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Lage beim Rekordmeister Alles top bei den Bayern? Von wegen: Uli Hoeneß verspielt schleichend die Gunst der Fans

Uli Hoeneß Abflug Sevilla
Uli Hoeneß vor dem Abflug nach Sevilla: Kann er die Bayern in die Zukunft führen?
© Sven Hoppe / DPA
6:0 gegen den BVB, Sieg in Sevilla: Man könnte meinen, alles liefe rund beim FC Bayern. Doch im Hintergrund ringt der Verein um seine Zukunft. Und etwas Besonderes passiert: Uli Hoeneß verliert an Ansehen bei den Fans.
Von Stefan Johannesberg

"Bushido bringt Rap wieder zu den 30ern", krakeelte der Berliner Rapper und Bayern-Fan vor Jahren in dem Song "Electrofaust". Er spielte damit sowohl auf die 030-Vorwahl Berlins als auch auf die Gangster der 30er Jahre an. Auf Uli Hoeneß gemünzt, Ikone des Rekordmeisters und FCB-Präsident, hieße das in der Gegenwart: "Uli bringt Bayern wieder zu den 89ern." Soll heißen: Die Münchner Vorwahl 089 stünde als Symbol für München statt New York, Rio, Tokio und das Jahr 1989 als Sinnbild für nationale Dominanz und internationale Pleiten. Damals holten die Münchener mit ihrer langjährigen, beschränkten Mia-San-Mia-Strategie aus echten Bayern (Grahammer, Pflügler), deutschen Stars (Thon, Kohler) und mittelmäßigen Europäern (McInally/McInully und Mihalovic/Mihajlonix) eine Meisterschaft nach der anderen, scheiterten aber regelmäßig an echten Weltklubs wie dem AC Mailand.

Mittlerweile ist der Anspruch an das Multi-Millionen-Euro-Unternehmen von der Säbener Straße jedoch ein anderer. Ein Gegner wie der FC Sevilla im Champions-League-Viertelfinale am Dienstagabend (ab 20.45 Uhr im stern-Liveticker) gilt mittlerweile als "Glückslos". Dennoch gilt: Die Konkurrenz schläft nicht und nur die wenigsten Bayern-Fans wünschen sich in die Zeiten der "Glücks-Buyern" zurück. In der Gegenwart ist der Frust vieler Fans groß. Sie registrieren mit Sorge das amateurhafte Zaudern in der Trainerfrage, die Hinhaltetaktik bei verdienten Spielern wie Franck Ribéry und Arjen Robben (Robbery), den Streit in der Führungsetage und die fehlenden Superstar-Transfers. Im Mittelpunkt der Kritik: Uli Hoeneß, der einstige, ewige Held. Wie konnte es dazu kommen?

Koa Lahm, koa Tuchel, koa Griezmann, nur a Brazzo

Das jüngste Desaster um Thomas Tuchel und die Trainerfrage war nur die letzte in einer Serie von seltsam amateurhaften Entscheidungen, in deren Mittelpunkt immer "Uns Uli" stand. Das Bild, das die Führungsetage seit seiner Rückkehr aus dem Gefängnis und der Wahl zum Präsidenten im November 2016, abgibt, passt so gar nicht zu den "Best in Class"-Bayern der Sammer- und Pep-Ära. Zwar erkannte Hoeneß ganz genau die Defizite in der Jugendarbeit, die noch nicht einmal an gehobenes Bundesliganiveau heranreichte. Doch die konzeptlose Kaderplanung als bekanntes Gespenst aus besagten 89er Zeiten und die Posse um die Besetzung des Sportvorstands im Sommer 2017 erschreckte die Fans.

Es ist kaum vorstellbar, dass Vorgänger Sammer oder ein halbwegs kompetenter Manager ohne Backup-Stürmer, ohne doppelte Nachbesetzungen der alten Außenstürmer, dafür aber mit zehn Mittelfeldspielern in die Saison gegangen wären. Von einem neuen Superstar wie bei der Konkurrenz Real Madrid, Paris Saint-Germain, Manchester City und Co. ganz zu schweigen.

Die Suche nach einem Sportvorstand dauerte viel zu lange und erinnert sehr an das Trainer-Debakel. Modern und groß denkende Ex-Profis wie Philipp Lahm oder Oliver Kahn winkten wegen der unklaren Zuständigkeiten und der Präsenz von Alphatier Hoeneß schnell ab. Selbst der Gladbacher Manager Max Eberl, der Mini-Uli vom Bökelberg, konnte nicht überzeugt werden. Stattdessen einigte man sich erst spät auf das bei vielen beliebte Arbeitstier Hasan Salihamidzic. Weltverein geht anders. Es ist an Komik nicht zu überbieten, dass gerade jener Salihamidzic, belächelt wegen der ersten unbeholfenen Interviews, in den folgenden Monaten noch den professionellsten Eindruck aller Verantwortlichen hinterlassen sollte.

Der Fall Heynckes offenbart die Schwächen

Die halb glückliche, halb geniale Wahl von Jupp Heynckes als Ancelotti-Nachfolger im Herbst 2017 kaschierte zuerst viele dieser Probleme. Er stabilisierte mit Co-Trainer Hermann die sehr erfahrene Truppe, profitierte von der Leipziger Doppelbelastung und dem BVB-Einbruch und holte sportlich das Optimum heraus. Dass er dazu auch noch wie ein Beinahe-Heiliger seine Freunde Uli und Kalle wieder dichter zusammen brachte, vollendete die Auferstehung von Triple-Jupp. Das klingt lustig und hoffnungsvoll, ist aber mehr als amateurhaft. Man stelle sich das mal in einem Unternehmen vor. Da muss erst ein neuer Abteilungsleiter kommen, der die beiden uneinigen Geschäftsführer wieder - zeitweise - zusammenbringt.

Heynckes steht für die Gegenwart, ein operativ erfolgreicher Bereichsleiter kurz vor der Rente, der aber ein Unternehmen in unruhigen, transformativen Zeiten weder strategisch noch langfristig führen kann. Das ist die Aufgabe von Vorstand und Präsident und hier setzte Uli Hoeneß seine unglücklich bis peinlich selbstüberschätzende Rolle fort. In einem Anfall maßloser Arroganz glaubte er, "seinen" Jupp trotz anders lautender Aussagen noch für eine weitere Spielzeit gewinnen zu können - auch über die Medien. Deutlicher konnte er seine Zweifel an dem in den Startlöchern stehenden Thomas Tuchel nicht äußern. Was trieb ihn dazu, nicht nur den besten deutschen Trainer zu brüskieren, sondern auch dem Neuen, der ab Sommer sein Amt antreten wird, gleich einen Rucksack mit auf den Weg zu geben, indem man ihm sagt: Du bist nur zweite Wahl.

Uli Hoeneß Franck Ribéry
Ein Klub-Patriarch alter Schule: Uli Hoeneß hat selbst am Flughafen immer ein Ohr für seine Stars wie Franck Ribéry und tätschelt ihnen auch mal väterlich die Hand
© Alexander Hassenstein/ / Getty Images

Gehobener Mittelstandsverein oder investitionsfreudiger Weltkonzern?

Vor knapp zehn Jahren zogen alle noch an einem Strang. Mit klarer Strategie arbeitete Uli mit Kalle erfolgreich an einem auf allen Ebenen professionellen Weltklub. Seit Louis van Gaal zeigte sich die bayerische Arroganz mit Ballbesitzfußball immer mehr auch auf dem Fußballplatz. Trotz des Finales dahoam - eine Niederlage, die es eigentlich nie gegeben hat - und der kurzfristigen Dominanz des BVB verlief dieser Weg sehr erfolgreich. Vor allem der erfolgsbesessene Visionär Matthias Sammer als Sportvorstand 2012 und Trainerguru Pep Guardiola ein Jahr später machten aus dem FC Bayern München eine Mentalitäts- und Pass-Maschine. Uli selbst hatte der Legende nach noch die entscheidende Rolle bei der Verpflichtung des katalanischen Genies gespielt.

Seit seiner Haftentlassung fehlt ihm das alte Gespür, scheint das Bauchgefühl nicht mehr in die Zeit zu passen. Man eiert herum und rennt kopflos in entgegengesetzte Richtungen wie beim HSV in den schlechtesten Zeiten. Dazu wird die wichtigste Position im Fußball sicher mit einer deutschsprechenden 2B-Lösung besetzt. 2B statt 1A, für Bayerns Ansprüche zu wenig.

Der Trainer ist Dreh- und Angelpunkt im Uhrwerk eines Profivereins, leitet einen über 30-köpfigen Stab und entwickelt die Produktstrategie, sprich Taktik. Heynckes tut sich dies aus gutem Grund nicht mehr an. Bei allem Respekt für die Kandidaten Niko Kovac oder Ralph Hasenhüttl, beiden fehlt die Erfahrung und Klasse für eine Aufgabe dieser Größenordnung. Kovac holte trotz starker Leistung bei der Eintracht als Nationaltrainer Kroatiens mit Europas bestem Mittelfeld (Rakitic, Modric) nur das Mindestmaß heraus. Hasenhüttl kommt erst mit einer belastbaren Saison im Gepäck. Keiner steht momentan für die einstige Pass- und Offensivdominanz, die den FC Bayern so weit nach oben gebracht hatte. Die einzigen Innovatoren mit besonderem Touch wären Nagelsmann und mit Abstrichen Christian Streich und Lucien Favre, die jedoch wie die 1A-Lösung Tuchel anscheinend keine Rolle mehr spielen.

Ein Pilot hält eine Bayern-Flagge aus einem Lufthansa-Flugzeug

Rummenigge hat das erkannt. Er will die 50+1 Regel kippen, um die Konkurrenz in Deutschland zu stärken. Er weiß, dass Bayern eine wettbewerbsfähige Bundesliga braucht, um den europäischen Spitzenklubs Paroli zu bieten. Aber Hoeneß hat einfach seine Vision eines FC Bayern Deutschland aus dem Jahre 2001 erneuert - Gnabry und Goretzka statt Griezmann oder Dybala. Wo PSG, Real, Barcelona und die englischen Klubs dank TV-Geldern oder reichen Mäzenen bei Transfers dauerhaft die 100-Millionen-Marke sprengen, wurschtelt und wildert sich der FC Bayern mit dem ach so tollen wie vollen Festgeldkonto durch die zweitklassigen Ligen in Deutschland und Frankreich. Der Vergleich zwischen dem deutschen, industriellen Mittelstand und den global-disruptiven Plattformen wie Google, Amazon oder Alibaba drängt sich auf - mit keinem guten Ausgang für erste. Zu risikoarm, zu eingefahren, zu wenig investitionsfreudig agieren die nationalen Konzerne und Hidden Champions, während die Amerikaner und Chinesen die digitale Welt neu erfinden. Dass Kartellbehörden und die Politik dieser nicht immer gesunden Entwicklung momentan fast genauso tatenlos zuschauen wie die Uefa beim Financial Fairplay befördert die wachsende Kluft noch.

Der FC Bayern steht am Scheideweg

Der FC Bayern München steht - wieder einmal - am Scheideweg. Die wie immer messerscharf analysierenden Kollegen von miasanrot.de brachten die aktuelle Stimmung auf den Punkt: "Im Haifischbecken der größten Unternehmen dieser Branche wirkt der FC Bayern wie ein mittelständischer Betrieb, der nicht nur im Ist-Zustand schwimmt und die Sonne genießt, sondern zusätzlich gar nicht merkt, dass sich die Dinge speziell in den letzten vier Jahren extrem verändert haben."

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Verlaufen die Trainersuche und der Mannschaftsumbau weiter mit angezogener Handbremse und stellt Hoeneß sein Ego weiter über das Wohl des Vereins, gefährdet er mittelfristig seine Lebensleistung. Wie alte Patriarchen von Familienunternehmen, die zu ängstlich in Neues investieren und zu spät den Staffelstab an ihre Erben weiterreichen. Dann kehrt vorerst keine Ruhe auf der Führungsebene ein, die Bayern werden aus Europas Top fünf purzeln und in der Bundesliga wieder angreifbar. Wie damals, als sie zwar 1989 unter – welch‘ ein Zufall – Jupp Heynckes mehrere Jahre die Meisterschaft gewannen, in den folgenden Jahren jedoch mit unglaublichen Einkäufen (Rehhagel als Trainer für kontrollierte Offensive bekam 1995 ein offensives Team mit vier Spielmachern) mehrmals bis auf Uefa-Cup-Plätze abrutschten.

Tritt dieser Fall wieder ein, sollten die Bayern-Hasser "dem Uli" ein Denkmal bauen. Er selbst denkt jedenfalls so klein: "Es wird ja nicht für alle Zeit so sein, dass der FCB da oben ist", sagte der Präsident der Roten bei der SPOBIS in Düsseldorf. Eine Aussage, die man öffentlich weder von Amazon-Boss Jeff Bezos noch von PSG-Chef Nasser Al-Khelaifi hören würde. Wie rappte Bushido noch im eingangs erwähnten "Electrofaust"? "Du hast Pech, weil jeder Gangster jetzt auf dich spuckt!" Für Hoeneß könnte es bei weiteren amateurhaften Peinlichkeiten heißen: "Du hast Pech, weil jeder Bayern-Fan jetzt auf dich spuckt." 

tis/Stefan Johannesberg

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