Mesut Özils Rücktritt in drei Akten ist weit mehr als nur das Ende der Nationalmannschaftskarriere eines Fußballspielers - es ist die Abrechnung des Weltmeisters mit dem DFB, mit Medien, mit Sponsoren. Und - darin sind sich die Kommentatoren der Medien weitgehend einig - er ist vor allem Symbol und Symptom gleichermaßen für das, was in unserem Land und auch im Verband zurzeit schief läuft. Die Stimmen im Überblick:
Inlandsmedien zu Mesut Özils Rücktritt
"Die Zeit": "Sportlich wird sein Verlust schmerzen. Doch es geht noch etwas anderes verloren. Etwas, was viel schlimmer ist. Mit Özil tritt ein Stück weit auch der Glaube an eine progressive Gesellschaft zurück. Sein Rückzug ist ein fatales Symbol, in einer Zeit und in einem Land, in dem rechte Parteien immer lauter schreien und auf Marktplätzen gebrüllt wird, dass Flüchtlinge absaufen sollten. Die Folgen des Rücktritts eines Spielers, der für so viele türkischstämmige Jugendliche, und nicht nur die, ein Vorbild war, sind noch gar nicht abzuschätzen. Nur eines steht fest: Mit Özils Abgang haben die Populisten gewonnen."
"Deutsche Welle": "Der Fußballbund, der sich so gerne mit seiner weltoffenen Art schmückt, hat sich ins Aus katapultiert. Spätestens nach den Äußerungen von Özil muss das Konsequenzen haben. DFB-Präsident Grindel ist nicht mehr zu halten und auch die Personalie Oliver Bierhoff muss diskutiert werden. Der Verband muss sich neu ordnen und einmal kräftig durchgerüttelt werden. Nur eines steht jetzt schon fest: Am Ende verlässt der wegen seiner Körperhaltung oft kritisierte Mesut Özil wohl als Einziger den DFB erhobenen Hauptes."
"Süddeutsche Zeitung": "Dieser Rücktritt ist ebenso ein Zeichen dieser Zeit, in der rechstpopulistische Parteien immer stärker werden, Tausende Menschen in München gegen die ihrer Ansicht nach hetzende Rhetorik der CSU demonstrieren, und man darüber debattiert, ob man Menschen aus Afrika im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten sollte und Retter vor Gericht stehen. Vielleicht steht der Fußball nicht immer für die Gesellschaft, aber er ist unstrittig Teil der Gesellschaft. Die zersetzenden Kräfte haben nun jedenfalls auch das Lieblingsspiel der Deutschen erreicht."
"Spiegel Online": "Es wäre die Aufgabe des DFB und insbesondere seiner Führung gewesen zu erkennen, dass die Debatte über ein PR-Problem hinausgeschritten war - und dass die Spieler zu schützen sind. Der DFB hätte sich zur Integration bekennen müssen, und das hätte bedeutet: Deutschland sind wir alle, unabhängig von Herkunft oder Meinung. Wir gewinnen zusammen. Wir verlieren zusammen. Stattdessen taten Oliver Bierhoff und Grindel nach dem WM-Aus so, als sei es ihre Aufgabe, von Özil etwas einzufordern, was die Mehrheitsgesellschaft vermeintlich von ihm erwartete. (...) Dass Özil das daraus entstehende Gefühl in seiner Rücktrittserklärung so genau beschrieben hat, macht auf tragische Weise klar, worin das Versagen des DFB besteht. 2004 hatte der damalige Politiker und heutige DFB-Präsident Grindel im Bundestag gesagt, 'Multikulti' sei bloß 'eine Lebenslüge'. Entschuldigt hat er sich dafür nie."
"Rheinische Post": "Ein Spieler, der die deutsche Nationalmannschaft auch deshalb verlässt, weil er offenen Rassismus beklagt, der ihm an vielen Stellen entgegenschlägt, muss zwingend ernst genommen werden. Daher werden auch Konsequenzen über seinen Rücktritt hinaus schwer zu vermeiden sein. Der DFB hat sich im Eiltempo bis ins Mark ramponiert, keiner der Einflussreichen beim DFB scheint plötzlich mehr unantastbar. Panisch strampeln einige bereits um ihr politisches Überleben - mit wenig Rücksicht auf Verluste. Wie Oliver Bierhoff, der zunächst energisch verteidigte, dass Mesut Özil sich nicht äußern wollte, später genau das aber öffentlich kritisierte, um dann wieder zu erklären, dass dies nicht so gemeint gewesen sei. Wie Joachim Löw, dessen Aura mit jeder Einlassung verfliegt, in der er eklatante Überforderung mit diesen sensiblen politischen Themen offenbart. Seine Analyse des betrüblichen WM-Auftritts steht freilich noch aus, Führungskompetenz lässt er dieser Tage jedoch nicht erkennen."
Auslandsmedien zu Mesut Özils Rücktritt
"Corriere della Sera" (Italien): "Er hat das lange Schweigen mit einer Erklärung in drei Teilen beendet, die den Effekt einer Bombe hatte. Er spart niemanden aus: die Medien, die Führung des DFB, die Politiker, die ihm nie eine Geste verziehen hätten, die für ihn nur Respekt für das höchste Amt im Land seiner Familie gewesen sei. Es ist ein schmerzlicher Bruch, voller Groll. Und der ist verheerend für den bereits zerkratzten Mythos einer vielfältigen und bunten Nationalmannschaft, die Symbol für die gelungene Integration in einem siegreichen Deutschland war und die auch fester Bestandteil der politischen Narration von Kanzlerin Angela Merkel war."
"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): "Durch Özils Rücktritt ist dem DFB, der im Zuge dieser Affäre zu keinem Zeitpunkt souverän gewirkt hat, eine womöglich unliebsame Entscheidung abgenommen worden. Für den geplanten Neuaufbau des DFB-Teams durch den Bundestrainer Joachim Löw könnte sich Özils Demission gar als Chance erweisen. Doch die Erdogan-Affäre hinterlässt im DFB gleichwohl Misstöne."