Schumacher vor dem Rücktritt Der Renn-Gigant tritt ab

Von Elmar Brümmer
Nach stern.de-Informationen wird Michael Schumacher am Sonntag in Monza nach dem Großen Preis von Italien seinen Rücktritt bekannt geben. Offen bleibt, ob er der Scuderia Ferrari als Berater erhalten bleibt. Die Cockpitfrage für die nächste Saison ist bereits geklärt.

Futuro! Das Wort wirkt wie Angriff für Jean Todt, obwohl seine geliebte Formel 1 nichts anderes als eine Zukunftsbranche ist. Aber die Zukunftsforscher unter den Sportjournalisten, die Direktor Todt nach jedem Rennen im Ferrari-Vorzelt des Fahrerlagers beherbergt, gehen ihm zunehmend auf die Nerven. Wollen sie doch eh immer wieder nur eins wissen: Macht Michael Schumacher weiter? Und, eins a): Was wird dann aus Ferrari? Der Kopf des Teamchefs zuckt nach hinten, sinkt noch ein bisschen tiefer zwischen die hohen Hemdkragen, der Pullover wird zum Panzer. Schildkröte auf Rückzug. In besonders gesprächigen Momenten presst er in patzigem Englisch Sätze wie diesen heraus: "Time will tell."

Auf Zeit spielen geht nicht mehr, die Entscheidungen sind ohnehin längst gefallen. Es geht nur noch um die Verkündung. Was heißt bloß noch? Am Wochenende, beim Großen Preis von Italien, wird Ferrari seine Fahrer für die kommende Saison bekannt geben. Fiat-Chef Luca di Montezemolo, der zu Niki Laudas Zeiten auch schon mal Rennleiter war, hatte sich den großen Auftritt im Autodromo di Nazionale gewünscht. Vor Monaten schon, als nur Optimisten damit gerechnet hatten, dass Schumacher und Ferrari das Titelrennen noch einmal offen gestalten würden. Jetzt befürchtet Todt, dass die ganze Aufregung die Aufholjagd stört. Doch der Druck ist zu groß, die Spekulationen wirken beunruhigender als die Wahrheit, Schumacher blockiert die ganze Branche. Irgendwann muss es ja mal raus. Nach stern.de-Informationen hat es Todt wenigstens durchgesetzt, dass die Bekanntgabe erst nach dem Rennen erfolgen soll, per Pressemitteilung.

Die Situation der Fahrer

Die Optionen liegen auf der Hand: Der Finne Kimi Räikkönen (26), derzeit noch bei McLaren-Mercedes unter Vertrag, hat schon im vergangenen Frühjahr einen Vorvertrag mit Ferrari unterschrieben. Auch der Brasilianer Felipe Massa (25), der seit diesem Jahr Schumachers Co-Piloten gibt, besitzt einen langfristigen Kontrakt – als Test- oder Einsatzfahrer. Vertragslos zum Saisonende ist allein Michael Schumacher. Ihm steht frei, mit Ende 37 noch ein siebzehnte Formel-1-Saison dranzuhängen. Aber selbst eine solche Schonfrist würde nichts an der generellen Problemstellung ändern. Irgendwann muss auch der ewige Rennfahrer ja mal aufhören, der mit fünf Fahrer- und sechs Konstrukteursweltmeisterschaften in Folge aus der Scuderia längst eine Schumeria gemacht hat. Weshalb sich in Maranello die bange Frage stellt: Was nun?

Der legendäre Bund

Ferraris Erfolg basiert auf einem Männerbund, der seinesgleichen in der Branche sucht: Ferrari-Chef Jean Todt (60) und Technikchef Ross Brawn (51) sind die Denker, Chefchauffeur Schumacher (37) ist der Lenker. Die Lösungswege, die im monatelangen gedanklichen Wettrennen zwischen Müdigkeit und Motivation gefunden wurden, trennen die roten Blutsbrüder. Nach stern.de-Informationen wird Schumacher am Sonntagabend seinen Rücktritt bekannt geben, Brawn mindestens ein Jahr Auszeit nehmen. Todt hingegen hat von Fiat-Boss Montezemolo ein so stattliches Übergangsgeld angeboten bekommen, dass er noch ein Jährchen dranhängen wird. Trotz der unterschiedlichen Perspektiven bewegt aber alle drei ein Wunsch, eine Sorge: Dass ihr Lebenswerk, Ferrari wieder auf die Erfolgsspur gebracht zu haben, nicht gleich zum Auslaufmodell wird. Sie wollen es ähnlich sorgfältig aufgeräumt übergeben, wie die Füller auf Todts Schreibtisch ausgerichtet sind.

Wenn der Rücktritt zum Fortschritt gedeihen soll, muss aus dem System Schumacher ein System Ferrari werden. Der Drei-Einigkeit ist klar, dass die Erfolgsmasche nicht so einfach kopierbar ist. Kein anderer Rennstall so auf den Einzelnen fixiert, keiner damit so erfolgreich gefahren. Der nahende Abschied des Mannschaftskapitäns macht deutlich: Das Team braucht neue Fixpunkte, auch wenn einige der 900 Mitarbeiter aus der Gestione Sportiva ihre eigene Entscheidung sicher mit der des deutschen Ausnahme-Rennfahrers verknüpfen. Für andere entsteht durch den Umbruch die Chance ihres Berufs-Lebens. In der Rennfabrik bei Bologna hat die Nachwuchsförderung längst begonnen.

Die Zukunft wird italienischer

Mit großen Managementphilosophien hält sich Jean Todt dabei nicht auf: "Es ist wichtig, die richtigen Menschen an den richtigen Positionen zu haben, und dann sicherstellen, dass sie in die richtige Richtung arbeiten können. Ein Segelboot ist dann schnell, wenn ein starker Wind in eine Richtung bläst." Das Schiff auf Kurs zu halten ist fast so schwer wie damals, im Juli 1993, als er seinen Dienst in der Provinz antrat und jahrelang heftigen Gegenwind spürte. Damals hat er den Rennstall europäisiert, um das hausgemachte Intrigengeflecht zu zerschlagen.

Künftig wird es wieder mehr auf die italienischen Drehmomente des Lebens ankommen. Der Probelauf in der Abteilung Rennwagenkonstruktion hat bereits funktioniert. Der südafrikanische Designer Rory Byrne, der die ersten roten Weltmeisterautos der Neuzeit noch komplett selbst erdacht hatte, zog sich in den letzten Jahren schrittweise aus dem Tagesgeschäft heraus, um mehr Zeit an asiatischen Traumstränden zu verbringen. Sukzessive wurde Aldo Costa als Nachfolger aufgebaut. Dass ausgerechnet dessen Debütauto im Vorjahr, der F 2005, in der Öffentlichkeit als Flop gehandelt wurde, konnte seiner internen Reputation nichts anhaben – alle wussten, dass der eklatante Reifennachteil für den Verlust des Titels verantwortlich war. Mit dem F 248, der dem Renault den Rang des besten Autos mit zunehmendem Saisonverlauf abgerungen hat, ist die Rehabilitation geglückt.

Das Beispiel Costa gibt Mut für den Generationswechsel, und es zeigt auch den – durchaus willkommenen – Trend: Ferrari zieht sich seine eigenen Mannen heran. Bislang waren die dem Motorenbauer Paolo Martinelli zugedacht, dem einzigen Einheimischen in der obersten Team-Etage. Luca di Montezemolo verlangte aus Gründen der Popularität und der Professionalität von Todt, ein Ferrari-Profil für die kommenden Jahre zu entwickeln.

Das ist geschehen, auch wenn die persönlichen Karriereplanungen von Todt und Brawn noch nicht in Monza, sondern erst nach Saisonschluss veröffentlicht werden sollen. Aber die Nachfolgelösungen sind gefunden. Stefano Domenicali, der bisher als Teammanager im operativen Geschäft an der Rennstrecke eine Art Mädchen für alles ist, ist der Kandidat für die Todt-Rolle an der Rennstrecke, aber noch nicht ganz hineingewachsen. Ross Brawn hat sich den ehemaligen Schumacher-Renningenieur Luca Baldisseri bereits Jahren herangezogen, er bestimmt schon jetzt häufig die Renntaktik vom Boxenstand aus. Motoren-Mann Martinelli hat die Verantwortung an der Piste bereits an Mattia Binotto übertragen, und Aldo Costa bekommt durch den bei McLaren nicht glücklich gewordenen Rückkehrer Nicolas Tombazis den Rücken frei gehalten. Dazu wird sich noch der ein oder andere Ingenieur aus dem Ferrari-Werk gesellen.

Rente für den Rekord-Weltmeister?

Und was wird aus Schumi? Bei allen Beteuerungen Schumachers, nie als Teamchef zurückkehren zu wollen, ist eine Beraterrolle nicht ausgeschlossen. Schon bei der aktuellen Neuordnung hat er großes Mitspracherecht gehabt.

Einzig, der Fahrer musste schweigen. Wenigstens den Zeitpunkt der Bekanntgabe wollte Jean Todt selbst bestimmen: "Wir reden darüber, wenn die Zeit reif ist. Aber glauben sie mir, es ist eine unserer größten Sorgen, die Zukunft von Ferrari zu sichern." Futoro oder finito.

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