Am 25. Juni 1948, vor 75 Jahren, ist im Prozess "The People of the State of California versus Caryl Chessman" die Jury gefragt. Drei Wochen lang haben die Geschworenen in Los Angeles Zeugen gehört, Beweisstücke in Augenschein genommen, Argumente abgewogen. Nun sollen sie das Urteil über Caryl Chessman sprechen. Die Jury kommt zu dem Schluss: Chessman ist schuldig. Und er soll für seine Taten sterben. Bis Chessman allerdings tatsächlich hingerichtet wird, werden noch zwölf Jahre vergehen – achtmal wird seine Exekution aufgeschoben.
Dem damals 31 Jahre alten Mann, einem ursprünglich aus Michigan stammendem notorischen Kriminellen, werden Raub, Entführung und Notzucht zur Last gelegt. Er soll der "Rotlicht-Bandit" sein, der einige Jahre zuvor Los Angeles in Atem gehalten hatte: Ein Gauner, der mit einem roten Licht auf dem Auto den Anschein erweckte, Polizist zu sein, und unter dieser Tarnung Verbrechen verschiedener Art beging.
War Caryl Chessman der "Rotlicht-Bandit"?
Schon zuvor war Chessman, von Jugend an, nahezu andauernd mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sei es durch Diebstähle, Einbrüche oder Überfälle. Er flüchtete aus dem Gefängnis, wurde wenig später wieder gefasst. Caryl Chessman hat also das, was man wohl eine kriminelle Karriere nennt – schon bevor er zum "Rotlicht-Banditen" mutiert. Als solcher soll er Menschen ausgeraubt und sich an Frauen vergangen haben. Als er gefasst wird, gesteht Chessman auch zuerst. Doch später behauptet er, die Polizei habe sein Geständnis durch Gewaltanwendung erzwungen.
So kommt es zu einer bizarren Gerichtsverhandlung: Der Angeklagte verzichtet auf einen Anwalt und verteidigt sich selbst. Chessman bestreitet, der "Rotlicht-Bandit" zu sein und behauptet, dessen Identität zu kennen – diese könne er aber nicht preisgeben, er stehe der Person sehr nahe. Doch die Frauen, die er vergewaltigt haben soll, identifizieren ihn als den Täter, zudem hatte die Polizei bei ihm eine Waffe gefunden, die dem berüchtigten "Rotlicht-Banditen" zugeschrieben wird. Auf Grundlage dieser Indizien spricht ihn die Jury in 17 Anklagepunkten schuldig und verurteilt ihn zu zweimal Tod durch Vergasen sowie zu 15 Freiheitsstrafen.
"Ken & Barbie-Killer", "Hillside Stranglers", "Moor-Mörder": Killerpaare, die das pure Böse verkörpern

Im Todestrakt kämpft Chessman um sein Leben
Eine ungewöhnlich hohe Strafe für die Taten, die Chessman begangen haben soll. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf ein Gesetz, das der Kongress nach der Entführung von Charles Lindberghs Sohn 1932 verabschiedet hatte. Der Junge starb bei der Entführung, seitdem dürfen auch Kidnapper zum Tode verurteilt werden, wenn sie ihr Opfer körperlich misshandelt hatten. Das Argument der Anklage: Chessman ist zwar kein Entführer im eigentlichen Sinne, hatte aber zwei Opfer dazu gebracht, mit ihm mitzugehen und sie dann missbraucht. Die Jury folgt dieser Logik.
Am 28. März 1952 soll Caryl Chessman hingerichtet werden. Doch mit dem Urteilsspruch beginnt der Kampf um seine Freiheit – und um sein Leben – erst. Als Häftling 66565 B im berüchtigten Staatsgefängnis San Quentin wälzt er ununterbrochen juristische Fachliteratur, verfasst Anträge, schreibt Bücher. Er greift die Verhörmethoden der Polizei an, beanstandet das Gerichtsverfahren, greift das Gesetz, auf dessen Grundlage er zum Tod verurteilt wurde, an. Und seine Bemühungen haben Erfolg: Immer wieder gelingt es ihm, die Verschiebung seines Hinrichtungstermins zu erreichen.

Der letzte Aufschub kommt zu spät
Im Gefängnis schreibt Caryl Chessman seine Biografie, 1954 wird "Todeszelle 2455" veröffentlicht und zum Bestseller. Das Buch wird in 18 Sprachen übersetzt und macht den Todeskandidaten zur Medienfigur. Plötzlich schlagen sich bekannte Persönlichkeiten auf seine Seite. Unter anderem setzen sich Schriftsteller wie Robert Frost oder Aldous Huxley, der Schauspieler Marlon Brando sowie die frühere First Lady Eleanor Roosevelt für seine Begnadigung ein. Auch in zahlreichen anderen westlichen Ländern gibt es Protest.
Tatsächlich zögert sich Chessmans geplante Hinrichtung immer wieder hinaus. Insgesamt acht Mal wird ihm ein Aufschub gewährt – zuletzt am 19. Februar 1960, nur wenige Stunden, bevor das Urteil vollstreckt werden soll. Er hatte sogar schon seine Henkersmahlzeit verspeist. Am 2. Mai 1960 wird Caryl Chessman, nach 4319 Tagen im Todestrakt, schließlich doch exekutiert. In der Gaskammer von San Quentin, wie zwölf Jahre zuvor von der Jury in Los Angeles verfügt. Kurz nachdem die giftigen Gase in die Kammer strömen, meldet sich die Sekretärin des Richters per Telefon: Sie gibt einen erneuten Aufschub durch. Beim ersten Mal hatte sie eine falsche Nummer gewählt. Ein Versehen, das Caryl Chessman schließlich das Leben kostet.
Quellen: "Gadfly Online" / "Spiegel" / "Spiegel" / "Los Angeles Times"