Ehemaliger Schach-Weltmeister Wie das Schach-Genie Bobby Fischer zur Persona non grata abstürzte

Bobby Fischer
Bobby Fischer bei der Schach-Weltmeisterschaft 1972 gegen Boris Spasski – dem "Spiel des Jahrhunderts"
© ZUMA Wire / Imago Images
Bobby Fischer gilt als bester Schachspieler aller Zeiten: Sein "Spiel des Jahrhunderts" gegen Boris Spasski 1972 ist legendär. Doch dann verstrickte er sich in Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Verfolgungswahn.

Mehr als anderthalb Monate dauert der Weg von Bobby Fischer auf den Gipfel der Schach-Welt. Der US-Schachspieler spielt mit dem Titelverteidiger Boris Spasski aus der Sowjetunion um die Schach-Weltmeisterschaft. Insgesamt 21 Partien sind nötig, um einen Sieger zu ermitteln, 52 Tage nach der ersten Partie steht Fischer am 31. August 1972 als neuer Weltmeister fest. Es ist ein historischer Moment: Zuvor waren alle Schach-Weltmeister aus der Sowjetunion gekommen.

Mitten im Kalten Krieg durchbricht Fischer diese Phalanx – es ist mehr als ein sportlicher Erfolg. Denn zwischen Fischer und Spasski geht es längst nicht mehr nur um Schach, sie spielen stellvertretend für die USA und die Sowjetunion, für West und Ost, für Kapitalismus und Kommunismus. Der Wettkampf der Systeme wird am Schachbrett ausgetragen. Fischer erringt mit seinem Sieg einen prestigeträchtigen Erfolg für den Westen und wird als Patriot gefeiert. Er steht auf dem Gipfel – doch von da aus sollte es steil abwärts gehen. Im Laufe seines Lebens verheddert er sich in Verschwörungstheorien und verliert seine Heimat.

Das "Spiel des Jahrhunderts" macht Bobby Fischer zum Helden

Für seine exzentrische Art ist der Mann aus Chicago schon vor seinem legendären Spiel gegen Spasski ebenso bekannt wie gefürchtet. Lange ist unklar, ob es überhaupt zu diesem Zweikampf kommen wird, weil Fischer die Anreise zur Weltmeisterschaft in Island verweigert. Er fordert unter anderem ein höheres Preisgeld. Die Verhandlungen ziehen sich hin, Fischer stellt auf stur und verpasst sogar die Eröffnungsfeier. Erst Henry Kissinger, Sicherheitsberater von US-Präsident Nixon, kann ihn zum Einlenken überzeugen. Er appelliert an Fischers Patriotismus – das Schach-Genie soll den Sowjets die Krone im Spiel der Könige entreißen und die Ehre der Vereinigten Staaten retten. Und mehr Preisgeld gibt es auch, ein britischer Millionär hat die Summe erhöht.

Das Duell mit Spasski wird als "Spiel des Jahrhunderts" angekündigt und auf der ganzen Welt verfolgt. Keine Übertreibung, wie der damalige Organisator der Weltmeisterschaft, Gudmundur Thorarinsson, Jahrzehnte später festhält – ganz im Gegenteil: "Es war nicht das Spiel des Jahrhunderts, es war das bedeutendste Schachspiel aller Zeiten." Derart ideologisch aufgeladen wird das Spiel zum Mythos und Bobby Fischer zur Legende. Richard Nixon lädt ihn sogar ins Weiße Haus ein, auch wenn es nie zu diesem Besuch kommt.

Video: Schach unter Wasser
Schach unter Wasser

Ein Genie auf der Flucht

Denn Fischer wird immer phlegmatischer. Nach seinem großen Triumph bestreitet er keine Turnierspiele mehr, zieht sich fast völlig aus der Öffentlichkeit zurück – ein Karriere-Ende mit 29 Jahren. Als er 1975 seinen Weltmeistertitel verteidigen soll, stellt er Forderungen, die der Weltverband diesmal nicht erfüllen kann und will. Fischer wird sein Titel entzogen, Weltmeister ist nun wieder ein Russe: Anatoli Karpow. Der US-Amerikaner jedoch betrachtet sich selbst immer noch als legitimen Titelträger – schließlich habe ihn danach nie jemand am Schachbrett geschlagen.

Nur ein Zeichen dafür, dass Fischer zunehmend in seiner eigenen Welt lebt. 20 Jahre verbringt er weitgehend isoliert, zieht von Stadt zu Stadt, geht in ein selbstgewähltes Exil in Budapest. Auftritte in der Öffentlichkeit gibt es nicht – bis er 1992 zum 20-jährigen Jahrestag des "Spiel des Jahrhunderts" noch einmal gegen seinen einstigen Rivalen Boris Spasski antritt. Fischer gewinnt erneut und kassiert dafür mehr als drei Millionen US-Dollar, gerät aber ins Visier der amerikanischen Ermittlungsbehörden. Denn die Revanche findet während des Bosnien-Krieges in Jugoslawien statt, Fischer verstößt damit gegen US-Sanktionsbestimmungen. In den USA wird ein Haftbefehl gegen ihn erlassen, der einst so gefeierte Schach-Großmeister befindet sich von nun an auf der Flucht.

Verschwörungstheorien und Antisemitismus

Er tingelt durch die Welt, heimatlos und offenbar zunehmend verwirrt. In der Öffentlichkeit fällt Fischer immer mehr mit Verschwörungstheorien und übelsten antisemitischen Sprüchen auf. Er spricht von einer jüdischen Weltverschwörung, stellt krude Theorien zu den Anschlägen vom 11. September in New York auf und wünscht sich eine Militärdiktatur in den USA herbei. Einige Jahre verbringt er in Japan und auf den Philippinen, bevor er in japanischer Abschiebehaft landet.

Freunde aus Island setzen alles in Bewegung, um ihn an den Ort seines größten Triumphes zurückzubringen. Er bekommt sogar die isländische Staatsbürgerschaft – sein amerikanischer Pass ist nicht mehr gültig – und verbringt die letzten Jahren seines Lebens in Reykjavik. Da ist Bobby Fischer, bei seiner Ankunft in Island 62 Jahre alt, bereits ein "gebrochener Mann", wie sein Biograf Helgi Olafson sagt. Er wirkt verwahrlost, ungepflegt und paranoid. Im Januar 2008 stirbt Fischer im Alter von 65 Jahren an einem Nierenleiden. In die USA ist er nach 1992 nie wieder zurückgekehrt.

PRODUKTE & TIPPS