Defensive ist Trumpf Warum die Gähn-EM bald Fahrt aufnimmt

Deutschland gegen Polen war ein zähes Spiel, viel Ballgeschiebe, viel Defensivarbeit. Es fügt sich nahtlos ein in den Trend dieser EM-Vorrunde. Highlight-Spiele gibt es bislang kaum. Dafür gibt es eine Erklärung.

Nach dem Unentschieden gegen Deutschland stand Robert Lewandowski vor den Mikrofonen der Reporter und verkündete seine Kernaussage zum Spiel: "In der Gruppenphase ist wichtig, dass wir beide weiterkommen. Wir schauen, was danach passiert". Das klang fast so, als hätten sich Deutschland und Polen heimlich auf das 0:0 geeinigt. Lewandowskis Äußerungen verdeutlichen damit perfekt den ersten Gedanken der Spieler bei dieser Euro: bloß nicht verlieren.

Nach dem Unentschieden sind Deutschland und Polen nun ziemlich sicher im Achtelfinale, selbst wenn sie beide ihr jeweils letztes Gruppenspiel verlieren sollten. Schließlich kommen auch die vier besten Gruppendritten weiter - und mit nun vier Punkten dürften beide am Ende ziemlich sicher dazugehören. Und so mauerten die Polen, deutsche Nationalspieler betonten derweil übereinstimmend, wie wichtig es gewesen sei, die "gefährlichen" Konter der Polen zu unterbinden. Die Offensive schien da eher zweitrangig. Ein Bild, das sich durch die gesamte EM 2016 zieht.

EM 2016: Trend zur Defensive

Es muss fast überraschen, dass es so lange bis zum ersten 0:0 gedauert hat. Ein Offensivfeuerwerk hat bei dieser Euro bislang schließlich noch keiner gezeigt. Maximal zwei Tore schossen die jeweiligen Sieger, häufigste Ergebnisse bislang: 1:0, 1:1, 2:1. Schaut man sich die Spielverläufe genauer an, fällt zudem auf, dass viele Tore erst in der Schlussphase fielen (11). Heraus kommen viele Duelle, die über die meiste Spielzeit langweilen, weil Taktik und Verteidigung im Vordergrund stehen.

Der Grund für die defensive Ausrichtung der Mannschaften liegt auf der Hand. Statt wie seit 1996 16 Mannschaften, kämpfen bei dieser Euro erstmals 24 Teams um den Einzug in die K.o-Runde. Neu ist diesmal auch das Achtelfinale, bisher startete die K.o.-Runde einer EM immer im Viertelfinale. Weil es sechs Vierergruppen gibt, kommen auch die vier besten Gruppendritten weiter. Man muss also schon Gruppenletzter werden, um sicher zu scheitern (In der deutschen Gruppe ist übrigens die Ukraine schon sicher raus).

Gründe für die Taktik

Und genau hier liegt das Problem: "Kleinere" Mannschaften wie Albanien, Nordirland oder Island haben das Niveau mit den besten mitzuhalten, das haben sie gezeigt. Aber für sie gilt mehr als für alle Top-Teams: Defensive zuerst. Denn sie haben nur dann eine realistische Chance auf einen guten dritten Platz und damit aufs Achtelfinale, wenn sie sich ihre Tordifferenz in Duellen mit den Spitzen-Teams nicht komplett versauen. Die Folge: kontrollierte Spiele, die häufig erst in der Schlussphase entschieden werden (wenn überhaupt). Das macht die Europameisterschaft für die breite Masse an Fans bisher zur Gähn-EM, zeigt aber andererseits, wie eng die europäische Spitze zusammen ist und wofür der europäische Fußball weltweit vor allem steht: für taktische Disziplin.

Die gute Nachricht: Ab jetzt kann es nur noch spannender und attraktiver werden. Schließlich geht es an den letzten Spieltagen darum, wer die Gruppe gewinnt, da müssen dann auch die Top-Teams mehr riskieren. Und über die Attraktivität von K.o.-Spielen muss man sich anschließend ohnehin keine Gedanken machen. Das sieht auch Bundestrainer Joachim Löw so. Er saß nach Spielschluss im ARD-Studio und beschrieb die Situation in der Anfangsphase dieser Europameisterschaft so: "In der Gruppenphase ist es ein Abnutzungskampf". Und dann schob er einen entscheidenden Satz hinterher: "In der K.o.-Phase wird es wahrscheinlich auch ein bisschen offener."

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos