsten: keine Chance."

Warum sind die Tickets so teuer?

"Die Produktionen sind zu aufwendig und die Broadway-Theater zu klein. Die 21 größten haben maximal 1800 Plätze. In den Madison Square Garden passen zehnmal so viele Menschen." Und welches bezahlbare Broadway-Musical ist ihr Tipp? "Der Darsteller vom Flaschengeist in ‚Aladdin' ist Weltklasse."

Gegen Mitternacht schieben die Restaurants ihre großen Müllcontainer aus den Küchen. Das macht kaum weniger Lärm als eine Baustelle. Vom East River ist leichter Wind aufgekommen. Immer öfter ist das Wummern der Bässe aus den Nachtclubs zu hören. Vieles, was hier passiert, bleibt auch den meisten New Yorkern verborgen. Eine Rangliste kursiert darüber, welcher Club den wenigsten Normalsterblichen Einlass gewährt. Darauf stehen das "Up and Down", der bevorzugte Club von Rihanna, das "Avenue", in dem Prince eines seiner letzten Geheimkonzerte gab, und an erster Stelle das "Provocateur", wo Sting neulich seinen Geburtstag feierte. Es liegt südlich der 13. Straße im sogenannten Meatpacking District, wo in den 80er Jahren noch 200 Schlachtbetriebe arbeiteten. Heute das bekannteste Ausgehviertel New Yorks.

An dem samtenen Absperrseil vor dem Provocateur wartet François. Rote Lederjacke, weißer Cowboyhut, französischer Akzent, dunkle Haut. François, 43, stammt aus Belgien. Neben ihm warten Luna aus Italien und Anastasia aus Russland. Beide Fotomodels. Der Türsteher gibt François die Hand, dann verschwinden die drei hinter der dunklen Tür. Drinnen gibt es Nischen mit Lederpolstern. Das Dach lässt sich auf Knopfdruck zurückfahren, sodass man die Sterne sieht. François schenkt den Mädchen Dom Perignon ein, selbst nimmt er Wasser. Er trinkt nie Alkohol.

Alle wollen die Party-Milliardäre

Als er nach New York kam, musste er manchmal im Central Park übernachten. Wenn ihn ein Mädchen ansprach, ging er oft nur mit, um am nächsten Morgen eine warme Dusche zu haben. Sein erster Job war es, Flugblätter zu verteilen vor einer Diskothek. Dann bemerkte der Inhaber, wie François' Charme auf Frauen wirkte. Er schlug ihm vor, als Promoter zu arbeiten. So heißen die Leute, die dafür bezahlt werden, die schönsten Frauen in die besten Clubs zu bringen. Und – noch wichtiger – solvente Kunden. Heute ist François eine Ikone in der Branche.

"Alle haben es auf die großen Wale abgesehen", erklärt er. "So nennen wir die Party-Milliardäre." Einer von ihnen, ein junger Brasilianer, bescherte dem Provocateur einen Umsatzrekord: über eine Million Dollar in nur einer Nacht. "Der hat als Erstes zehn mannshohe Flaschen Champagner zu je 75.000 Dollar bestellt. Jede musste von vier Mann getragen werden. Natürlich wurde der ganze Schampus nie getrunken", sagt François. "Das ist eine Ego-Sache. Wer die größten Flaschen bestellt, hat die hübschesten Frauen am Tisch."

Wenn ein "Wal" in der Stadt ist, weiß das jeder Promoter. Sie kommen vor allem aus Russland, China, Saudi-Arabien. "Wenn du einen an der Angel hast, lässt du ihn nicht aus den Augen. Wie deine Ehefrau", so François. "Du sagst ihm, an welchem Tag welches Restaurant angesagt ist und auf welcher Vernissage er gesehen werden muss. Abends bringst du ihn in die richtigen Clubs. Natürlich gegen Provision."

Ein "Wal" taucht in dieser Nacht nicht auf. Nur ein bekannter Filmproduzent, der irgendwann so betrunken ist, dass ihn die Security vor die Tür bugsiert. François verabschiedet sich wie immer als einer der Letzten. Es gibt Küsschen auf die Wangen. "Könnte mein letztes Jahr als Promoter sein", sagt er. "Bald habe ich genug Geld für meinen eigenen Club."

Am nächsten Vormittag um elf legt die East-River-Fähre am Wall-Street-Pier in Manhattan ab. Manche nennen sie den "Yuppie-Dampfer", weil mit ihr das junge Karrierevolk zwischen Brooklyn und Lower Manhattan hin- und herpendelt. Sie arbeiten im prachtvollen neuen Finanzdistrikt und wohnen in Brooklyn, genauer gesagt im ultrahippen Williamsburg, wo man den europäischen Laissezfaire-Stil pflegt. Von der Fähre bieten sich großartige Blicke auf die Brooklyn-Bridge. Egal, wie oft man das imposante Bauwerk, das von Johann Röbling aus Thüringen entworfen wurde, schon gesehen hat – es verschlägt einem immer wieder den Atem. Vier Dollar kostet die Fährfahrt, zehn Minuten dauert der Trip. Der Service wurde als Pilotprojekt gestartet und hat sich schnell etabliert. Ein Beweis dafür, wie eng Brooklyn und Manhattan zusammengewachsen sind.

Bürgermeister Bill de Blasio

New Yorks derzeitiger Bürgermeister Bill de Blasio kommt ebenfalls von hier. Einige lästern, er sei in Wahrheit Brooklyns Bürgermeister, weil da die Straßen am schnellsten asphaltiert werden. Jeden Montag lässt sich de Blasio aus seiner Amtsvilla in der Upper East Side zu seinem alten YMCA-Sportklub in Brooklyn fahren, wo er vor einem verbeulten Spind Anzug gegen Turnhose tauscht. Er gilt als Bürgermeister der Schwarzen, die ein Drittel der 2,6-Millionen-Bevölkerung Brooklyns ausmachen. De Blasios Ehefrau ist ebenfalls schwarz. Mit der New Yorker Polizei hat sich das Stadtoberhaupt gleich nach seiner Wahl 2013 angelegt, als er sie wegen rassistischer Übergriffe kritisierte. Danach drehten ihm NYPD-Beamte bei öffentlichen Anlässen aus Protest den Rücken zu. Aber in Brooklyn lieben sie de Blasio für seine klare Haltung.

NYC & Company

Weiter Infos über New York City unter www.nycgo.com

Hier sagen sie selbstbewusst, der wahre New Yorker lebe am Ostufer des East River. Der Hype hat natürlich Schattenseiten: die steigenden Preise. Guy Lesser, ein ehemaliger Anwalt, der in Williamsburg lebt und sein Geld heute als Essayist verdient, beschreibt die Entwicklung so: "Als ich 1998 herzog, habe ich zwischen U-Bahn-Station und meiner Wohnung zwölf Wachhunde in runtergekommenen Vorgärten gezählt. Niemand aus Manhattan hätte freiwillig einen Fuß nach Williamsburg gesetzt. Heute beklagt sich jeder, dass Wohnen unbezahlbar geworden ist."

Die Mieten sind seit 2010 um 25 Prozent gestiegen. Für eine Einzimmerwohnung mit Blick auf den East River zahlt man 4000 Dollar. Trotzdem meinen Experten, dass andere Weltmetropolen von der Entwicklung lernen können. "Natürlich werden sündteure Trophy-Apartments verkauft", so der deutsche Architekt Markus Dochantschi, der an der Columbia Universität Stadtplanung lehrt. "Aber dank Bill de Blasio gibt es kluge soziale Wohnprojekte, die dafür sorgen, dass die Bevölkerungsstruktur gemischt bleibt. In Williamsburg kann man leben, arbeiten, seine Freizeit verbringen. Alles ohne Auto."

Es ist der dörfliche Charakter, der Williamsburg ausmacht. Und seine Kreativität. Zwischen den Geschäften und Cafés herrscht ständiger Wettstreit um das verrückteste Ambiente. Da ist das "Zona Rosa" mit seinem Gewächshaus auf dem Dach. Oder das "Diviera Drive" des ehemaligen Schweizer DJs Oliver Stumm im Design einer alten Tankstelle mit Segelboot im Garten. Und im "Union Pool" tritt jeden Montag Reverend Vince Anderson auf. Ein leibhaftiger Pastor. Und eine echte New Yorker Institution.

Anderson betritt das Union Pool im orangefarbenen Gewand. Mit seinem langen Bart sieht er aus wie Rasputin. "Dirty Gospel" nennt er seine Show. Eine Mischung aus Gottesdienst und Rock'n'Roll. Wer will, kann sich auf der Bühne taufen lassen. Anderson stammt eigentlich aus Kalifornien. Aber er würde nie zurückzukehren. "Zu wenig Energie", sagt er. Man erzählt sich über ihn, dass er sich während eines Auftritts einmal alle Kleider vom Leib riss, auf die Straße rannte und plötzlich im Scheinwerferlicht eines Streifenwagens stand. Anderson sagt dazu: "Da dachte ich, jetzt verhaften dich die Cops nackt, wie du bist. Stattdessen sagte eine Stimme über Megafon: ‚Sir! Gehen Sie bitte wieder rein!'"

Die Kraft aus den Krisen

Für Anderson sind die New Yorker die religiösesten Menschen der Welt: "Denn Religion bedeutet Gemeinschaft. Und New York funktioniert nur in der Gemeinschaft. Daher diese Kraft, aus jeder Krise noch stärker hervorzugehen."

Es braucht einen würdigen Ort, um sich aus dieser Stadt zu verabschieden. So führt die letzte Station noch einmal in den Finanzdistrikt. Die Aufzüge im neuen One World Trade Center katapultieren seine Besucher in nur 47 Sekunden auf die Panoramaplattform im 102. Stock. Anschließend lässt man den Blick noch einmal aus 400 Meter Höhe über die Wolkenkratzer-Landschaft schweifen, schaut auf die mächtigen Wasserfälle, die am Fuß des Turms als Mahnmal für 9/11 in die Tiefe rauschen, sieht die vielen Menschen aus allen Nationen. Man spürt die ehrfurchtsvolle Stille der anderen Besucher, die sich an den bodentiefen Fenstern drängen.

Es ist der Moment, in dem jeder begreift, warum New York zu recht die Hauptstadt dieser Welt genannt wird. 

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel