Notfalls macht der Bundestrainer eben alles selbst. Allein gelassen vom Pressesprecher des DFB saß Joachim Löw im kleinen Pressezelt der Leipziger Red-Bull-Arena einsam auf dem Podium. Auf das Dach ergossen sich die Wassermassen. Die Atmosphäre nach dem letzten EM-Test, den die deutsche Mannschaft einigermaßen mühevoll mit 2:0 gegen Israel gewinnen konnte, war seltsam heimelig. Es fehlte nur noch das knisternde Kaminfeuer. Löw wartete nicht auf seinen Medienmann. Er ergriff, passend zur Stimmung, gut gelaunt das Wort: "Das Gefühl, mit einem Sieg die Vorbereitung abzuschießen, ist schön."
Der Bundestrainer war schon immer Realist. Er war noch nie ein Traumtänzer. Es war einzig und allein das Ergebnis, dass Joachim Löw so milde stimmte. Und er hatte ja auch Recht. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte seine Mannschaft dieses letzte Spiel vor Beginn des Turniers in den Sand gesetzt. Schon ein torloses Remis hätte den Boulevard aufheulen lassen. Aber so? Alles in der Reihe - zumindest halbwegs. Eben genauso wie es der Coach bewertete: "Ich bin nicht völlig zufrieden, aber ich bin auch nicht in Sorge." Trotzdem: Ein bisschen mehr von allem hätte es von seinen Männern schon sein können.
Nur einmal so, wie Löw es will
In Leipzig galt es, vor allem nach der miesen Leistung beim 3:5 gegen die Schweiz, einen deutlichen Sieg zu erringen und damit Selbstvertrauen zu demonstrieren. Aber die Chance, auch der starken Konkurrenz bei der EM in Polen und der Ukraine ein psychologisch so wichtiges Signal, gewissermaßen eine Warnung, zu senden, sie wurde gegen ein zweitklassiges Israel verpasst. Streng genommen dauerte es bis zum 1:0 von Mario Gomez (40.), der den Vorzug vor dem leicht am Knöchel verletzten Miroslav Klose bekommen hatte, bis es gegen einen ultra-destruktiven Gegner erstmals spektakulär wurde.
In dieser Szene spielte die Mannschaft endlich so, wie Löw es immer fordert: im höchsten Tempo zwischen den beiden Toren, wobei die Momente des Ballhaltens auf eine Winzigkeit reduziert sind. Dass das Team den Barca-Stil durchaus beherrscht, hat es in der EM-Qualifikation oft genug eindrucksvoll bewiesen. Im Moment ist die Luft aber zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt raus. Und es bleibt aus deutscher Sicht nur zu hoffen, dass die DFB-Auswahl rechtzeitig mit Beginn des Turniers ihren Spielstil wiederfindet. Die Uhr tickt. Das weiß keiner besser als Joachim Löw. "Eine Steigerung ist noch drin", sagte er im Anschluss an die Partie. Und: "Noch ist die Frische nicht so da."
Boateng bleibt ein Problemfall
Steigern muss sich, das ist neu, jetzt auch das Mittelfeld. In Abwesenheit des angeschlagenen Bastian Schweinsteiger landeten viel zu viele Bälle von Toni Kroos und Sami Khedira im Aus oder beim Gegner. Mesut Özil, Löws wichtigster Offensivspieler, tauchte phasenweise völlig unter. Thomas Müller, einer von sieben (!) Bayern-Spielern in der Startelf, lief sich häufig in der gegnerischen Abwehr fest. Lukas Podolski flankte zwar oft gefährlich von links vors Tor, aber Spielwitz ging von ihm nicht aus. Insgesamt fehlte dem DFB-Team in diesem Mannschaftsteil die ordnende Hand des verletzten Vizekapitäns. Aber Hoffnung ist in Sicht. Löw verriet in der Nacht nach dem Spiel, dass Schweinsteiger am Donnerstag erstmals schmerzfrei trainieren konnte.
Nach dem Sieg gegen die Israelis, die in Leipzig wie ein FC Chelsea für Arme auftraten, bleibt auch die Baustelle in der Abwehr noch geöffnet. Weil kein Mensch sagen kann, was die Viererkette - mit Ausnahme von Philipp Lahm - wirklich zu leisten im Stande ist. Auch nach dem letzten EM-Test vor Beginn des Turniers in Polen und der Ukraine beschleicht einen das Gefühl, dass die Besetzung der rechten Außenbahn durch Jerome Boateng nicht optimal ist. Das Problem ist nicht neu. Boateng ist kein Außenverteidiger. Er fühlt sich innen viel wohler, notfalls auch auf der Sechser-Position. Aber Löw hat jetzt so entschieden. Das Tandem Boateng-Müller steht. Genauso wie das Innenverteidiger-Duo. Per Mertesacker und Holger Badstuber werden gegen Portugal wohl erste Wahl sein.
"Es steht noch viel Arbeit an"
Besonders für Mertesacker war das Israel-Spiel undankbar. Es lag in Löws Absicht, ihm Spielpraxis zu verschaffen und Wettkampfhärte zu verpassen. Aber zumindest Letzteres ging daneben. Der Arsenal-Profi wurde überhaupt nicht gefordert. Ob sich Mertesacker wirklich in einer turniertauglichen Verfassung befindet? Zweifel bleiben. Es war bezeichnend an diesem nassen Abend von Leipzig, dass der ehemalige Werder-Profi der einzige deutsche Spieler war, der sich nach Abpfiff anständig vom Publikum verabschiedete. Die Zuschauer in der Red-Bull-Arena klatschten Mertesacker Beifall. Und der sog diesen förmlich in sich auf - weil er mehr als die anderen derzeit Zuspruch braucht. "Die Organisation in der Abwehr war schon besser, aber ein Schuss mehr Aggressivität muss schon sein." Der Bundestrainer sprach die Probleme hinterher direkt an. Der Zustand seiner Defensivabteilung bereitet auch Löw weiterhin Sorgen.
"Hauptsache gewonnen. Wir haben es immer noch geschafft, bis zum Turnier rechtzeitig fit zu werden. Wir haben eine sensationelle Qualität." Philipp Lahm klang nach dem Schlusspfiff ein bisschen so, als wolle er sich selbst Mut zusprechen. Wobei er ja auch nicht falsch liegt. Mario Gomez steht zum Beispiel für Qualität. Er trifft mittlerweile auch in der Nationalmannschaft regelmäßig. Gegen Israel erzielte er schon wieder ein Tor im DFB-Trikot. Gomez holt gegenüber dem gesetzten Miro Klose immer mehr auf. Das Rennen im Sturm scheint plötzlich offen. Auch André Schürrle ist ein gutes Beispiel für Qualität. Allerdings nur für eine, die von der Bank kommt. Sein Traumtor aus der 82. Minute stimmte die 43.000 Zuschauer versöhnlich. Der Leverkusener sorgte nach seiner Einwechslung (wieder mal) für viel Belebung. Lukas Podolski ist zwar auf links der Platzhirsch, aber auch er sollte gewarnt sein.
Am Ende schwappte sogar noch La Ola durch das Stadion. Die deutsche Mannschaft bekam davon aber nichts mehr mit. Und es wäre ihr wegen der wenig glanzvollen Leistung gegen Israel vermutlich auch ein wenig unangenehm gewesen. Lahm und Co. liefen fluchtartig in ihre Kabine. In Gedanken waren sie vermutlich schon bei ihrer ersten EM-Partie am übernächsten Sonnabend gegen Portugal. Der Trainer war noch nicht ganz so weit. Er beschäftigte sich immer noch mit dem gerade zu Ende gegangenen Spiel und versuchte, die Bedeutung des 2:0-Sieges richtig einzuordnen: "Ein bisschen Rückenwind nehmen wir schon mit", sagte er. Dann nahm der Bundestrainer einen Schluck Wasser. Bevor er im Dauerregen von Leipzig in die Nacht verschwand, sprach Joachim Löw einen letzten Satz: "Es steht jetzt noch viel Arbeit an." Er klang kämpferisch.