Pressekonferenzen, auf denen deutsche Kader für große Turniere bekannt gegeben werden, geraten oft spektakulär. Unvergessen etwa, wie Bundestrainer Jürgen Klinsmann 2006 den Dortmunder David Odonkor aus dem Hut zauberte, von dem nur bekannt war, dass er auf dem Flügel flitzt wie die schnellste Maus von Mexiko.
Gemessen an derlei Unterhaltungswert war die Vorstellung des Kaders für die Euro 2021 durch Joachim Löw eher eine Enttäuschung. Denn es ist eine Reisegesellschaft ohne große Überraschungen. Joachim Löw wird nämlich so ziemlich exakt jene mitnehmen, die schon in den letzten zwölf Monaten mit der Nationalmannschaft gereist sind, von Manuel Neuer über Toni Kroos bis Timo Werner.
Bemerkenswert ist, wen Löw nicht zur EM mitnimmt
Hinzu gesellten sich ein paar Nachrücker wie der Frankfurter Keeper Kevin Trapp und die beiden kurz vor dem Turnier in Ehren wieder aufgenommenen Routiniers Mats Hummels und Thomas Müller. Deren Begnadigung war allerdings schon in den letzten Tagen durchgesickert, so dass allenfalls zwei weitere Nominierungen für ein wenig Aufregung sorgten: Christian Günter und Kevin Volland.
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Günter, der Freiburger Defensivmann, setzte sich gegen den ebenfalls hoch gehandelten Philipp Max vom PSV Eindhoven durch und profitierte dabei womöglich auch ein bisschen von den kurzen Anreisewegen des Bundestrainers zum Dreisamstadion. Kevin Volland wiederum hat in der abgelaufenen Saison immerhin 16 Tore für den AS Monaco geschossen und strahlt somit etwas aus, was die Nationalelf zuletzt nur noch aus dem Fernsehen kannte, nämlich Torgefahr. Man tritt Volland aber auch mit der Vermutung nicht zu nahe, dass er ohne die Erweiterung der Kader von 23 auf 26 Spieler eher nicht mitgefahren wäre.
Bemerkenswert ist deshalb vor allem, wer alles nicht mit zur Europameisterschaft fährt. Julian Draxler vom Champions-League-Halbfinalisten PSG ist nicht dabei, der früher so gelobte Julian Brandt ebenfalls nicht. BVB-Angreifer Marco Reus hatte schon gestern abend halbwegs freiwillig abgesagt. Außerdem war bereits durchgesickert, dass Jerome Boateng als einziger der zuvor aussortierten Routiniers nicht zurückgeholt werden würde.
Das wiederum war weniger Boatengs Verschulden. Stattdessen folgte die Nichtnominierung der Einsicht Löws, dass sein zuvor so lauthals verkündeter Umbruch vollends als Farce in die Geschichte der Nationalelf eingegangen wäre. Denn so sehr sich Müller und Hummels jeden schadenfrohen Kommentar verkniffen, so sehr ist ihre Berufung auch eine Niederlage für den Bundestrainer. Der hatte geglaubt, mit frischen Kräften die Lücke schließen und insbesondere in der Defensive ein stabiles Gerüst bauen zu können. Um am Ende kleinlaut Hummels zurückzuholen, der offenbar als einziger das Stellungsspiel nicht nur als erotische Variante kennt.
Deutschland hat keine Chance auf den Titel
Außerdem, so geht das Kalkül weiter, ist Hummels auch eine Identifikationsfigur inmitten einer Nationalelf, deren Distanz zum gemeinen Fußballpublikum selten größer war. Das liegt an den lausigen Auftritten der letzten Zeit, aber auch an den vielen braven Fußballarbeitern in Löws Kader, an all den Halstenbergs und Klostermanns, die in kaum einer deutschen Fußgängerzone einen größeren Menschenauflauf erzeugen würden. Deshalb braucht Löw die Weltmeister von früher und dazu ein paar Jungstars, deren Gesichter das Publikum wiedererkennt. Die Verantwortung, und das ist immerhin neu, ruht auf den Schultern der jüngeren Stars, auf Kai Havertz von Chelsea, auf Leroy Sané vom FC Bayern und vielleicht auch auf Timo Werner, wenn er irgendwann auch wieder mal entschlossen aufs Tor schießt, anstatt die Gegner an der Strafraumkante zu umzingeln.
Ansonsten war vieles erwartbar. Die Planstelle des hoffnungsvollen Jungspundes besetzt diesmal nicht der Leverkusener Florian Wirtz, sondern Bayerns Nachwuchsmann Jamal Musiala. Das ist eine gefahrlose Wahl für Löw. Der 18-Jährige hat zwar bei den Bayern in dieser Saison noch keine einzige Bundesligapartie durchgespielt, er reist aber auch eher als lernwilliger Azubi mit. Seine große Zeit kommt hoffentlich noch.
Und vielleicht auch die große Zeit einer runderneuerten Nationalelf. Mit einem neuen Trainer, der solche Pressekonferenzen nicht so ostentativ tiefenentspannt abspult wie Joachim Löw. Mit einer stabilen Abwehr, die sich womöglich erst nach diesem Turnier findet. Und mit einem Mittelfeld, das ähnlich rasant kombiniert, wie es derzeit schon die Engländer, Spanier und Franzosen tun.
Denn das muss halt auch festgestellt werden: Joachim Löw hätte noch weitere vier Spieler nominieren können, eines hätte sich nicht geändert: Deutschland wird nicht Europameister. Keine Chance.