Als Max Eberl, seinerzeit Sportdirektor des Fußball-Bundesligisten Borussia Mönchengladbach, an einem April-Abend im Jahr 2019 den damaligen Trainer des Klubs, Dieter Hecking, in dessen Haus aufsuchte, hat wohl niemand geahnt, welche Entwicklung dieser Besuch auslösen würde. Eberl entließ Hecking an diesem Abend, nicht wegen schlechter Arbeit, sondern weil er mit einer neuen Art Trainer die Borussia auf die nächste Stufe hieven wollte. Marco Rose kam. Am vorläufigen Ende der Geschehnisse steht mehr als drei Jahre später am Samstagabend das TV-Topspiel des Spieltages an: Borussia Mönchengladbach gegen RB Leipzig.
Und just die beiden Männer, Max Eberl und Marco Rose, die vor drei Jahren angetreten waren, den Traditionsclub vom Niederrhein wieder zu einer echten Spitzenmannschaft zu formen, womöglich Titel zu gewinnen, setzen das gemeinsame Projekt nun beim Gegner fort. Einem Gegner wie ein Gegenentwurf zum traditionellen Bundesligaclub; eher Konzernabteilung (Red Bull) als Verein; konzipiert statt gewachsen; mit dem großen Geld ausgestattet, was ein viel schnelleres Erreichen von Zielen verheißt als es bei einem Verein wie Gladbach möglich erscheint – falls es dort überhaupt noch einmal möglich wird.
Max Eberl: Bei RB im Wort
Es ist diese Konstellation, die in Gladbach Bitternis und Enttäuschung, auch Wut hervorruft. Rose wird am Samstag als RB-Coach schon am Spielfeldrand stehen, bei Eberl wird das – vielleicht besser so – noch nicht der Fall sein. Der 48-Jährige hat laut Medienberichten aber seine Zusage gegeben, ab Januar bei "Rasenballsport" die Fäden zu ziehen. Es geht wohl nur noch um die Höhe der Summe, mit der die Leipziger den höchst angesehenen Fußball-Manager aus seinem derzeit ruhenden Vertrag bei der Borussia auslösen. Die Bitternis rund um den Borussia-Park sitzt so tief, dass der Dachverband der Gladbacher Fanclubs, der "FPMG Supporters Club", in einem offenen Brief dem wegen seiner Verdienste bisher vergötterten Max Eberl sogar vorwirft, dessen Abgang unter Tränen sei nur eine Inszenierung gewesen.
Ende Januar dieses Jahres hatte sich Eberl aus seinem Herzensklub und dem Bundesliga-Geschäft allgemein zurückgezogen – erschöpft, ausgebrannt. Mit Tränen-erstickter Stimme erklärte er auf einer Pressekonferenz, vorerst nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben zu wollen. Der Manager hatte kurz zuvor bereits eine Auszeit genommen, die sich nun als Vorbote seines Abgangs bei der Borussia entpuppte. Gerüchte, dass RB Leipzig an einer Verpflichtung interessiert sei, gab es auch damals schon, doch Eberl wischte dies seinerzeit als Grund für seine Auszeit vehement beiseite. Er wolle nur raus.
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Die Torgarantie ist weg - aber die Tormaschine läuft weiter. Sadio Mané und Co. führen die Münchner zum elften Meistertitel am Stück und bejubeln nach dem Pokalsieg das Double. In der Champions League läuft's besser als zuletzt. Das Halbfinal-Aus gegen Robert Lewandowskis Barça schmerzt aber. Die Bayern rüsten mit England-Topstürmer Kane weiter auf.
Fanprojekt wirft Eberl Schauspielerei vor
Eberl erntete damals allgemein Respekt für seine Entscheidung; ebenso für den Mut, diese öffentlich zumachen. Das galt auch für die Borussia und ihr Umfeld, wenngleich die Enttäuschung über den Verlust des Machers der modernen Borussia natürlich tief saß. "Es gab schon damals einige Kritiker, die dem Schauspiel grundsätzlich misstrauten", schreibt das Fanprojekt nun und macht Eberl böse Vorwürfe: "Ja, wir sagen heute ganz bewusst 'Schauspiel'. Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Wir glauben einfach nicht mehr, dass Du uns gegenüber am Ende Deiner Amtszeit bei Borussia aufrecht und ehrlich gegenüber aufgetreten bist."
Ein heikler Vorwurf, wie das Fanprojekt zugibt. Dazu ist es ein Vorwurf, der sich kaum belegen lässt. Denn ob, wie und nach welcher Zeitspanne sich ein Mensch nach einem Burnout in der Lage fühlt, die Arbeit wieder mit voller Kraft aufzunehmen, kann letzten Endes nur der oder die Betroffene und die medizinische Betreuung beurteilen. Dennoch mag sich die Fanvertretung nicht zurückhalten "Du hast nie gesagt, dass Du krank bist. Das Wort 'Burnout' kam nie von Dir ins Spiel. Und doch wusstest Du als medialer Profi, dass Dein Auftritt bei der abschließenden Pressekonferenz genau das in die Fußballwelt transportieren wird", heißt es in dem offenen Brief direkt an Eberl gewandt. Und weiter: "Der Öffentlichkeit dieses Bild von deiner Profifußball-Ermüdung zu vermitteln, während du gleichzeitig um deinen Abgang zu Red Bull feilschst, ist – wir können es nicht anders formulieren – schlicht und ergreifend schäbig und ein Schlag ins Gesicht eines jeden tatsächlich von Burnout betroffenen Menschen."
Lars Stindl: "Unterste Schublade"
Eine Aussage, die in Kommentaren vielfach kritisiert wurde. Die Borussia lehnt jede Stellungnahme dazu ab. Mannschaftskapitän Lars Stindel zeigte schon deutlich vor der Veröffentlichung des Fanprojekt-Briefes für derartige Äußerungen keinerlei Verständnis. "Das ist völliger Quatsch", sagte der Ex-Nationalspieler Anfang September im Video-Format "Kicker meets DAZN", "das sind Leute, die keine Ahnung von dem Menschen haben". Die Kritik an einem Wechsel zu RB Leipzig könne er bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, so der 34-Jährige, "aber grundsätzlich das andere zu kritisieren und da mit einfließen zu lassen, ist unterste Schublade. Das geht einfach nicht." Ähnlich wie Gladbachs Weltmeister Christoph Kramer betonte auch Stindl, wie sehr er sich freue, dass es Max Eberl offensichtlich wieder besser gehe, wenn er sich die Rückkehr auf einen Managerposten wieder zutraue.
Weit mehr als die (wohl haltlosen) Spekulationen um seinen Gesundheitszustand rüttelt am Denkmal Eberls in Mönchengladbach die Konstellation, die sich nun ergeben hat. Nicht nur gekränkte Fanvertreter finden, dass es ein Geschmäckle habe, dass Eberl, nachdem er in Mönchengladbach leidenschaftlich das Konzept des Traditionsclubs gelebt und gestaltet hatte, nun ausgerechnet zu einem "Konstrukt" (O-Ton Eberl) wie RB Leipzig wechseln will – also nach Lesart vieler Kritiker sozusagen ins Zentrum jenes Fußballgeschäfts, dem er doch vor ein paar Monaten noch so dringend entfliehen wollte. Nicht nur für das Fanprojekt ist dabei der Gifpel, dass sich dabei nun auch wieder das Duo Eberl/Rose formiert.
Rätselraten um Verhältnis von Eberl und Rose
Das allerdings war bis vor zwei Wochen nicht abzusehen. Rose hat beim Pokalsieger erst vor einigen Tagen von dem zuletzt glücklosen Domenico Tedesco übernommen, das Spiel in Gladbach ist erst sein drittes als RB-Coach. Dennoch: Roses vorzeitiger Abschied aus Mönchengladbach gilt als Mit-Grund für Eberls Ausstieg. Statt in Gladbach "etwas Großes" aufzubauen, wie es stets hieß, ließ Rose bei erster Gelegenheit alles stehen und liegen und erlag dem Lockruf von Borussia Dortmund. Dass der Coach dort nicht den Erfolg hatte, den man sich im Ruhrgebiet erhofft hatte, und schon wieder weg ist, wurde rund um den Borussia-Park durchaus mit Genugtuung aufgenommen. Rose gilt dort als Verräter des Gladbacher Projekts, das anfangs funktionierte und die Borussia bis in die K.o.-Phase der Champions League trug. Doch mit der Verkündung seines Wechsels zog Rose den Stecker, die "Bild" berichtete, Spieler hätten sich von dem Trainer "regelrecht belogen" gefühlt und Max Eberl soll "persönlich enttäuscht" gewesen sein.
Ein Umstand, den auch das Fanprojekt aufgreift: "Und dann triffst Du dort auch noch auf Marco Rose. Hattest Du uns gegenüber im Frühjahr 2021 nicht immer geäußert, wie sehr Dich seine Entscheidung auch menschlich enttäuscht hat? Hattest Du nicht immer betont, dass Du nur für Borussia an ihm festhältst, aber nicht, weil Du noch weiter mit ihm zusammenarbeiten möchtest? Was ist das für eine Moral, wenn sein falscher Ehrgeiz Dein mühsam aufgebautes Haus der neuen erfolgreichen Borussia wie ein Kartenhaus zusammenfallen lässt, Borussia sogar in den Abstiegskampf stürzt und Dich dann ja auch von hier wegtreibt? Und jetzt ist alles vergessen und vergeben und das Traumduo arbeitet wieder zusammen?"
Vom Halbzeitfrisieren bis zum Endstadion
Rose: "Ich nehme es wie es kommt"
Dass tatsächlich zumindest vergeben wurde, legen zumindest Äußerungen des als RB-Kenner vorgestellten Guido Schäfer im Podcast "Fever Pit'ch" von Sport-1-Chefredakteur Pit Gottschalk nahe. Schäfers Aussagen zufolge ist der Kontakt zwischen Eberl und Rose trotz des Scheiterns des in der Liga viel beachteten Gladbacher Projekts nicht abgerissen; das Band zwischen den beiden sei während Eberls Erkrankung sogar noch stärker geworden. Schäfer: "Marco hat ihn mehrfach besucht und sie sind ziemlich beste Freunde! Max hat ihm das nie vergessen, dass Marco sich in dieser schlimmen Zeit so sehr um ihn gekümmert hat!" Dagegen sollen sich "einige Gladbacher Granden" laut Schäfer nicht gekümmert. haben, so Schäfer. "Eberl hat diesen Verein auf ein ganz neues Niveau gehoben und hat Gladbach unfassbar viel hinterlassen. Da sollte mehr Dankbarkeit sein."
Die Gemengelage vor dem Aufeinandertreffen der beiden Klubs könnte also kaum komplexer und brisanter sein. Marco Rose ist sich bewusst, dass er im Borussia-Park kaum einen freundlichen Empfang zu erwarten hat. "Ich nehme es wie es kommt", sagte der 46-Jährige am Freitag. Gladbachs Trainer Daniel Farke bemühte sich während der Pressekonferenz der Borussia zum Spiel am Donnerstag, die Wogen zu glätten. "Wenn Max Eberl entscheidet, in den Fußball zurückzukehren, ist das eine fantastische Nachricht“, sagte Farke, der sich als "Außenstehender" bezeichnete. "Ich freue mich für ihn als Mensch und auch für den deutschen Fußball." Eberl habe bei Borussia "eine Ära geprägt und Außergewöhnliches geleistet. Er hat den Klub in erfolgreiche Sphären geführt."
Auch Fanprojekt will nun nach vorne schauen
Zuletzt hatte man in Gladbach nicht mehr auf die letzten anderthalb Jahre zurückgeschaut. Mit neuem Trainer, neuem Sportdirektor und letztlich auch einer starken Mannschaft steht die Borussia in dieser Saison bisher solide da. Nach vorne zu schauen, dazu scheint auch das Fanprojekt bereit zu sein: "Wir haben Stellung bezogen und ihm mitgeteilt, was mitzuteilen war,", so ein Sprecher der Fanvertretung gegenüber der "Rheinischen Post", "und jetzt ist es auch gut, finden wir."