Magdalena Neuner hat unter ihrem Erfolg häufig gelitten. Gleich damals 2007, als sie völlig überraschend bei der WM in Antholz drei Goldmedaillen gewann. Innerhalb weniger Tage war die junge Wallgauerin, die kaum jemand kannte, zum Superstar ihres Sports geworden. Plötzlich wollte jeder etwas von ihr. Jeder bedrängte sie. Und sie konnte nicht nein sagen. Machte alles mit. Rannte von Termin zu Termin. Konnte nie Luft holen. Fühlte sich überfordert. War eine Getriebene, die sich beklagte, selbst in der Stunde ihrer größten Triumphe kein Glück zu spüren.
Schnell war sie in der Öffentlichkeit überall nur noch die Harfe spielende und strickende Bayerin. Ein Image, das sich gut zu Geld machen ließ. Dabei mochte sie dieses Bild von sich überhaupt nicht. "Das hatte sich mein Management ausgedacht", sagte sie später. Aber sie machte trotzdem lange mit. Sie wusste noch nicht, dass man sich wehren kann. Dazu kam ein Stalker, der drohte, sie zu ermorden. Um ihr Haus schlich. Irgendwann streikte unter all dem Druck ihre Psyche. Von Depressionen möchte sie nicht sprechen. Aber "es gab eine Phase, in der ich sagte, ich kann, ich will nicht mehr." Damals hätte eine Auszeit ihr gut getan. Ging aber nicht, schließlich begann die neue Saison.
Fans im Vorgarten
Auch hier war der Druck enorm. Alle erwarteten Siege. Sie von sich selbst auch. Nicht ganz oben auf dem Siegerpodest zu stehen, empfand sie als Niederlage. Sie sagte: "Ich hätte zerbrechen können." Am Ende gab es Tage, an denen sie sich davor fürchtete, dass ihr Telefon klingle. Weil sie dachte, es wolle wieder jemand etwas von ihr. Ein Infekt löste den nächsten ab. Erst da begriff sie, dass sich etwas ändern müsse in ihrem Leben. Und das sie es ändern kann. "Ich habe alle störenden Faktoren ausgeschaltet", sagte sie. Sie trennte sich von ihrem damaligen Freund, ein neuer Pressesprecher blockte unnötige Termine ab. Und es gab keine Bilder mehr mit Harfe.
Trotzdem stapften weiter Fans durch ihren Vorgarten in Wallgau. Viele klingelten. Darunter Männer, die glaubten, Magdalena Neuner wolle sie heiraten. "Ich führte ein Leben wie im Zoo", sagt sie. Damit konnte sie nur schwer umgehen. Wo andere sagen "Mir doch egal", grübelte Neuner stundenlang. Warum? Sie sagt: "Ich bin ein nachdenklicher Mensch. Ich wollte verstehen, warum Menschen das machen." Und: "Manchmal würde ich meinen Kopf gerne abschalten."
In den Monaten nach ihren Siegen bei den Olympischen Spielen von Vancouver 2010 hat Magdalena Neuner versucht, sich Schritt für Schritt zu emanzipieren. Heute sagt sie viele selbstbewusste Sätze. Wie etwa: "Ich bin nicht süß und klein. Ich bin Magdalena, eine Persönlichkeit, und wünsche mir Respekt."
Der Rücktritt: mutig und konsequent
Seit sie als Neunjährige mit dem Biathlon begann, hat sie ihr Leben dem Biathlon untergeordnet. Hat auf eine Ausbildung verzichtet. Sie war Sportlerin. Jeden Tag. Rettete sich einen kleinen Rest Normalität hinüber, wenn sie sich mit ihren Freundinnen aus ihrem Heimatdorf Wallgau zum Kino oder Shopping traf. Sie war aber auch immer eine, die darauf pochte, dass es neben dem Sport noch ein Leben für sie gäbe. Gemeinsam mit ihrem Freund.
Schon vor Vancouver sagte sie: "Bei Olympia kann man Legende werden." Und nach den Winterspielen meinte sie: "Mir ist es nicht mehr wichtig, noch mal Weltmeisterin oder Olympiasiegerin zu werden." Schon früh träumte Magdalena Neuner davon, drei Kinder zu haben. Wollte Hausfrau sein. Sagte aber: "Doch jetzt noch nicht. Erst mache ich es mir als Biathletin schön."
Davon scheint Magdalena Neuner nun genug zu haben. "Ich bin sehr motiviert, neue Dinge auszuprobieren", schreibt sie heute auf ihrer Homepage. Ihr Rücktritt zum Saison-Finale ist das Ende einer langen Entwicklung, die sie durchgemacht hat. Diesen Schritt mit 24 Jahren zu gehen, ist mutig, aber konsequent. Ihre Sehnsucht nach dem echten Leben, das sie bisher nicht hatte, war wohl übermächtig geworden. Ab Frühjahr 2012 kann sie nun ausprobieren, ob sie damit besser zu recht kommt.