Drei Erinnerungen werden bleiben, vom Finale der Champions League am Samstagabend in Kiew. Die Patzer des unglückseligen Liverpool-Keepers Loris Karius, der fabulöse Fallrückzieher des Gareth Bale und das mitleidslose Zerstörungswerk des Sergio Ramos. Der Madrid-Kapitän hatte nicht nur Liverpools Stürmer Mo Salah so mit eingehaktem Arm zu Boden gerissen, dass dieser sich ein Schulterband riss und ausgewechselt werden musste, sondern auch noch Liverpools Keeper Karius mit einem nicht geahndeten Ellenbogencheck attackiert. Dass er obendrein theatralisch darnieder sank, nachdem Mané dezent an seinem Trikots gezogen hatte, rundete die fragwürdige Performance ab.
Jürgen Klopp untertrieb anschließend kräftig, als er konstatierte. "In Ägypten hat sich Ramos damit wohl keine Freunde gemacht." Der Furor war stattdessen global und entlud sich vornehmlich in den sozialen Medien über Ramos – und er hatte fast etwas Ulkiges. Denn niemand, der Sergio Ramos in den letzten Jahren hat spielen sehen, konnte ernsthaft überrascht über die Ereignisse von Kiew sein. Der Madrilene kombiniert seit jeher ein begnadetes taktisches Verständnis und extreme Ballsicherheit mit oft brutaler Härte und erbarmungswürdigen Schauspieleinlagen, die für jede Laienspieltruppe rufschädigend wären.
Sergio Ramos - der Mann fürs Grobe
Und ebenso unbestritten ist, dass Ramos wegen dieser Kombination aus strahlend schönen und hässlichen Momenten so wichtig für den Erfolg von Real Madrid ist. In früheren Zeiten, etwa in der Ära der sogenannten "Galaktischen" mit Luis Figo und Zinedine Zidane, hatte die Mannschaft stets spielerisch brilliert, war aber allzu oft an ihrer Defensivschwäche gescheitert. Ramos sorgt hingegen seit 2006 für jene Stabilität und Absicherung, die all den Offensivzauber der Modrics und Ronaldos erst ermöglicht.
Zudem ist bei aller berechtiger Empörung das Wesen des Sergio Ramos auch eine unterhaltsame Reminiszenz an die Zeiten, als es auf dem Platz noch Klopper und Treter en gros gab. Jede Mannschaft, die etwas reißen wollte, hielt sich einen Defensivmann für die Schmutzarbeit. Helmut Rahner, Vinnie Jones und Tomasz Hajto etwa. Oder Klaus Augenthaler, der 1990 nicht ohne Bitterkeit feststellte: "Früher hast du drei- oder viermal hinlangen können, ehe du vom Platz geflogen bist. Heute darfst du nur noch zweimal, und das auch nur ganz sachte. Das steht in keiner Relation mehr." Und natürlich Bremens Uli Borowka, der den jungen Schalker Olaf Thon mit dem Hinweis begrüßte: "Thon, komm mir heute nicht in die Quere, sonst breche ich dir beide Beine!" Borowka verzweifelte nur am liberianischen Stürmer George Weah. Als er den von hinten trat, brach ihm ein Stollen ab, Weahs Schenkel war einfach zu muskulös.
Fehlt den deutschen Klubs ein Ramos?
Solche Spieler konnten sich früher darauf verlassen, dass die träge Sportschau-Kamera den dezenten Tritt in die Achillesferse oder den beherzten Griff in die Familienplanung schon nicht mitbekommen würde. Heutzutage hingegen wird auch ein Ellenbogencheck abseits des Spielgeschehens hochauflösend aufgezeichnet und führt ganz zwangsläufig zu großer Erregung. Doch wenn sich in ein paar Tagen die Empörung gelegt hat, sollten sich auch die deutschen Klubs noch einmal die Aufnahmen anschauen und sich ganz dezent fragen, ob solch ein Spieler ihnen nicht im Portfolio fehlt. Nicht unbedingt einer, der marodierend durch Strafräume marschiert. Aber einer, der begriffen hat, das große Spiele nicht nur durch geniale Pässe und Flankenläufe entschieden werden, sondern auch durch beherzte Grätschen und rasante Tacklings. So einer ist nämlich Sergio Ramos. Ein Brutalo. Ein lausiger Schauspieler. Ein vierfacher Champions-League-Sieger.
