Preissteigerung Bekämpfen andere Länder die Inflation besser als Deutschland? Ein genauerer Blick

Inflation: Ein Warenkorb voller Eigenmarken-Artikel
Vor allem steigende Preise für Lebensmittel treiben die Inflation
© Fabian Sommer / DPA
Auf den ersten Blick sind die USA, Spanien und andere Länder erfolgreicher in ihrer Inflationsbekämpfung. Dabei lohnt sich allerdings ein genauerer Blick – insbesondere auf die Basiseffekte.

Nichts beschäftigt Ökonomen derzeit so sehr wie die hohen Inflationsraten. Bei der Bekämpfung sind die meisten Länder und Notenbanken inzwischen zwar ein gutes Stück vorangekommen – doch die Erfolge sind nicht überall gleich, teilweise sogar sehr unterschiedlich. Das zeigte sich erneut in dieser Woche, als Länder wie Deutschland, die USA, Frankreich oder Spanien ihre jüngsten Inflationszahlen veröffentlichten.

Demnach scheint sich die Inflation vor allem in Deutschland zu verfestigen, während sie in den anderen Ländern tendenziell stärker sinkt. Die Verbraucherpreise stiegen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zwischen Mai und Juni sogar von 6,1 auf 6,4 Prozent im Vorjahresvergleich – und damit nahm die Teuerung erstmals seit drei Monaten wieder Fahrt auf. Währenddessen hat sich Inflation in den USA erneut und spürbar abgeschwächt. Die Verbraucherpreise nahmen gegenüber dem Vorjahresmonat um 3,0 Prozent zu, wie das US-Arbeitsministerium am Mittwoch in Washington mitteilte. Im Vormonat hatte die Rate noch 4,0 Prozent betragen. Auch in Frankreich und Spanien war die Entwicklung ähnlich.

Die Entwicklung der Inflationsraten ist insbesondere für die Notenbanken wichtig, die ihre Leitzinspolitik daran orientieren. Sollte sich die Inflation in Deutschland tatsächlich verfestigen, könnte dies Druck auf die Europäische Zentralbank ausüben, die Zinsschraube weiter anzudrehen. In den USA wäre es bei der Fed entsprechend umgekehrt. Sinkende Zinsen begrüßen die Märkte, weil sie Unternehmen günstigere Finanzierungsbedingungen schaffen. Auch deshalb sind die Kurse an der Wall Street nach den neuesten Daten in dieser Woche gestiegen.

Inflation: Es hängt von der Interpretation der Daten ab

Ganz so holzschnittartig sollte der Blick auf die Inflation und ihre Bekämpfung allerdings nicht sein. Denn auch wenn die Preissteigerung in Deutschland zuletzt wieder angezogen hat, hängt vieles von der Interpretation der Daten ab. Sowohl in Deutschland, den USA, aber auch in Frankreich und Spanien sorgten insbesondere Basiseffekte für die Entwicklung. Und bei genauerem Hinsehen sind die Unterschiede gar nicht so groß, beziehungsweise: die Schlussfolgerungen lauten ähnlich.

In Deutschland beispielsweise gab es vor einem Jahr befristete Maßnahmen wie den Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket. Das sorgte damals für eine Reduktion der Inflationsrate von etwa zwei Prozentpunkten. Dieser Effekt entfällt nun. Volkswirte sehen in dem aktuellen Anstieg daher in erster Linie ein vorübergehendes Phänomen.

Bahntickets im Nahverkehr kosteten trotz der Einführung des Deutschlandtickets den Angaben zufolge im Juni 65,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das Deutschlandticket ist mit 49 Euro deutlich teurer als das 9-Euro-Ticket. Auch die befristete Senkung der Mineralölsteuer senkte nach Daten der Statistiker die Spritpreise in den Monaten Mai bis Ende August 2022 leicht. Ob der Rückgang allein auf den Tankrabatt zurückzuführen sei, lasse sich allerdings nicht genau beziffern.

Preistreiber waren im Juni erneut Nahrungsmittel, die sich gegenüber dem Vorjahresmonat um 13,7 Prozent verteuerten. Immerhin stiegen die Preise weniger stark als im Mai (14,9 Prozent). Deutlich mehr mussten Verbraucher im Juni für Molkereiprodukte (22,3 Prozent) sowie für Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren (19,4 Prozent) bezahlen. Merklich teurer binnen Jahresfrist wurden auch Gemüse (18,8 Prozent) sowie Brot und Getreideerzeugnisse (18,3 Prozent).

Die Energiepreise, die ein Jahr zuvor aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steil angestiegen waren, legten mit insgesamt 3,0 Prozent unterdurchschnittlich zu. Leichtes Heizöl verbilligte sich innerhalb eines Jahres um 36,5 Prozent. Teurer waren hingegen Erdgas (20,8 Prozent), Strom (10,5 Prozent) und Fernwärme (9,3 Prozent). Die Bundesregierung bemüht sich um Entlastung: Die rückwirkend zum 1. Januar geltenden Preisbremsen für Erdgas, Strom und Fernwärme sollen den Anstieg dämpfen.

Kernrate auch in den USA hoch

Dass die Inflationsgefahren auch in den USA noch nicht gebannt sind, zeigt die Entwicklung der Kernrate, bei der die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel außen vor bleiben. Diese Rate sank zwar auf 4,8 Prozent von 5,3 Prozent, bleibt aber hoch.

Ökonomen hatten mit diesem Rückgang gerechnet. Die Kernrate gilt als guter Indikator für die grundlegenden Inflationstrends und wird deshalb von der US-Notenbank Fed genau analysiert. Diese strebt eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent an und sieht angesichts der aktuellen Kernrate keinen Änderungsbedarf an ihrer Strategie. hat zwar im Juni die Zinsspanne bei 5,00 bis 5,25 Prozent beibehalten. Diese Pause sollte jedoch nicht als Signal interpretiert werden, dass der Zinsgipfel bereits erreicht sei, sagte der Chef der New Yorker Filiale der Fed, John Williams. Es könne noch weiter nach oben gehen.

"Bei der Inflation ist noch immer viel zu viel Druck im Kessel. Durch einen Basiseffekt bei den Energiepreisen konnte zwar Dampf entweichen. Ein gegenteiliger Effekt wird den Inflationsdruck im Juli aber wieder erhöhen. Im Trend geht es mit der Inflationsrate jedoch weiter nach unten, nur bei der Kernrate bleibt es recht zäh. Die Notenbank Fed wird die Leitzinsschraube deshalb Ende des Monats nochmals eine Umdrehung fester drehen", erklärte Analyst Bastian Hepperle vom Bankhaus Hauck Aufhäuser Lampe.

Inflation in Spanien sogar unter 2 Prozent

Währenddessen scheint Spanien sogar schon am Ziel. Im Vorjahresvergleich stiegen die Preise dort im Juni lediglich um 1,9 Prozent. Damit wurde sogar das EZB-Ziel von 2,0 Prozent unterboten. Auch die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel sank von 6,1 auf 5,9 Prozent.

Die Gründe liegen auch hier vor allem bei den Basiseffekten. Zwar greift in Spanien sei Juni 2022 ein Gaspreisdeckel von 50 Euro pro Stunde, sollte das Gas verstromt werden. Doch weil in die Statistik die Spotmarktpreise einfließen, war der Effekt des Deckels auf die Inflationsrate gering. 

Der starke Rückgang war in diesem Monat insofern sogar erwartet worden, da der Preisanstieg in Spanien im Juni 2022 mit 10,2 Prozent besonders hoch war. Höher war die Inflationsrate nur im Juli 2022 mit 10,8 Prozent, was auch dafür spricht, dass die Rate im kommenden Monat erneut besonders niedrig ausfallen dürfte.

Haupttreiber: Sinkende Energiepreise

Dass der Preisdruck grundsätzlich abnimmt, liegt vor allem an sinkenden Energiepreisen. Diese erreichten im vergangenen Sommer ihren Höchststand, nachdem Russland seine Energielieferungen an zahlreiche europäische Staaten eingestellt hatte. Nach dem ersten Schock und zahlreichen politischen Gegenmaßnahmen beruhigten sich die Märkte aber im Laufe des Jahres wieder. Inzwischen liegen die Gaspreise wieder auf dem Niveau von Oktober 2021.

Spanien unterscheidet sich hier von vielen anderen europäischen Ländern. Denn statt sich energiepolitisch zu entkoppeln, erhöhte Spanien die Gasimporte aus Russland im vergangenen Jahr um 63 Prozent. Von Februar 2022 bis Januar 2023 lieferte Russland 58,1 Terawattstunden Erdgas an das Land, wie aus einem Bericht des spanischen Fernleitungsnetzbetreibers Enagas hervorgeht. Im Vorjahreszeitraum waren es 35,7 Terawattstunden. Allein zwischen Januar und April 2023 wurde 118 Prozent mehr Gas aus Russland nach Spanien importiert als im Vorjahr. 

Genau wie die USA ist das Land bei der Energieversorgung breit aufgestellt. Zum einen kann es an den meisten Sommertagen seinen Energiebedarf aus Erneuerbaren decken. Zum anderen verfügt Spanien sogar über eine Pipeline nach Algerien und die größten Gasspeicher in Europa. Dass das Land trotzdem Gas aus Russland importiert, hat einen einfachen Grund. "Es existieren Alternativen, um das russische Gas zu ersetzen, aber sie sind sehr viel teurer", sagte Eduardo Irastorza von der EAE Business School dem spanischen TV-Sender Antena 3. 

So ist es auch kein Wunder, dass Politiker inzwischen den Druck auf Konzerne erhöhen, die gesunkenen Energiepreise an die Kunden weiterzugeben. Da die Lebensmittelpreise die Energiepreise als Haupttreiber der Inflation in ganz Europa überholt haben, stehen diese Hersteller unter besonderem Druck.. Konzerne wie Nestlé, Unilever und Pepsico meldeten gute Quartalsergebnisse, auch weil sie die höheren Kosten an die Verbraucher weitergeben konnten.

In Frankreich hat Wirtschaftsminister Bruno Le Maire deshalb Lebensmittelherstellern mit Zwangsabgaben gedroht, sollten sie ihre Preise nicht senken. "Ihr könnt einen Teil der Marge für euch behalten, (...) aber es gibt einen Teil der Marge, den ihr den Verbrauchern geben müsst." Der Minister drohte: "Wenn ihr es nicht tut, treiben wir auf steuerlichem Wege ein", sagte er in Richtung der Unternehmer.  Bei einigen Produkten, bei denen die Großhandelspreise gesunken seien, müssten auch die Preise im Einzelhandel fallen – und zwar um zwei, drei, fünf oder sogar zehn Prozent, sagte Le Maire.

Auch in Italien ist zuletzt eine ähnliche Diskussion entfacht. Dort riefen Verbraucherschützer zum "Pasta-Boykott" auf, weil die Hersteller ihre Preise trotz sinkender Energiekosten sogar noch erhöhten. Obwohl die allgemeine Inflation auch hier in den letzten Monaten nachgelassen hat, ist der Preis für ein Kilogramm Pasta im Mai um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Im April waren es 15,7 Prozent und im März 17,5 Prozent, wie aus den offiziellen Statistiken hervorgeht. Inzwischen ermittelt dort die nationale Wettbewerbsbehörde, ob illegale Preisabsprachen vorliegen. Ausgang: ungewiss.

PRODUKTE & TIPPS