Die Unterstützung für Bayern-Trainer Thomas Tuchel kam reichlich spät. Als Letzter aus der Riege der Klub-Führung gab Sportdirektor Christoph Freund am Dienstag sein Statement zum Fall Tuchel und dem "TV-Eklat" ab. "Ich finde es gut und richtig, dass Thomas seine Meinung klargemacht hat, nachdem sich diese Kritik über Wochen zieht", sagte Freund. "Der FC Bayern hat sich schon immer gewehrt, wenn es nötig ist. Das hat Thomas jetzt gemacht, und da stehen wir zu 100 Prozent hinter ihm."
Präsident Herbert Hainer ("Mir gefällt das, dass er so wehrhaft ist") und Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen ("Volle Rückendeckung") waren Tuchel am Sonntag zur Seite gesprungen. Die Bayern-Bosse sahen sich offenbar genötigt, dem Coach öffentliche Unterstützung zu gewähren, nachdem dieser einen geschichtsträchtigen Auftritt rund um das Spiel gegen Borussia Dortmund geliefert hatte.
Thomas Tuchel war in Rauflaune
Tuchel war bei den TV-Interviews und auf der Pressekonferenz vor und nach der Partie dermaßen in Rauflaune, dass die beeindruckende Leistung seiner Mannschaft in den Hintergrund rückte. Beim Interview am Sky-Tisch nach Schlusspfiff blaffte Tuchel erst Matthäus an ("Jetzt haben wir 4:0 gewonnen, jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen - viel Spaß dabei!"), um das Gespräch dann abzubrechen. Etwas milder gestimmt, aber immer noch "under fire" setzte Tuchel die Sticheleien auf der Pressekonferenz fort. Hauptstilmittel: ätzende Ironie.
Ein bisschen kann man den Trainer verstehen. Seit Wochen stichelten Matthäus und Hamann gegen die Bayern. Matthäus und Hamann kritisierten in schöner Regelmäßigkeit, was unter Tuchel angeblich alles schieflaufe – und der Trainer reagierte mit zunehmender Gereiztheit auf die Angriffe und Journalisten-Nachfragen zum Thema. Da schaukelte sich was hoch.
Ihren Höhepunkt erreichte die Kritik der TV-Experten (beide für Sky unterwegs) nach dem zugegebenermaßen hochnotpeinlichen Pokal-Aus der Bayern gegen den Drittligisten 1. FC Saarbrücken. Die Niederlage sei "beschämend" (Matthäus) und Tuchel habe falsch aufgestellt (Superstürmer Harry Kane war nicht zum Einsatz gekommen). Hamann moserte, dass die Transferpolitik "dilettantisch" sei (was zum Teil stimmt, Stichwort kleiner Kader), um dann den allerschlimmsten Vorwurf gegen Tuchel vorzubringen, den man einem Trainer machen kann: Die Entwicklung der Mannschaft sei "nicht gut". Das garnierte Hamann mit dem schlimmsten Vorwurf, den man dem deutschen Rekordmeister überhaupt machen kann: Es drohe gar eine "titellose Saison". Nach dem beeindruckenden Sieg seiner Mannschaft in Dortmund sah Tuchel also die Gelegenheit gekommen zurückzuschlagen.
Machtvakuum beim FC Bayern
Erst am Sonntag folgte die mediale Unterstützung durch die Klub-Führung – und man fragte sich, warum jetzt erst? Es war einer der Momente, wo sich so mancher Bayern-Fan nach der "Abteilung Attacke" gesehnt haben mag. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge wären dem angegriffenen Trainer in ihrer aktiven Zeit gewiss früher zur Seite gesprungen. Man könnte auch sagen: Sie hätten die Kritiker schon längst glattgebügelt. "(...) Das ist jetzt nicht passiert. Und das finde ich schon irritierend, dass Tuchel jetzt selbst entscheiden muss: Wehre ich mich jetzt? Oder wo ist die Unterstützung im Verein?", urteilte Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger am Sonntag bei "Blickpunkt Sport" im Bayerischen Rundfunk.
Was Hitzlsperger anspricht: Der FC Bayern ist tatsächlich ein anderer Verein geworden. Dreesen, Freund und Hainer führen den Klub nach außen hin zurückhaltender. Die Auseinandersetzung mit Kritikern müssen die Trainer nahezu allein führen. Julian Nagelsmann erging es vorher genauso. Schon in der Phase unter Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic hatte sich der Verein in diese Richtung entwickelt. Einige reden deshalb von einem Machtvakuum, das beim größten deutschen Klub entstanden sei, weil die Trainer immer mehr auch für die Beantwortung von nicht-sportlichen Fragen zuständig seien. Ob das ein Thema wird, wird sich bei der Jahreshauptversammlung zeigen. Die steigt am 12. November und ist meist ziemlich lebhaft.
Quellen: DPA, "Sportschau", "Süddeutsche Zeitung"