WM 2010: Deutschland gewinnt kleines Finale Stolz wie Weltmeister

Spiele um Platz drei sind so beliebt wie Freundschaftsspiele nach Saisonende. Doch nach dem 3:2 gegen Uruguay ist die deutsche Elf froh, das Placebo geschluckt zu haben.

Per Mertesacker hat wieder etwas besser ausgesehen, kein Vergleich zum Mittwoch, als er noch im Zeitlupentempo durch die Mixed Zone in Durbans Moses-Mabhida-Stadion schlurfte. Ein junger Mann ging da nach dem 0:1 gegen Spanien im Halbfinale entlang, dem ein für allemal jede Illusion auf eine glorreiche Zukunft geraubt schien. Nun wankte er abermals verstörend langsam durch eine dieser Begegnungsstätten, in denen Sportler auf diese seltsame Spezies namens Sportjournalist trifft. Diesmal war es in Port Elisabeth. Mertesacker trug wieder tapfer seinen Segeltuchanzug, die Uniform der Nationalspieler. Eine Hand zerrte an der Hose, wie er das immer tut, wenn er ein bisschen verlegen ist.

Doch diesmal gesellte sich noch ein Lächeln dazu, unübersehbar kroch es von einem Mundwinkel zum anderen. In der Hand hielt er zwei Bier, auch das war ein gutes Zeichen, zumal eines wie ein Sturzbach kurz darauf in seinem Hals verschwand. Er sprach: „Ich bin froh, dass wir den dritten Platz erreicht haben, das gibt uns ein positives Gefühl. Die Mannschaft spielt auf einem Niveau, auf dem sie in der Welt mithalten kann, was will man mehr.“ Per Mertesacker war wieder ein glücklicher Mensch. Es gab da jetzt keinen Zweifel mehr, das Placebo - hatte wieder gewirkt, wie bereits vor vier Jahren.

Lästige Pflicht wird zur Chance erklärt

Spiele im so genannten kleinen Finale einer Weltmeisterschaft sind bei Fußballmannschaften gewöhnlich so beliebt wie Freundschaftsspiele nach Saisonende. Sie müssen absolviert werden, doch insgeheim fragt der Profi sich, ob das wirklich sein muss, wo doch alle eigentlich nur noch nach Hause wollen. Doch wie damals in Stuttgart beim 3:1 gegen Portugal deuteten die Deutschen auch diesmal die lästige Pflicht als Chance zur Aufhellung des eigenen Gemüts um. Also schlugen sie auch Uruguay mit 3:2 in einem Spiel, das hin und her wogte wie der Ozean vor Port Elisabeth.

Sie hatten das Turnier doch noch mit einem Sieg beendet und es war ihnen anzusehen, wie viel ihnen das bedeutete. Gar nicht mehr loslassen wollten sie einander nach dem Schlusspfiff. Verdiente Mitglieder wie der Wunderarzt Müller-Wohlfahrt oder Pressechef Harald Stenger drückten erleichtert und beglückt einen jeden, als hätten sie gerade gemeinsam eine Expedition voller Abenteuer am anderen Ende der Welt zu einem guten Ende gebracht, und so ähnlich mussten sie sich auch fühlen.

Gleich drei seiner Besten hatte Joachim Löw ersetzten müssen nach der Niederlage gegen Spanien, die einen solch kolossalen Druckabfall bei der gesamten Delegation ausgelöst hatte, dass Löw selbst, Podolski und Lahm erst einmal krank wurden. Hals, Nase und Ohren schmerzten. Dazu gesellte sich noch Miroslav Klose, den ein eingeklemmter Ischiasnerv peinigte.

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Kleines Podium für hochkarätige Mannschaft

Sie leisteten sich dann manchen Fehler in einem Spiel, das nach Wochen relativer Ruhe noch einmal unter einem dröhnenden Klangteppich von Vuvuzelalärm über die Bühne ging, als wollte Südafrika noch einmal sicher gehen, dass auch wirklich niemand die Tröten vergisst. Der sonst so gewissenhafte Schweinsteiger etwa dribbelte vor dem Ausgleich im Mittelfeld so lange sorglos und verliebt mit dem Ball umher, bis Uruguays tapfere Krieger ihn entwendeten und zum 1:1 einschoben. Als Diego Forlan nach der Pause auch noch mit einem zauberhaften Volley zum 2:1 traf, schien die Partie entschieden. Doch Jansen und Khedira per Kopf drehten das Spiel noch. Sehr deutsch - im besten Sinne sah - das zum Abschluss noch einmal aus.

Ein kleines Podium wurde dann schnell von den Organisatoren herbeigeschafft, für die Siegerehrung. Es sah ein bisschen armselig aus, doch dafür war die Besetzung der Gratulanten hochkarätig: Der neue Bundespräsident Christian Wulff war eigens herbeigeflogen. Er stand jetzt neben dem südafrikanischen Staatspräsidenten Jacob Zuma, Fifa-Präsident Sepp Blatter und DFB-Präsident Theo Zwanziger. Einer nach dem anderen defilierten Lahm, Schweinsteiger und der Rest an ihnen vorbei. Medaillen bekamen sie umgehängt, und Zwanziger drückte einen jeden einzelnen wie einen Sohn, es war allerdings nicht zweifelsfrei klar, wer da wen brauchte.

Dann noch rasch ein Gruppenfoto, erst ohne, dann mit allen Physiotherapeuten, Pressesprechern und Zeugwarten, aus denen sich spielend eine weitere Mannschaft bauen ließe. Als das DFB-Team am Ende gar noch zu einer Ehrenrunde aufbrach, war die WM praktisch gewonnen.

Was will man mehr?

Löws Fazit kannte wie erwartet keine Zwischentöne mehr. Rot leuchtete die Nase in der Nacht, die Stimme klang, als spreche er in eine Gießkanne. Doch er war glücklich. „Insgesamt war das für uns ein bemerkenswertes Turnier, das war vor acht oder neun Wochen ja nicht zu erwarten.“ Dann prasselte das Lob nur so auf seine Elf nieder. „Was ich besonders schätzen gelernt habe, ist, dass die Mannschaft nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben ein hervorragendes Bild abgegeben hat. Wir haben allen Grund zur vollen Zufriedenheit.“

Heute fliegt die Löw-Mannschaft um 20 Uhr im Airbus A380 wieder nach Hause, auf den Tag fünf Wochen nach der Abreise aus Frankfurt. Sie werden in der Luft sein, wenn Spanien und die Niederlande den Weltmeister ausspielen, aber wahrscheinlich hätten sie ohnehin nicht zugesehen. Wer reißt schon gern alte Wunden auf? „Ich bin froh, den dritten Platz erreicht zu haben, das gibt ein gutes Gefühl“, erklärte Mertesacker. „Die Mannschaft spielt auf einem Niveau, mit dem man in der Welt mithalten kann. Was will man mehr?“ Die Sorge, dass Löw in Zukunft nicht mehr sein Trainer sein wird, die hat er nicht. Geworben haben sie genug, durch ihre Leistung, darauf komme es am Ende an, nicht auf leere Worte.

Er ist stolz auf die zwei dritten Plätze und den zweiten Rang bei der Europameisterschaft. Er findet das schon ganz okay. Seine Medaille hat er allerdings kurz nach dem Spiel schon wieder abgenommen, während sie bei Lukas Podolski noch um den Hals baumelt. Sie steckt noch irgendwo in der Tasche, die er vor sich auch den Boden gestellt hat. „Ich brauche die jetzt nicht, ich habe ja schon eine.“ Er ist froh, dass es endlich nach Hause geht, drei Wochen Urlaub liegen vor ihm. Wer ihn am Samstag aus der Mixed Zone hat wackeln sehen wie einen alten Greis, hat keinen Zweifel, dass er jeden Tag brauchen wird.

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