Was ist neu?
Während andere Trainer schon länger eine feste Vorstellung von ihrem Team haben, musste Christian Gross um die Eckpfeiler Serdar Tasci und Sami Khedira bangen. Beim Zweiten hat es sich ausgezittert - er geht für knapp 15 Millionen Euro zu Real Marid. Ein - zugegeben ertragreicher - Schlag für den VfB, denn es ist kein gleichwertiger Ersatz in Sicht.
Dafür holten die Stuttgarter den Schweizer Philipp Degen für die defensive Außenbahn. Warum nur? An den Leistungen, die Degen bei seinem letzten Bundesligagastspiel in Dortmund abgeliefert hat, kann es nicht liegen. Eher an der Herkunft des Trainers: Gross ist ein Landsmann von Degen. Verständlicher das Bemühen um Andre Ayew. Der junge Ghanaer spielte eine starke WM, würde gerne kommen, doch Olympique Marseille fordert zu viel. Im Angriff plagt den VfB aber ohnehin keine Not, er hat sich mit dem Österreicher Martin Harnik noch einmal vielversprechend verstärkt.
Stärkster Einkauf ist aber ein anderer: Christian Gentner vom VfL Wolfsburg. Eine Schwächephase in der vergangenen Saison kostete ihn die WM. Mittelfristig ist der 24-Jährige, der schon früher für den VfB spielte, wieder ein Kandidat für die Nationalmannschaft. Wenn kein Khedira-Ersatz gekauft wird, könnte Gentner auf dessen Position im zentralen defensiven Mittelfeld spielen.
Wichtigster Neuling ist ein Mann, der in den vergangenen Jahren nur am Taktik-Tisch von Sport 1 formely knowns as DSF Akzente gesetzt hat. Fredi Bobic ersetzt Horst Heldt als Sportdirektor. Schlechter kann ein Start kaum sein. Kaum neu im Job, musste Bobic gleich Khedira gehen lassen. Dabei war es sein größter Wunsch, ihn zu halten. Der Ex-Stürmer ist nicht unbedingt als Leisetreter bekannt. Ob er sich mit Gross verstehen wird? Dass er recht frisch im Manager-Business ist, muss kein Nachteil sein. Das hatte Horst Heldt seinerzeit auch nicht von erfolgreicher Arbeit beim VfB abgehalten.
Abgegeben haben die Schwaben neben Khedira einige verzichtbare Spieler. Dass Jens Lehmann aufhört, war langsam überfällig. Aliaksandr Hleb, der zunächst zurück nach Barcelona geht, war nicht einmal stark, als Stuttgart seinen phänomenalen Rückenrundenlauf hatte. Auch Roberto Hilbert und Ricardo Osorio hatten ihre beste Zeit beim VfB längst hinter sich.
Was ist gut?
Der Sturm. Cacau war eigentlich schon weg, blieb dann aber doch. Ein Glück für den VfB, so stark wie im Frühjahr und Sommer 2010 war der Deutsch-Brasilianer noch nie. Ciprian Marica drehte in der Rückrunde ebenfalls mächtig auf. Pavel Progrebnyak konnte die Erwartungen bislang nicht erfüllen, seine Klasse ist aber unbestritten. Harnik ist eine gute Ergänzung.
In der Abwehr hat Gross einige Alternativen. Er kann viel durchtauschen, ohne dass er ein großes Risiko eingeht. So sollte auch die Verletzung von Matthieu Delpierre, der mit leichter Verspätung in die neue Bundesligasaison starten wird, verkraftbar sein. Immerhin kann es sich Gross leisten, einen Vizeweltmeister (Khalid Boulahrouz) auf die Bank zu setzen – da kann es um die Defensive so schlecht nicht bestellt sein.
Was ist schlecht?
Das Mittelfeld ist ohne Khedira erheblich schwächer. Nach Gentner und Träsch kommt viel Talent, aber keine ausgewiesene Klasse. Zdravko Kuzmanovic und Timo Gebhart sind gehobener Liga-Durchschnitt - mehr nicht. Von diversen Youngstern weiß man überhaupt nicht, wie sie sich entwickeln werden. Alternativen hat der VfB im Mittelfeld kaum. Schon gar keine, mit denen sich um die Champions-League-Plätze mitspielen lässt. Christian Gross will sich beim Saisonziel nicht festlegen – er wird wissen, warum.
Im Tor vertraut der VfB dem jungen Sven Ulreich – Risikooooo! Er hatte schon einmal die Chance auf einen Stammplatz, als Rafael Schäfer in Serie patzte. Er nutzte sie nicht, dann kam der schon damals steinalte Lehmann und Ulreich war zeitweise nur die Nummer 3. Entschuldigend sei zwar gesagt, dass er bei seinem Debüt keine 20 war. Allerdings deutet Ulreichs Aufritt bei der Europa-League-Qualifikation in Molde nicht daraufhin, dass er in der neuen Saison der große Stabilisator sein wird.
Was ist möglich?
Seine Vorgänger wurden zunächst ähnlich abgefeiert wie Christian Gross, erwischten phänomenale Starts - und stürzten dann ab. So erging es Markus Babbel, so lief es bei Meistertrainer Armin Veh. Und so könnte es jetzt auch Gross passieren, der den VfB in einer phänomenalen Rückrunde noch auf Platz 6 führte. Das ist diesmal nicht drin. Wenn die Stuttgarter auf Platz 8 oder 9 landen, können sie von einer ordentlichen Saison sprechen - und ihren Trainer behalten.