Das kommende Jahr markiert in Deutschland Ende und Anfang zugleich. Die Konjunktur wird sich merklich abkühlen und damit wohl das vorläufige Ende des Aufschwungs einläuten. Zugleich wird ein neuer Bundestag gewählt und mit ihm eine neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen. Angesichts der aktuellen politischen Situation in Berlin ein gefährliches Aufeinandertreffen zweier Ereignisse.
Warum? Statt sich wie in der Vergangenheit allein mit Verteilungsfragen zu beschäftigen, hält die harte Realität wieder Einzug in den politischen Alltag. Zum Verteilen wird nicht viel übrig bleiben. Doch eine handlungsfähige Regierung mit Gestaltungswillen und Durchsetzungskraft und einem starken Kanzler an der Spitze ist nicht in Sicht. "Die Regierbarkeit unseres Landes ist durch unser Wahlsystem und durch nunmehr fünf etablierte Parteien in Frage gestellt", sagt Parteienforscher Hans Herbert von Arnim.
Unter den großen Parteien herrscht Depression und Tristesse. Die SPD ist in einer Dauerpsychose gefangen. Eingekeilt zwischen politischer Notwendigkeit und linken Wunschträumen zerfleischt sich die Partei - und mit ihr ihren wankelmütigen Vorsitzenden Kurt Beck.
Die Union kann von der Sinnkrise der SPD nicht profitieren. Im Gegenteil: Sie droht unter das schon schlechte Wahlergebnis von 2005 zu fallen. Auch ihr fehlt angesichts der linken Front ein eigenes wirtschaftspolitisches Profil, ein "Ich-weiß-wohin-ich-will". Stattdessen wird darüber diskutiert, wer am schnellsten die höchsten Steuergeschenke an die Bürger verteilen darf. Die anstehende Bayernwahl und der drohende Verlust der CSU-Mehrheit lassen grüßen.
Die Konjunktur wird nicht mehr helfen
Als "Angststarre vor der Linken", beschreibt von Arnim das Verhalten von Konservativen und Sozialdemokraten. Staatsmännisches Verhalten sei insbesondere von der SPD nicht mehr zu erwarten.
Bislang blieb die Profilneurose von Union und SPD ohne große Folgen. Auch wenn einige Abgeordnete der Großen Koalition erkannt haben: "Wir sind unter unseren Möglichkeiten geblieben." Die gute Konjunktur hat vieles überdeckt.
In der nächsten Legislaturperiode wird sich dies ändern - der Aufschwung neigt sich seinem Ende zu. "Nach allem was wir wissen, ist mit einer deutlichen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums über 2009 hinaus zu rechnen", sagt Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). "Die Steuereinnahmen werden bei weitem nicht mehr so stark sprudeln, die Arbeitslosenzahlen werden wieder steigen und die öffentlichen Haushalte wieder Defizite aufweisen." Das Ifo-Institut geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum 2009 bis auf magere ein Prozent sinken wird.
Es ist wieder echte Reformpolitik gefragt. Nur wer soll sie machen? Und mit welchen Mehrheiten? Die Parteien blockieren sich gegenseitig - es werden lediglich Partikularinteressen bedient. "Die Regierungsfähigkeit ist erheblich beeinträchtigt, da der Profilierungsdrang in einem Fünf-Parteien-System deutlich stärker ausgeprägt ist", beschreibt Parteienforscher von Arnim die Situation. "Wichtige Entscheidungen zu treffen und drängende Probleme zu lösen, wird dadurch erheblich schwieriger."
Es droht politischer Stillstand
Dabei gibt es genug Probleme, die in den kommenden Jahren gelöst werden müssen. Ein paar Beispiele: In der Gesundheit muss eine Grundsatzentscheidung über Kopfpauschale oder Bürgerversicherung her. Die steigende Armut bei wieder zunehmender Arbeitslosigkeit muss bekämpft werden, ohne zu stark in die alten Verteilungsmuster des Sozialstaats zurückzufallen. Und der Sparkurs wird ab 2009 mit einem sinkenden Wachstum erst so richtig auf die Probe gestellt.
"Der Start der neuen Regierung wird deutlich holpriger als der der aktuellen", sagt Wirtschaftsexperte Horn. In der Politik ist diese Erkenntnis aber noch nicht angekommen. "Sie sonnt sich noch in den Erfolgen von gestern", erläutert Alfred Boss vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. "Und der Bürger hat noch gar nicht realisiert, dass der Aufschwung schon wieder fast vorbei ist." Wirtschaftspolitisch werde sich in den kommenden Jahren "wenig bewegen", ist Boss überzeugt.
Parteienforscher von Arnim geht sogar noch weiter: Für ihn ist nicht einmal sicher, dass nach der kommenden Bundestagswahl "überhaupt eine neue Regierung gebildet werden kann". Das Beispiel Hessen und das dortige Machtvakuum könnten auch in Berlin eintreten. "Es droht ein politischer Stillstand", prophezeit er.
Zieht die Linke in weitere westdeutsche Landesparlamente ein und wird sie vielleicht sogar an Landesregierungen beteiligt, droht außerdem die komplette Blockade des politischen Systems. "Es wird viele unterschiedliche Koalitionen geben, so dass sich viele Länder im Bundesrat der Stimme enthalten werden", sagt von Arnim. Je mehr Parteien in den Landesregierungen sitzen, die nicht der Bundesregierung angehören, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Enthaltung. Und sie zählt im Bundesrat faktisch wie ein "Nein"-Stimme. "Durch das Fünf-Parteiensystem wird die Blockademacht des Bundesrates erheblich erhöht", ist von Arnim überzeugt.
Die großen Parteien lassen sich treiben
Die Linke hat die Spielregeln im politischen Berlin grundlegend verändert - ihr allein die Schuld an der Krise der politischen Kaste in die Schuhe zu schieben, würde jedoch zu kurz greifen. Ja, sie treibt die beiden großen Parteien vor sich her, der heimliche Bundeskanzler Oskar Lafontaine bestimmt die Agenda, vom Arbeitslosengeld über die Rente bis hin zur Steuerpolitik. Aber Union und SPD lassen sich auch treiben: Langfristige politische Konzepte weichen einem Wettlauf um die besten Wählergeschenke über die kommende Wahl hinaus.
Die Situation erinnert in Teilen an die Zeit unter Bundeskanzler Gerhard Schröder - auch wenn sich der Altkanzler nicht mit der Linken auseinandersetzen musste. Im Bundesrat drohte damals durch eine schwarz-gelbe Mehrheit regelmäßig ein "Nein", der Vermittlungsausschuss wurde zur eigentlichen Legislative. Und die Wirtschaft war weit von einem Aufschwung entfernt. Trotzdem wurde einiges umgesetzt. "Was Bundeskanzler Gerhard Schröder durchgeboxt hat, war schon etwas", sagt Experte Boss und fügt mit einem Lächeln an: "In der derzeitigen Situation wäre ein starker Kanzler mit Gestaltungskraft wünschenswert." Basta!