Polnischer Offizier Witold Pilecki: Der einzige Mensch, der freiwillig nach Auschwitz ging

Witold Pilecki
Witold Pilecki vor Gericht 1947
© Forum / Imago Images
Witold Pilecki tat das Unfassbare: Er begab sich freiwillig als Häftling in die Hölle von Auschwitz, um Informationen über die Verbrechen der Nazis zu sammeln. Doch niemand glaubte ihm.

Im Morgengrauen des 19. September 1940 tut Witold Pilecki etwas, das in den Augen der meisten Menschen wohl zuerst dumm erscheint. Der Offizier der polnischen Armee verlässt sein Haus und geht auf die Straßen von Warschau, während die Wehrmacht und die SS eine Razzia durchführen. Er wird von den Besatzern aufgegriffen und ins Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert. Ein Schicksal, das viele fürchten – doch genau das war die Absicht von Pilecki.

Der 1901 geborene Pole ist Mitgründer in der Widerstandsbewegung Tajna Armia Polska, auf Deutsch: "Geheime Polnische Armee". Und er will die Wahrheit wissen über das, was in Auschwitz passiert, in dem riesigen Lager, dass die Nazis mitten in Polen errichtet haben. Vor allem aber möchte er, dass diese Wahrheit öffentlich wird. Und so gilt Witold Pilecki als der einzige bekannte Mensch, der sich freiwillig nach Auschwitz bringen lässt. Er sollte das KZ überleben, sein Ziel aber nicht erreichen. Ermorden werden ihn später nicht die Nazis, sondern die Anführer seines eigenen Volkes.

Alliierte nehmen die Berichte aus Auschwitz nicht ernst

Unter dem Decknamen Tomasz Serafiński schleust sich Pilecki in das Lager ein. Aus ihm wird Häftling 4859, die Nummer wird ihm – wie in den Konzentrationslagern der Nazis üblich – auf den Unterarm tätowiert. Pilecki versucht, in Auschwitz einen Widerstand der Häftlinge zu formieren, Informationen zu sammeln und sie nach draußen zu schicken. Die Gefahr, selbst von den Wärtern erschossen zu werden oder wie so viele andere unter den fürchterlichen Bedingungen im KZ zu sterben, ist ständig präsent. "Das Spiel, das ich in Auschwitz spielte, war gefährlich. Dieser Satz gibt die Wirklichkeit aber eigentlich nicht wieder: Ich war weit darüber hinausgegangen, was Menschen in der wirklichen Welt für gefährlich halten würden", sagt Pilecki später.

Doch tatsächlich gelingt es ihm, Informationen aus der Hölle von Auschwitz herauszuschmuggeln. Ein freigelassener Häftling nimmt Ende 1940 einen Bericht von Pilecki mit, der im März 1941 nach London gelangt. Darin erwähnt er Massenerschießungen, Misshandlungen, die brutalen Arbeitsbedingungen, nennt auch Namen der schlimmsten Aufseher. Pileckis Augenzeugenbericht soll der Welt die Augen öffnen, es ist das erste Mal, dass die Alliierten offiziell von den Vorgängen in Auschwitz Kenntnis erhalten. Doch die Verbündeten nehmen die Aufzeichnungen nicht ernst, halten sie für übertrieben. Pileckis Hoffnung, dass entweder die Alliierten oder der polnische Widerstand Auschwitz angreifen und die Häftlinge das Lager übernehmen würden, erfüllt sich nicht.

Witold Pilecki wird vom kommunistischen Regime in Polen hingerichtet

Als Pilecki klar wird, dass von außen keine Unterstützung zu erwarten ist, entschließt er sich zur Flucht – auch weil die KZ-Führung den Widerstandskämpfern in Auschwitz zunehmend auf die Schliche kommt. In der Nacht auf den 27. April 1943 überwältigt er gemeinsam mit zwei anderen Häftlingen einen Wärter und setzt sich mit gestohlenen Dokumenten ab. Doch auch in Freiheit gelingt es ihm nicht, die Alliierten von einem Eingreifen in Auschwitz zu überzeugen. Und das, obwohl er erste Berichte über die Vergasungen dort liefern kann. Seine Angaben gelten als nicht glaubwürdig genug, außerdem erscheinen den Alliierten Angriffe auf Auschwitz als strategisch nicht sinnvoll.

Pilecki kämpft weiter gegen die Besatzungsmacht, beteiligt sich am Warschauer Aufstand und kommt nach dessen Scheitern in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht sein Kampf weiter – nur dass die Besatzer jetzt nicht mehr Deutsche, sondern Sowjets sind. Pilecki wird vom Geheimdienst verhaftet und in Verhören brutal gefoltert, ihm wird Spionage für den Westen vorgeworfen. Am 25. Mai 1948 wird Witold Pilecki mit einem Genickschuss hingerichtet, seine Leiche in einem Massengrab verscharrt. Erst viel später, nach dem Ende des kommunistischen Regimes in Polen, erfahren seine mutigen Handlungen die Bekanntheit und Anerkennung, die sie verdienen.

PRODUKTE & TIPPS