Die Förderungen sind sicherlich gut gemeint. Das Land Nordrhein-Westfalen fördert seit Ende 2018 rund 34 Projekte gegen Kinderarmut im Land. So gibt es Schwangerenberatung, Hilfe beim Übergang vom Kindergarten in die Schule und Angebote, die sich mit der Kindergesundheit auseinandersetzen. Damit sollen Kindern aus sozial schwachen Haushalten Sport- und Bewegungsangebote gemacht werden. Ein löblicher Ansatz - doch was diese Projekte nicht können: Kinder aus der Armut herausholen. Denn gerade in in NRW steigt die Armutsquote. Das trifft die Jüngsten der Bevölkerung besonders hart.
Die Bertelsmann Stiftung hat sich die Verteilung von Armut in Deutschland zehn Jahre nach der letzten Studie zum Thema erneut angesehen. In 37 Kommunen ist die Quote der Sozialleistungsempfänger gestiegen, in 27 (34 Prozent) ist sie gesunken und in 16 (20 Prozent) ist sie in etwa gleichgeblieben, so so das Resultat. Besonders hart trifft es das Ruhrgebiet: Von den 37 Kommunen mit gestiegener Armutsqoute sind 13 Ruhrgebietskommunen. Im Westen Deutschlands konzentriert sich der soziale Abstieg.
Ruhrgebiet - wo Deutschlands Kinderarmut lebt
Im jahr 2017 lebte fast jedes dritte Kind unter 15 Jahren in Duisburg in einem Haushalt, der auf staatliche Transferleistungen angewiesen ist. Ähnlich hoch ist der Anteil in Mönchengladbach, Wuppertal, Dortmund, Boch, Herne, Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Oberhausen. Auch hier bewegt sich die Armutsquote der Kinder bei 28 bis 43,4 Prozent, so die Bertelsmann Stiftung. Damit ist nicht gesagt, dass es in anderen Kreisen rosiger aussieht. So liegt der Prozentsatz der Kinder, die in Armut aufwachen, in Bottrop, Unna oder Remscheid auch immer noch bei 21,3 bis 28 Prozent. Insgesamt sind knapp 500.000 Kinder von Armut betroffen, im Jahr 2012 waren es 70.000 weniger. Damit erreicht NRW einen neuen, traurigen Höchststand. Fast jedes fünfte Kind lebt in Armut. Der deutsche Durchschnitt liegt bei 16 Prozent.
Dabei hatte die deutsche Wirtschaft einige starke Jahre hingelegt. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Auftragsbücher der Unternehmen sind gefüllt. Doch die Armutsquote sinkt nicht. Unabhängig von der Konjunktur scheint es in Deutschland eine Sockelarmut zu geben - und die betrifft jeden zehnten Bürger.
Der Osten holt auf
Armut verortet man schnell im Osten Deutschlands. Vor allem die niedrigeren Löhne, aber auch die schwache Wirtschaft waren lange dafür verantwortlich. Nach wie vor ist der Anteil Armer an der gesamten Ostbevölkerung höher als im Westen - doch im Osten sinkt dieser Anteil seit Jahren. Davon profitieren auch Kinder. 2011 lebte noch fast jedes vierte Kind im Osten in Familien, die Grundsicherungsleistungen erhalten haben. Vier Jahre später sind es noch 21,6 Prozent, so die Bertelsmann Stiftung. Immer noch ein hoher Anteil, ja. Aber ein Trend ist erkennbar, der vor allem auf der guten Entwicklung der Ost-Städte fußt.
Im Westen Deutschlands hingegen stieg der Anteil von 12,4 Prozent (2011) auf 13,2 Prozent (2015). Dieser Anstieg wird von drei Bundesländern befeuert: Bremen, dem Saarland - und eben NRW. Hier wuchs der Anteil der Armutskinder stärker als im westdeutschen Durchschnitt. 2015 lebte in Gesamtdeutschland knapp 2 Millionen Kinder in armen Haushalten, knapp 500.000 davon in NRW. "Kinder [sind] umso häufiger von Armut betroffen, je jünger sie sind. Nach aktuellen Zahlen des Kinderschutzbundes liegt die Zahl der Kinder, die von Armut betroffen sind, noch deutlich höher, da viele Familien staatliche Leistungen – aus unterschiedlichen Gründen – nicht in Anspruch nehmen. Danach sind etwa 1,4 Millionen Kinder mehr von Armut betroffen, als die Statistiken ausweisen, in Summe eine Zahl von 4,4 Millionen Kindern (bis 18 Jahre), heißt es in dem aktuellen Bericht der Bertelsmann Stiftung. "Vorliegende Studien weisen übereinstimmend darauf hin, dass das Aufwachsen in Armut ein nachweisbares Risiko für die Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern ist und damit auch im späteren Leben nicht folgenlos bleibt, sowohl individuell, als auch gesamtgesellschaftlich."
Strukturwandel und die falschen Jobs
Die Bertelsmann Stiftung sieht den noch nicht vollständig vollzogenen Strukturwandel im Ruhrgebiet als Problem. Wo es früher gute und sichere Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie gab, sind bis heute keine neuen Arbeitsplatz-Treiber dazugekommen. Es klafft eine Lücke. "Obwohl es der deutschen Wirtschaft gut geht, konzentriert sich der Reichtum nach wie vor nur auf einige wenige. Auf der anderen Seite lebt in unserem Bundesland mittlerweile mehr als jeder Sechste am Existenzminimum", so der Vorsitzende des Sozialverbandes VdK NRW, Horst Vöge, zur "Westfälischen Rundschau". "Wenn wir die soziale Spaltung nicht entschlossen bekämpfen, gefährden wir langfristig nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch unsere Demokratie."
Ursache für Kinderarmut im Ruhegebiet sei vor allem die Arbeitslosigkeit der Eltern, so Jutta Reiter, Regionsgeschäftsführerin DGB-Region Dortmund-Hellweg, zum Dortmunder "Nordstadtblogger". "Deshalb ist es zentral, arbeitslosen Eltern einen Arbeitsplatz zu fairen Bedingungen zu bieten. Wir erhoffen uns von dem geplanten sozialen Arbeitsmarkt eine Erleichterung für die betroffenen Familien", so Reiter. "Wer Armut bekämpfen will, muss Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Arbeit stoppen. Die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und die Ausweitung der Tarifbindung sind deshalb die wirksamsten Mittel gegen Kinderarmut."
Dazu sieht Reiter ein weiteres Problem: Es würden zwar Jobs geschaffen, aber die Menschen hätten nicht die Qualifikation. "In Dortmund sind seit den 80er-Jahren 13.000 Stellen entstanden im akademischen Bereich. Aber qualifizieren sie doch mal jemanden, der in SGB II ist", sagte sie zum "Deutschlandfunk". Es gebe keinen Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet für gering qualifizierte Menschen. So würden sich Strukturen verfestigen - und Menschen sehr lange in der Arbeitslosigkeit festhängen. Bis eine Rückkehr ins Arbeitsleben fast ausgeschlossen ist.