Usain Bolt ist ein begnadeter Verkäufer seiner selbst, und natürlich weiß er auch um die Macht von Bildern. Am Montagabend (Ortszeit) posierte er im Cidade das Artes, dem größten Konzertsaal Südamerikas, in dem sonst das Orquestra Sinfônica Brasileira spielt. Bolt tanzte Samba mit einer Gruppe junger Mädchen, die mit Federn und Glitzerkostümen geschmückt waren wie zum Straßenkarneval.
Bolt tanzte leichtfüßig, im Rhythmus nickte er mit dem Kopf, hakte sich bei den Mädchen unter, und seine Botschaft war so einfach wie eindeutig: Ich bin einer von euch.
Usain Bolt hat Großes vor
Brasilien wird Bolt lieben für diese Bilder; die Nation wird ihn ins Herz schließen und ihn zum Sieg brüllen, wenn am Freitag die olympischen Leichtathletik-Wettbewerbe im Estadio Nilton Santos beginnen.
Bolt, 29 Jahre alt, wohnhaft in Kingston, Jamaika, hat Großes vor: Er will seine drei Goldmedaillen über 100 und 200 Meter sowie mit der 4x100-Meter-Staffel seines Heimatlandes verteidigen. Klappt das, würde ihm ein außergewöhnlicher Triumph gelingen: Dann wäre Bolt zum dritten Mal nach Peking 2008 und London 2012 der König der Sprinter.
Sein Rücken wird immer empfindlicher
"Ich liebe es, wenn die Menschen mich lieben", sagt Bolt, "das gibt mir Motivation. Ich bin ein Läufer, aber ich bin auch ein Entertainer. Ich brauche das Publikum."
Bolts Saison verlief bislang wechselhaft. Er war länger verletzt; eine kleine Geschichte im Oberschenkel, und hinzu kamen Rückenprobleme. Bolt leidet unter Skoliose seit der Jugend, und mit zunehmenden Alter wird seine Wirbelsäule empfindlicher.
Dennoch traut sich Bolt in Rio einen neuen Weltrekord zu - über die 200 Meter-Strecke. "Die 100 Meter verlangen nach absoluter Perfektion. Alles muss passen: Startphase, Schrittlänge, Rhythmus. Nur dann kann man einen Rekord brechen", sagte er dem stern (ein großes Exklusiv-Gespräch mit Usain Bolt lesen Sie in der nächsten Ausgabe, die am Donnerstag erscheint.) "Die 200 Meter sind gnädiger. Da kann man unterwegs einiges korrigieren, was man vorher möglicherweise falsch gemacht hat."
"Wenn ich in Form bin, gibt es keine Konkurrenten"
Bolts schärfste Konkurrenten sind der Amerikaner Tyson Gay und der Franzose Jimmy Vicaut. Zu Gay, der die Jahresweltbestzeiten über 100 und 200 Meter hält, vermied Bolt jeden Kommentar. "Ich rede nicht über einzelne Namen", sagte Bolt, "ich nehme alle anderen acht Sprinter ernst, die im Finale stehen." Wenige Minuten später relativierte Bolt seine Aussagen und rief: "Wenn ich in Form bin, gibt es keine Konkurrenten. Denn ich bin ich sehr, sehr schnell."
Auch mental fühlt sich Bolt gerüstet. "Ich bin mit 15 Jahren das wohl wichtigste Rennen meiner Karriere gelaufen. Junioren-Weltmeisterschaften 2009 in Kingston, Jamaika. Ich war nervlich ein Wrack. Die Jamaikaner sind ein sehr spezielles Publikum. Wenn du gewinnst, ist alles super, dann tragen sie dich auf Händen. Verlierst du, gibt es Probleme. Ich habe damals dem Druck standgehalten und Gold über 200 Meter geholt. Seitdem weiß ich: Ich kann alles durchstehen."
Ex-Champion Powell ist enttäuscht
Das größte Risiko für Bolts Ziel, als dreifacher Champion die olympische Bühne zu verlassen, liegt in der Staffel. Landsmann Asafa Powell, einst mehrfacher Weltrekordler über die 100 Meter, ist seit seiner Dopingsperre Ende 2013/Anfang 2014 nicht mehr richtig zurückgekommen. In Rio startet Powell nur in der Staffel; für die Einzelrennen ist er zu schwach. "Ich bin enttäuscht", sagte Powell am Montag, "aber ich stelle mich voll in den Dienst der Mannschaft."
Ob das genügt? Am Samstag, 20. August, 3.35 Uhr in der Nacht hiesiger Zeit, fällt der Startschuss für die 4x100-Meter-Staffel. Keine Minute später steht fest, ob Usain Bolt noch mal Grund hat für einen Siegestanz in Rio. Ob er Samba tanzen wird, Samba, Samba, die ganze Nacht.