"Niemand kümmert sich darum, was mit den Uiguren geschieht, okay? Sie sprechen es an, weil es Sie wirklich interessiert, und ich finde es schön, dass es Sie interessiert, den Rest von uns interessiert es nicht. Ich sage Ihnen nur eine sehr harte, hässliche Wahrheit. Von all den Dingen, die mir wichtig sind, ist das unterhalb meiner Schwelle." Diese Sätze stammen von Chamath Palihapitiya, Milliardär und Miteigentümer des NBA-Teams Golden State Warriors. Er hatte sie Mitte Januar anlässlich der damals bevorstehenden Olympischen Winterspiele in Peking in seinem "All-In Podcast" gesagt.
Palihapitiyas Worte verursachten eine Welle der Empörung in den sozialen Medien. Auch die Warriors, an denen er einen zweiprozentigen Anteil hält und dessen Vorstand er angehört, distanzierten sich von dem 45-Jährigen: "Als Investor, der keine täglichen Aufgaben bei den Warriors hat, spricht Herr Palihapitiya nicht im Namen unserer Franchise, und seine Ansichten spiegeln sicherlich nicht die unserer Organisation wider", teilte der Verein mit.
Und auch der Milliardär selbst ruderte zurück: "Wenn ich mir den Podcast von dieser Woche noch einmal anhöre, erkenne ich, dass ich als jemand rüberkomme, dem es an Empathie mangelt", räumte er auf Twitter ein. "Als Flüchtling ist meine Familie aus einem Land geflohen, in dem es eine ganze Reihe von Menschenrechtsproblemen gab, so dass dies ein wichtiger Teil meiner Lebenserfahrung ist. Um es klar zu sagen: Ich glaube, dass Menschenrechte wichtig sind, ob in China, den Vereinigten Staaten oder anderswo. Punkt."
Enes Kanter Freedom nennt Xi Jinping "brutalen Diktator"
Zu den Kritikern von Palihapitiyas Aussagen gehörte auch Enes Kanter Freedom. Der NBA-Profi setzt sich schon lange für Menschenrechte ein. Freedom kam als Enes Kanter in der Schweiz zur Welt, wuchs aber in der Türkei, der Heimat seiner Eltern auf. 2011 startete er als Dritter Draft-Pick seine Karriere in der US-Basketballliga. Seine Prominenz nutze der Anhänger der Bewegung von Fethullah Gülen, Erzfeind des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, immer wieder, um auf die repressive Politik der Regierung in Ankara aufmerksam zu machen. Und solange die Türkei sein Ziel war, ließ die NBA ihn gewähren.
Doch im Oktober 2021 nahm Freedom ein weiteres Regime ins Visier: China. Kurz vor dem Saisonauftakt seines Vereins Boston Celtics gegen die New York Knicks im Madison Square Garden veröffentlichte der 29-Jährige ein Video in den sozialen Medien, das ihn vor einer leeren weißen Wand zeigt, gekleidet in ein schwarzes T-Shirt mit einem Bild des betenden Dalai Lama darauf. "Brutaler Diktator von China, Xi Jinping, ich habe eine Botschaft für dich und deine Schergen", sagt der 2,08-Meter-Riese in dem Clip und zeigt mit dem Finger in die Kamera. "Free Tibet. Free Tibet. Free Tibet."
Für das Spiel gegen die Knicks hatte Freedom sich seine Schuhe von einem chinesischen Dissidenten mit den Farben der tibetischen Flagge und der Aufschrift "Free Tibet" bemalen lassen. Nach dem Aufwärmen hätten ihn zwei NBA-Führungskräfte gewarnt, er solle die Schuhe ausziehen, sonst könne er gesperrt werden, erzählte der Center der "Washington Post". Doch er hatte zuvor die Regeln geprüft, die es Spielern nicht untersagen, Botschaften zu Menschenrechten auf ihren Schuhen anzubringen. Inmitten der Corona-Pandemie und der Proteste für soziale Gerechtigkeit im Jahr 2020 hatte die Liga die Vereine sogar dazu ermutigt, Stellung zu beziehen und ganze Teams und ihre Betreuer gingen während der Nationalhymne aus Protest gegen Polizeigewalt auf die Knie, in Schuhen und Shirts, auf denen es nur so von Parolen wimmelte: "Black Lives Matter", "Say Their Names", "Wash Your Hands".
"Sie können mir nicht mein Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen. Sagen Sie das Ihrem Chef. Es ist mir egal, was passiert", entgegnete Freedom deshalb den Offiziellen. In der Halbzeitpause sei sein Handy mit Kurznachrichten geflutet gewesen, darunter eine, in der ihm sein Manager mitgeteilt habe, dass die Regierung in Peking die Übertragung aller Celtics-Spiele in dem Land untersagt habe. "Es hat 24 Minuten gedauert, bis sie alles verboten haben", berichtete Freedom. "Das zeigt deutlich, wie diktatorisch es dort zugeht."
Später habe ihn ein Vertreter der Spielergewerkschaft immer wieder angerufen und gebeten, keine chinakritischen Schuhe zu tragen, berichtete Freedom der US-Zeitschrift "The Atlantic". Auch mit NBA-Boss Adam Silver habe er geredet. In dem halbstündigen Gespräch habe Silver ihm mitgeteilt, dass er mit seinen Schuhen ausdrücken könne, was immer er wolle. Am Ende habe der Ligachef angemerkt: "Jeder weiß, dass es ums Geschäft geht." Er habe die Bemerkung so verstanden, sagte Freedom "The Atlantic": Es steht Ihnen frei, über China zu sprechen, aber für Sie, Ihr Team und die NBA könnte das Konsequenzen haben.
NBA verdient in China fünf Milliarden Dollar im Jahr
Ein Jahrzehnt lang habe er sich gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ausgesprochen, und niemand in der NBA habe sich beschwert, aber "als ich eines Tages über China sprach, klingelte mein Telefon jede Stunde", sagte der Sportler der "Washington Post". Der Grund dafür aus seiner Sicht: "Letztes Jahr verfolgten in China mehr Menschen die NBA als die gesamte amerikanische Bevölkerung – über 400 Millionen. Jedes Jahr belaufen sich die Einnahmen [der NBA aus China] auf fünf Milliarden Dollar."
Im vergangenen November, bei seiner Einbürgerung als US-Amerikaner, änderte Enes Kanter dann seinen Namen in Enes Kanter Freedom – Kanter soll sein neuer Mittelname, Freedom der Nachname sein. Auch das war als politisches Statement gemeint.
Die Botschaften auf dem Basketballfeld setzte der Neuamerikaner ebenfalls fort: Freedom trug Schuhe mit Slogans gegen die Diktatur in Venezuela, Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un, Syriens Gewaltherrscher Bashar al-Assad und den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Auf Sneakern, die aussahen, als liefe Blut an ihnen herab, forderte er eine Verlegung der olympischen Winterspiele in Peking wegen der Menschenrechtsverletzungen in China und der Unterdrückung der Uiguren. Mittlerweile werden in China Berichte über den Sportler ebenso zensiert wie seine Social-Media-Auftritte.

Je mehr Freedom sich engagierte, desto mehr bekam er spüren, was Adam Silver mit den Konsequenzen gemeint haben könnte: Die Spielzeit des Basketballers sank auf den niedrigsten Stand seiner Karriere. In manchen Spielen ließen ihn die Celtics nicht einmal in der "Garbage Time", den letzten Minuten eines bereits entschiedenen Spiels, aufs Feld. Er habe gefühlt, dass das Ende nahte, sagte der Sportler vergangene Woche der "Washington Post". Sein Vertrag wäre nach dieser Saison ausgelaufen. Doch kürzlich hätten ihm ehemalige Teamkollegen und Trainer gesagt: "Wir lieben dich, also müssen wir dir die Wahrheit sagen. Dies ist deine Abschiedstournee. Genieße sie. Lächle. Hab Spaß dabei. Ich hoffe, du gewinnst eine Meisterschaft, denn ich glaube nicht, dass du nach diesem Jahr noch einen Vertrag bekommst, denn die Dinge, über die du sprichst, kosten [die NBA] Millionen von Dollar."
Celtics schieben Freedom nach Houston ab
Es kam noch schlimmer: Freedom durfte nicht einmal mehr seinen Vertrag erfüllen. Einen Tag nach dem Zeitungsinterview und kurz vor Ablauf der Transferperiode schoben die Boston Celtics ihren Center an das Ligaschlusslicht Houston Rockets ab, das in China eine große Fangemeinde hat und ihn prompt aus seinem Kader strich. "Jetzt spielst du keinen Basketball mehr", kommentierte ein Korrespondent der staatlichen chinesischen Zeitung "China Daily" die Entlassung des China-Kritikers hämisch auf Twitter.
Reichlich Unterstützung erhielt Freedom nach seinem NBA-Aus dagegen von den US-Republikanern. Zahlreiche Senatoren und Senatorinnen der Partei von Ex-Präsident Donald Trump empfingen den Athleten am Mittwoch zum Mittagessen im Kongress und posteten anschließend gemeinsame Fotos auf Twitter, begleitet von scharfen Attacken gegen die chinesische Regierung – und gegen die US-Basketballliga. Die NBA ist für viele Republikaner ein rotes Tuch, seit sie es Spielern und Verantwortlichen gestattete, sich bei den Partien gegen Polizeigewalt und soziale Ungerechtigkeit einzusetzen. "Erbärmlich", "respektlos" und "nicht akzeptabel" nannte Trump die Protestaktionen 2020. "Wenn ich Leute sehe, die knien und damit unsere Flagge und die Hymne nicht respektieren, dann schalte ich persönlich meinen Fernseher einfach aus."
Dass die Boston Celtics Freedom tatsächlich wegen seiner Kritik an China abgeschoben und die Rockets sich aus demselben Grund von ihm getrennt haben, ist ein naheliegender Gedanke. Beweise gibt es dafür aber nicht. Klar ist jedoch: Der Center war zwar nie ein Topspieler in der Liga, doch mit seinen Fähigkeiten und in seinem Alter wäre er auf seiner Position ein attraktiver Backup, der noch mehrere Saisons auf NBA-Niveau Körbe werfen könnte. "Ich bin 29. Ich bin gesund. Ich kann noch sechs Jahre spielen" sagte Freedom der "Washington Post".

Doch Freedom glaubt wohl selbst nicht mehr so richtig daran, dass er jemals wieder für ein Team der US-Profiliga auflaufen wird. Sein Blick richtet sich bereits nach Europa: "Jetzt, wo ich meinen amerikanischen Pass habe, möchte ich Griechenland besuchen und mich mit dem Premierminister treffen, um über die Rückführung türkischer Flüchtlinge zu sprechen", sagte der Basketballer laut "Eurohoops" dem griechischen TV-Sender "Open TV". "Je nachdem, wie unser Gespräch verläuft, werde ich mit ihm über die Möglichkeit sprechen, in Griechenland professionell zu spielen".
Und selbst wenn seine Karriere als Profisportler wegen seines Engagements für die Menschenrechte vorzeitig enden sollte, wäre Enes Freedom mit sich im Reinen, wie er der "Washington Post" sagte: "Wenn das der Grund dafür ist, dass ich nicht mehr in der Lage bin, Basketball zu spielen, dann wissen Sie was? Na ja. Dann kann ich wenigstens zurückblicken und sagen, dass ich das Richtige getan habe."