"Fußballfest" in Katar Debakel zum WM-Auftakt: Noch nie hat mich ein Spiel der Nationalelf so kalt gelassen

Ilkay Gündogan von der deutschen Elf reagiert während des Spiels Deutschland gegen Japan 
Ilkay Gündogan von der deutschen Elf reagiert während des Spiels Deutschland gegen Japan 
© Icon Sportswire / Imago Images
Sehen Sie im Video: "Enttäuscht und traurig": So reagieren die deutschen Fans nach dem WM-Debakel.




STORY: Das tat weh. Nach anfänglicher Führung hat die deutsche Nationalmannschaft den WM-Auftakt gegen Japan verloren, mit 1:2. Der Mannschaft gelang es nicht, sehr wohl vorhandene Chancen zu verwandeln, in der Abwehr zeigten sich deutliche Aussetzer, gar Fehler. Immerhin: Das Tor für Deutschland schoss Ilkay Gündogan per Faul-Elfmeter in der 33. Minute. Die Niederlage ist eine Erinnerung an die WM 2018. Damals verpatzten die DFB-Auswahl unter Jogi Löw ihren ersten Einsatz gegen Mexiko. Jubel also bei den Fans der Japaner in Al Rayyan bei Doha. Enttäuschung bei den Unterstützern der Nationalelf aus Deutschland: "Wir sind sehr enttäuscht und traurig. Aber wir glauben, Deutschland hat gut gespielt, gut geschlagen, vor allem unser Torwart Manuel Neuer war super stark. Wir sind sehr stolz auf ihn." "Schon eine Enttäuschung, weil Deutschland ist ja ein sehr großes und starkes Team auf der Welt, und war ja auch einer der Favoriten vor allem nach dem Wechsel mit Hansi Flick." Auch daheim in Deutschland, wie hier in Essen, gab es am Mittwoch lange Gesichter - aber auch etwas Optimismus: "Insgesamt ein zu schwacher Auftritt der deutschen Mannschaft. Und ich glaube aber, dass es besser wird, und dass wir trotzdem ins Achtelfinale einziehen werden." "Hat man ja gesehen. Vorne, hinten, stimmte alles nicht. Keine Ahnung. Gestern haben wir uns noch über Argentinien kaputt gelacht, weil sie gegen Saudi-Arabien verloren haben. Und heute stehen wir genauso da wie Argentinien." "Katastrophenfußball, total falsch. Schlotterbeck Ausfall, Gnabry Totalausfall. Hätte man viel vorher auswechseln müssen." Die Weltmeisterschaft steht im Schatten der Debatte um Menschenrechte im Gastgeberland Katar und um das Vorgehen des Weltverbands Fifa. Wem die Lust auf WM-Schauen, und das mitten im Winter, nicht vergangen ist: Als nächstes trifft die Nationalelf am Sonntag auf Spanien. Anpfiff ist um 20 Uhr.
Deutschland hat das erste Spiel dieser WM ordentlich vergeigt. Unser Autor, ein Fußballfan seit Kindheitstagen, fühlte dabei: nichts.  

Als Kind drehte sich bei mir alles um Fußball. EM- und WM-Spiele waren für mich hohe Feiertage. Jedes Spiel, ob Kamerun gegen Saudi-Arabien, ob Japan gegen Costa-Rica wurde auf der Straße und im Garten mit wenn möglich farblich passenden T-Shirts nachgespielt. Panini-Bildchen als Standardwährung auf dem Pausenhof, der Fernsehbildschirm als Lagerfeuer für die ganze Familie.

Sei es Ball, Stein oder Luftballon: Noch heute kann ich an keinem runden Etwas vorbeigehen, ohne dagegen zu treten. Ronaldo (das Original!), der auf Oliver Kahn zurast, Zidane, der Materazzi zu Boden köpft, das ohrenbetäubende Raunen der Vuvuzelas: Die großen und kleinen Momente der Fußballfeste haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Auch das, was gerade in Katar, in diesem Land vor unserer Zeit stattfindet, löst eine Menge Gefühle bei mir aus – nur hat keines davon mit dem Sport zu tun, den ich lieb(t)e. Ich bin ehrlich mit Ihnen, lieber Leser. Hätte ich diesen Kick nicht beruflich schauen müssen, hätte ich es mir womöglich gespart. Beim Mittippen im Kölner Homeoffice hatte ich das Fenster auf Kipp geöffnet – in Erwartung des tosenden Jubels der Nachbarn, die die DFB-Treffer dank TV-Anschluss Sekunden vor mir erleben. Doch als Gündogan in der 33. Minute seinen Elfmeter routiniert versenkte, war mein Veedel stiller als die Nationalspieler beim Mannschaftsfoto.

Kein Fingernägelkauen, kein Fluchen, kein Bangen, kein Hoffen

Ich bin nicht (gänzlich) naiv: Mir ist klar, dass wahrscheinlich alle großen Turniere der letzten Jahrzehnte in irgendeiner Weise gekauft waren, dass der Sport angesichts des Milliardengeschäfts, das der Fußball nun einmal ist, Jahr für Jahr weiter in den Hintergrund rückt – auch in der Bundesliga. Doch diese auf Hochglanz polierte PR-Show, diese künstlich bewässerte Wohlfühloase hat nichts mit den Fußballfesten zu tun, die ich in Erinnerung habe. Dieses Turnier ist schlicht klinisch. Es tut mir leid für junge Spieler wie Havertz, Moukoko oder Musiala, für die der Einsatz bei einer WM der absolute Höhepunkt, die Erfüllung aller Kindheitsträume sein müsste. Es tut mir aber genauso leid für all die fußballverrückten Kinder, die um unvergessliche, prägende Momente betrogen werden.

Nicht enden wollende Debatten um Kapitänsbinden, Bierverbote, und Fake-Fans – und nicht zu vergessen: die Tausenden toten Gastarbeiter – haben jedes bisschen Vorfreude im Keim erstickt. Nichtsdestotrotz hatte ich bis zum Anpfiff gehofft, der sprichwörtliche Funke würde doch noch auf mich überspringen. Dem war nicht so. 

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Als den "Samurai Blue" aus Japan kurz vor Spielende die Sensationswende gelang, fühlte ich: nichts. Kein Fingernägelkauen, kein Fluchen, kein Bangen und Hoffen. Wenn ich auch nur in einem Moment Gänsehaut hatte, dann nur, weil wir Heizkosten sparen. Gerne wäre ich so optimistisch wie mein Kollege. Dass ich so gar nicht mitfieberte, kommentierte er hanseatisch nüchtern mit "Wird noch". Sein Wort in Gottes, oder vielleicht besser: in Infantinos Ohr.

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