Kelly Slater ist kein großer Mann. Der siebenmalige Surf-Weltmeister aus den USA misst höchstens 1,75 Meter. Seine Oberarme sind mächtig, sein Schädel kahl rasiert, die Augenbrauen buschig. Der smarte Sunnyboy aus Florida, der mit unglaublichen 19 Jahren seinen ersten WM-Titel als Wellenreiter gewann, ist der uneingeschränkte Herrscher der weltumspannenden Wettkampfserie der Association of Surfing Professionals (ASP). Da steht Slater also am Strand von Hossegor, im Südwesten Frankreichs und wäscht sich unter der der Brause das Salzwasser von der Haut.
Im Herbst macht die Weltelite der Surfer traditionell auch an zwei europäischen Spots Station. Der prestigeträchtige Showdown vor Hossegor, bekannter unter dem Namen "Quiksilver Pro France", ist einer von elf in der World Championship-Tour (WCT). Der mittlerweile 34-jährige Branchenprimus, der den Wettkampf vor der französischen Atlantikküste verrückterweise noch nie gewinnen konnte, hat gerade einen so genannten Heat für sich entscheiden können. Gegen den erst 18 Jahre alten Lokalmatador Jeremy Flores, dem nicht wenige nachsagen, dass er eines Tages in die riesigen Fußstapfen Slaters treten könnte.
Keine Konkurrenz aus Europa
Wer in einer vorgegebenen Zeit spektakulärere Manöver vorweisen kann, erhält mehr Punkte und zieht in die nächste K.-o.-Runde ein. So läuft ein "Heat" zwischen zwei Surfern, die gleichzeitig in die Wellen geschickt werden, ab. Dabei kommt es nicht nur darauf an, möglichst viele scharfe Kurven in eine brechende Wasserwand zu schlitzen, auch die Größe der Welle ist entscheidend. Wer es schafft, in die Röhre (Tube), die eine große brechende Welle bilden kann, hinein- und wieder hinauszufahren, hat den Sieg fast sicher.
Der von Fans und Medien zum "Duell der Generationen" hochstilisierte "Heat" zwischen Slater und Flores, den der Routinier letztlich souverän gewinnt, kommt für die vielen Fans am Strand von Hossegor eigentlich viel zu früh. Die hätten ein Aufeinandertreffen ihres Local Heros mit dem Star der Szene am liebsten erst im Finale gesehen.
Möglich wäre das aber wohl erst in ein paar Jahren, weil sich der hochtalentierte Flores wie jeder Youngster zunächst durch die Setzlisten hochdienen muss. Noch sind gestandene Surfer wie die beiden Australier Taj Burrow und Mick Fanning oder Andy Irons aus Hawaii Slaters härteste Konkurrenten im Kampf um den WM-Titel. Aus Europa muss "King Kelly" derzeit niemanden fürchten, schon gar nicht Jeremy Flores.
Kein Händedruck, keine Interviews
"Time will tell", antwortet Stephen Bell salomonisch auf die Frage, ob Flores das Zeug dazu habe, den großen Meister eines Tages beerben zu können. Bell, der den Franzosen als Teammanager des Sponsors Quiksilver betreut, glaubt an das schmächtige Wellen-Wunderkind, das sich schon jetzt als jüngster Surfer überhaupt einen Platz in der WCT-Tour 2007 gesichert hat. "Jeremy ist ein kompletter Surfer, der mit einer unglaublichen mentalen Stärke ausgestattet ist. Der Junge macht phänomenale Dinge", schwärmt der Australier. Aber ein neuer Kelly Slater? Nein, das geht "Belly" dann doch zu weit. Es gibt schließlich auch keinen zweiten Tiger Woods, Michael Schumacher oder Michael Jordan.
Slater hält ebenfalls große Stücke auf den 18-jährigen Flores. Meint, dass dieser risikoreicher fahre und schon jetzt besser sei als er im selben Alter. Nach dem gewonnenen Duell mit dem aufmüpfigen Franzosen, der von sich selbst behauptet, nur ganz schlecht verlieren zu können, gehen dem Herrscher der Branche derartige Lobeshymnen leicht über die Lippen. Flores selbst ward nach der deftigen Niederlage am Strand von Hossegor nicht mehr gesehen. Kein Händedruck mit Slater, keine Interviews. Das muss der junge Mann, der als Dreijähriger in den Gewässern vor La Rèunion das erste Mal auf dem Brett stand, alles noch lernen. Der Weg an die Weltspitze, er ist gerade für die europäischen Surfer oftmals steinig und von Niederlagen gepflastert, mit denen jeder auf seine Weise umgeht.
"Le King" vor seinem achten WM-Titel
Kelly Slater steht seit Jahren an der Spitze, und man mag sich kaum vorstellen, was passiert, wenn der beste Wellenreiter der Welt seine Ankündigung wahr macht und sich im nächsten Jahr vielleicht vom Surfsport zurückziehen wird. "Kelly ist das Aushängeschild der Association of Surfing Professionals", sagt Renato Hickel, Tour-Manager der Surfer-Vereinigung. "Er bringt einfach alles mit, was der Sport von einem professionellen Champion erwartet: Er surft wie ein Halbgott, ist perfekt im Umgang mit den Medien und sieht noch dazu gut aus."
Das finden vor allem seine weiblichen Fans, die Slater auch am Strand von Hossegor auf Schritt und Tritt und mit viel Gekreische verfolgen. Später bei der Siegerehrung erlebt die "Kelly-Mania" dann ihren vorläufigen Höhepunkt. Wie ein Popstar entledigt sich der Quiksilver-Surfer seiner Arbeitskleidung und wirft die in die ausgestreckten Arme seiner Groupies. Slater, der am Ende Dritter hinter den beiden "Aussies" Parkinson und Fanning wird, macht das alles sichtlich Spaß, nichts wirkt bei ihm aufgesetzt. Seine leuchtenden Augen strahlen in die Fernsehkameras, die ihn - nicht etwa den Sieger - immer zuerst im Visier haben. Der WM-Titel ist Kelly Slater nach dem dritten Platz kaum noch zu nehmen. Es wäre sein Achter. Unsterblich wird "Le King", wie er hier am stürmischen Atlantik von den Franzosen liebevoll gerufen wird, dadurch aber nicht. Das ist Kelly Slater für die Surfwelt längst schon.