Die Bundesregierung hat eine langfristige Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung nicht ausgeschlossen. Regierungssprecher Hans Langguth nannte dies aber am Mittwoch eine rein "hypothetische Frage". Das Sozialministerium betonte, es gebe derzeit keine seriöse Basis für entsprechende Spekulationen. Nach Einschätzung des Wirtschaftsweisen Bert Rürup muss der Beitragsatz von derzeit 1,7 Prozent spätestens 2007 steigen, wenn vorher keine grundlegende Reform kommt.
Probleme kommen erst ab 2040
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen hatte zuvor erklärt, ohne Reformen könnte sich der Beitrag in den nächsten 50 Jahren von 1,7 auf bis zu 6,1 Prozent erhöhen. "Nicht 2010 ist das Problem, sondern 2040 und später", sagte er der "Rheinischen Post". Die Grünen-Pflegeexpertin Petra Selg mahnte in der "Süddeutschen Zeitung" eine umfassende Reform an: "Wir brauchen keine Mini-Reform und keine breite gesellschaftliche Debatte über die Pflegeversicherung." Nötig sei ein längerfristiges Konzept, wobei auch die Finanzierung umgestellt werden müsse - weg von den stationären Heimen hin zu mehr ambulanter Hilfe.
Rürup sagte im "Mannheimer Morgen", das umlagefinanzierte System müsse durch eine kapitalgedeckte Komponente - ähnlich wie bei der Riester-Rente - ergänzt werden. Nur solche Rücklagen könnten sicher stellen, dass die Belastung aus der Pflegeversicherung langfristig stabil bleibe. "Fakt ist, dass nach Lage der Dinge spätestens 2007 die Beiträge erhöht werden müssen, wenn nichts passiert", sagte der Regierungsberater.
Rürup mahnt Reform vor 2007 an
Die rot-grüne Koalition bereitet derzeit nur eine kleine Reform der Pflegeversicherung vor, mit der bis Anfang 2005 eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden soll. Dieses hatte verlangt, Eltern beim Pflegebeitrag besser zu stellen als Kinderlose. Erwogen wird deshalb ein Aufschlag für Kinderlose. Die große Finanzierungsreform hat die Regierung hingegen verschoben.
Der Sprecher des Sozialministeriums, Klaus Vater, sagte, in der ersten Septemberwoche würden die Details zur Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils geklärt und "endgültige Festlegungen" getroffen. Anschließend müsse geklärt werden, was in den kommenden Jahren zur Reform der Pflegeversicherung getan werden müsse. Die Forderung nach einer großen Reform aus den Reihen der Grünen nannte Vater "einen warnenden, besorgten Zwischenruf", der an der "Debattenlage" nichts verändert habe.
Zu den Warnungen vor einem Anstieg der Pflegebeiträge sagte Vater, dies sei eine spekulative Frage. "Das ist letztendlich dem Gesetzgeber vorbehalten, welche Konsequenzen er aus dem zieht, was sich in der Pflegeversicherung in den nächsten Jahren tut."
Auch Arbeitgeber für umfassende Reform
Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt forderte in der "Financial Times Deutschland" deutliche Einsparungen bei den Leistungen und warnte die Regierung davor, wie geplant ab Januar 2005 den Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose anzuheben. Dies wäre wachstumshemmend, warnte er.
Die SPD-Gesundheitsexpertin Gudrun Schaich-Walch sagte im SWR, das aktuelle Defizit werde nicht zu einem Anstieg des Pflegebeitrags führen. In diesem Jahr falle der Fehlbetrag nicht so hoch aus wie im vergangenen Jahr. Schaich-Walch rechnet mit 800 Millionen Euro Mehreinnahmen durch die erhöhten Beiträge von Kinderlosen. (AP)