Bei Europas größtem Autobauer VW zittern viele Beschäftigte wieder um ihren Arbeitsplatz. Obwohl ein weit reichender Vertrag zur Beschäftigungssicherung geschlossen wurde, geht das Gespenst von Werksschließungen und Jobabbau um. "Wenn ein Unternehmen aus zwingenden Gründen nachverhandeln muss, ist das kein Anlass, das Unternehmen zu diskreditieren, noch das System der betrieblichen Bündnisse in Frage zu stellen", meint Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser.
Normalfall statt Notnagel
Tatsächlich sind Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung in Deutschland inzwischen in fast allen Branchen verbreitet. "Die Ausnahmeregelung ist zum Normalfall geworden", beobachtet der Leiter des gewerkschaftsnahen WSI-Tarifarchivs, Reinhard Bispinck. Die jüngste WSI-Befragung von Betriebsräten ergab, dass schon jeder vierte deutsche Betrieb ein Bündnis zur Sicherung der Beschäftigung hat. Dabei handelt es sich keinesfalls nur um Krisenfälle: Auch mehr als 20 Prozent der Betriebe mit guter Auftragslage haben solche Regelungen; bei Unternehmen mit Problemen sind es fast 55 Prozent. Dabei gilt: Je schlechter es dem Unternehmen geht, desto kürzer läuft die Jobgarantie.
"Das ganze ist ein Prozess des Gebens und Nehmens", sagt Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser. Der Arbeitgeber sichert den Beschäftigten zu, für einen befristeten Zeitraum auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Im Gegenzug müssen die Mitarbeiter unbezahlte Mehrarbeit leisten oder auf Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld verzichten. Das Unternehmen kann dadurch seine Kosten drücken, um aus den roten Zahlen zu kommen oder die Produktivität zu steigern. Bekannte Beispiele, die in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen sorgten, sind der Handelskonzern KarstadtQuelle, die Handysparte von Siemens sowie fast alle Autobauer von Opel bis Porsche.
Nicht nur Arbeiter sollen verzichten
"Es ist Tagesgeschäft geworden, nicht mehr nur Tarifverträge in der Fläche, sondern zunehmend auch in Betrieben abzuschließen. Das ist ein Umlernprozess", sagt der neue Leiter der Abteilung Tarifpolitik bei der IG Metall, Oliver Burkhard. Der jüngste Metall-Abschluss von Pforzheim vom Februar 2004 hat den Betrieben mehr Spielraum eröffnet, zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit vom Flächentarif abzuweichen. Seit Anfang 2004 bis heute hat die IG Metall 459 Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung unterschrieben - etwa doppelt so vielen Anträgen hat die Gewerkschaft ihre Zustimmung aber auch verweigert.
"Wir wollen nicht den Sterbeprozess für Betriebe verlängern, etwa wo wegen veralteter Produkte, technischer Versäumnisse oder Missmanagement das Sterben unveränderbar ist." Das Zukunftskonzept dürfe nicht allein aus einem Verzicht der Arbeitnehmer bestehen. "Wofür sollen denn sonst die Beschäftigten Zugeständnisse machen?", fragt Burkhard. Die IG Metall habe aber noch nie zeitlich befristete Zugeständnisse bei einem Unternehmen abgelehnt, bei dem es eine echte Chance für Beschäftigung gebe. In betrieblichen Vereinbarungen sieht der Tarifexperte auch eine Chance für die Gewerkschaft, stärker vor Ort präsent zu sein und neue Mitglieder in den Betrieben zu gewinnen.
Man muss sich auf Zusagen verlassen können
"Die ganz überwiegende Mehrheit der Beschäftigungsbündnisse funktioniert gut", lobt Arbeitgebervertreter Kannegiesser. Sie böten den Beschäftigten höchstmögliche Verlässlichkeit, "ohne einen Rest an Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklungen ausschließen zu können". Deshalb gibt es fast immer eine Revisionsklausel. Wenn etwa die Nachfrage stärker sinkt als angenommen oder die Inflation stärker steigt, müssen beide Seiten eine neue Lösung finden. Das kommt allerdings selten vor. Die Vereinbarungen würden von vielen Beschäftigten ohnehin schon skeptisch gesehen, weil sie dafür große Opfer bringen müssten, sagt WSI-Experte Bispinck. "Wenn man sich dann noch nicht einmal auf die Zusagen verlassen könnte, würde die Akzeptanz noch weiter in den Keller gehen."