Deutschlands Remis gegen Polen Was Löw ändern muss und wohl auch wird

Von Mathias Schneider, Paris
Beim 0:0 gegen Polen zeigt die Nationalelf vor allem Schwächen in der Offensive. Grund zu allzu großer Sorge sollte die deutsche Leistung aber nicht geben - der Bundestrainer wird die richtigen Schlüsse ziehen.

Sechs Monate ist es nun her, dass die deutsche Nationalmannschaft im Stade de France die dunkelste Stunde ihrer Länderspielgeschichte erlebte. Der Terror regierte in jener Nacht und mancher deutscher Nationalspieler hatte einige Tage am den Erlebten zu knabbern. Zwar befand sich kein Mitglied des deutschen Trosses damals in Gefahr, doch die Angst ist ein schmutziger Gegner. Nicht selten nähert sie sich von hinten. Schleicht sich an. Weckt alte Sorgen.

EM 2016: Zumindest unbeschwerte Stimmung

Es war also nicht ganz klar, welche Gefühle die Rückkehr nach Saint Denis triggern würde, doch es ist dann einfach nur ein, zumindest was die Stimmung anbelangt, beschwingter Fußballabend gewesen. Als ein Nationalspieler nach dem anderen sich nach der Partie durch den sich windenden Gang zum Bus aufmachte, war schon lange kein Platz mehr für irgendeine Form von Unbehagen. Das lag natürlich neben dem wohlgestimmten deutschen Anhang an der imposanten polnischen Kurve. Wenn das Team in Rot ein Geheimtipp ist, so muss dies auch für den Anhang gelten. Es gibt ja nicht viele Fans in Europa, die ihr Team mit solcher Inbrunst und Ausgelassenheit anzufeuern verstehen. Die durchweg freudvolle Haltung hätte nicht besser zu diesem Ort passen können. Sollte bei manchem Rückkehrer an die Stätte der Anschläge noch ein Restbestand an Angst vorhanden gewesen sein, so war sie schon vor dem Anpfiff von so viel Euphorie vertrieben.

Ein Fußballfest folgte dann allerdings leider nicht, was diesmal nicht an den Umständen lag. Stattdessen müssen dem Bundestrainer seherische Fähigkeiten attestiert werden. Vor "Abnützungskämpfen" hatte Löw im Vorfeld immer wieder gewarnt mit Blick auf die Gruppe C. Er hatte da allerdings eher an die Ukraine und die am Dienstag die Trilogie beendenden Nordiren gedacht. Tatsächlich stellten auch die Polen mit neun Mann die eigene Hälfte zu. Dass ihnen dennoch die zwei besten Chancen des Spiels zuzuschreiben waren, sagt viel aus über ihre Kunst, aus einer massierten Deckung heraus gezielt für Wirkungstreffer zu sorgen.

Deutschland-Polen 0:0: Offensive offenbart Probleme

Nicht umsonst erfreute man sich im deutschen Lager an der eigenen Defensive, die sich zum Leidwesen von Löw allerdings in jeder Hinsicht noch einmal in eine Innen- und Außenverteidigung unterteilt. Im Zentrum gesellte sich zum imperialen Boateng diesmal wieder ein starker Hummels, sodass das magische Defensivdreieck mit Neuer im Tor wieder komplett war. "Die beiden Innenverteidiger haben sehr gut verteidigt", lobte Löw. Außen konnten die Herren Hector und Höwedes allerdings mit dem vorgelegten Niveau abermals nicht Schritt halten. Immerhin, nach dem 2:0 gegen die Ukraine blieben die Elf abermals ohne Gegentor.

Allerdings offenbarte die Offensive abermals jene Probleme, die Löw bereits vor dem Turnier identifiziert hatte. Im sogenannten "letzten Drittel", vor des Gegners Tor, sind die Deutschen bislang nur selten zu Gast. "Wir haben dort das Tempo nicht erhöht, sondern immer wieder abgebrochen", monierte Löw. Aber er mache sich selbstverständlich keine Sorgen. Auch Hummels, Höwedes oder Neuer erweckten in ihren Analysen den Eindruck, als befinde man sich noch im Soll auf dem Weg zum Gipfel.

Dürre vorm gegnerischen Tor muss nichts heißen

Nur Jerome Boateng hielt sich nicht ans Skript und wetterte, so werde man "nichts gewinnen". Schon auf dem Feld ließ er Müller, Schürrle und auch Höwedes wissen, was er von ihrer Verteidigung hielt. Dem Gesicht nach zu urteilen, kann es nicht viel gewesen sein. Von "zu wenig Esprit" nach vorne bilanzierte Thomas Müller. Es stört ihn schon, dass ausgerechnet sein Department dieser Tage nicht die gestellten Quartalsziele erfüllt, aber wirklich beunruhigt wirkte auch er nicht..

Tatsächlich lohnt ein Blick in die jüngere Vergangenheit, um zu erkennen, dass eine gewisse Dürre vor dem Tor des Gegners durchaus nichts heißen muss. Vor zwei Jahren taumelten die Deutschen in Brasilien im zweiten Spiel gegen Ghana zu einem 2:2 und erspielten sich auch danach gegen die USA, Algerien und Frankreich nur sehr dosiert Chancen. Das Ergebnis ist bekannt.

Doch auch in anderer Hinsicht scheint sich Geschichte zu wiederholen. Mit Mario Götze im Sturmzentrum tut sich die Elf schwer, Anspielstationen zu finden. Bricht ein Außenverteidiger doch einmal zur Grundlinie durch und flankt in die Mitte, stand Götze auf verlorenem Posten. In Brasilien hatte er sich auch während des Turniers aus der Stammformation gespielt. Müller und Özil vermochten nicht, ihn in Strafraumnähe am Boden anzuspielen. Draxler bleibt ein Versprechen, das abermals nicht den Verdacht vertreiben konnte, ihm fehle die Dynamik, um wirklich einmal durch ein Abwehrbollwerk zu brechen.

EM 2016: Dienstag gegen Nordirland

Es spricht deshalb nicht wenig dafür, dass Löw am Ende auf die Rezeptur aus Brasilien zurückgreift, spätestens wenn es in die K.o-Phase geht. Dann könnte Schweinsteiger neben Khedira ins defensive Mittelfeld rücken und Kroos als Passgeber hinter die Spitzen rücken, wo er dringend benötigt wird. Özil fände sich dann allerdings abermals auf dem ungeliebten linken Flügel wieder, Müller bliebe rechts und vorn kämpften wohl Gomez und Götze um den Platz in der Spitze.

Bis auf weiteres marschiert Deutschland aber weiterhin lautlos durch seine Gruppe. Ohne Glanz. Ohne zu enttäuschen. Viel deutet darauf hin, dass es am Ende als Gruppensieger weiter kommt. Dann wollen sie da sein. Noch fehlt ein wirklich überzeugender Sieg, um endgültig im Turnier anzukommen. Am Dienstag geht es gegen Nordirland.

Zeit, die Schlagzahl zu erhöhen.

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