Dunkle Anzüge, edle Krawatten, ein 4-Gänge-Menü im prächtigen Kurhaus – so wie sich die FDP präsentiert, ist sie noch immer die Partei der Besserverdienenden und Wiesbaden ihr idealer Tagungsort. Die hessische Landeshauptstadt ist klein, reich und schön, hier leben viele Banker aus dem benachbarten Frankfurt, gutverdienende ZDF-Redakteure und tausende Beamte, die wahlweise beim Bundeskriminalamt, dem Statistischen Bundesamt oder der Landesregierung arbeiten.
"Dinnerspeaker" als Inspiration
Dass es in der Fußgängerzone mal zu einem Wortgefecht zwischen dem damaligen SPD-Chef Kurt Beck und einem Hartz-IV-Empfänger gekommen ist ("Waschen und rasieren Sie sich, dann bekommen Sie auch einen Job!") ist ein kleines Wunder. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass ein Politiker versehentlich über einen falsch geparkten Porsche-Cayenne stolpert.
Traditionell lädt die FDP zu ihrer Herbstklausur einen prominenten Redner ein, der als "Dinnerspeaker" für politische Inspiration zu sorgen hat. Dieses Jahr fiel die Wahl auf einen Mann, der vor ein paar Wochen mit seinem Duz-Freund Guido Westerwelle wandern war, und damit wilde Spekulationen ausgelöst hatte: Friedrich Merz, CDU.
Merz will bei der CDU bleiben
Aber, um die Nachricht gleich vorneweg zu nehmen: Merz wechselt nicht zu den Liberalen. "Ich komme als Gast und ich gehe als Gast", sagte er zum Auftakt seiner Rede. Auch eine andere Spekulation ließ Merz ins Leere laufen: Er nutzte seinen Auftritt nicht für eine Generalabrechnung mit Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte ihn 2005 final entmachtet und seine wirtschaftliberalen Ansichten durch großkoalitionäre Wohlfühlpolitik ersetzt. Frustriert kündigte Merz an, 2009 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Nun hätte er in Wiesbaden verbal ordentlich draufhauen können.
Nichts dergleichen passierte. Merz grenzte sich nur indirekt gegen Merkel ab, indem er die die rot-grüne Agenda 2010 ausführlich lobte. Sie sei "nicht nur richtig, sondern dringend notwendig" gewesen, sagte er. Ganz FDP-like empfahl er, diesen Weg weiter zu gehen. Der Sozialstaat müsse eher begrenzt als ausgebaut werden. Es sei bedauerlich, dass die Studie der Universität Chemnitz - die eine Senkung der Hartz-IV-Sätze auf kümmerliche 132 Euro pro Monat für möglich hält – so rasch abqualifiziert worden sei. "Sozialpolitiker schaffen mit mehr Geld Probleme, die sie nachher mit noch mehr Geld lösen wollen", sagt e Merz. Er verwies darauf, dass es mittlerweile Familien gebe, die sich in zweiter und dritter Generation von staatlichen Zuwendungen ernährten. Das dürfe die Gesellschaft nicht zulassen.

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Reformen am Sozialstaat erklären
Merz positionierte sich damit unmissverständlich gegen den linken Zeitgeist, der momentan in allen Parteien kostenträchtige Helfersyndrome züchtet, selbst in der CSU. Im Stil des designierten SPD-Chefs Franz Müntefering – beide sind Sauerländer – empfahl Merz, klare Kante zu ziehen. Reformen am Sozialstaat müssten gut erklärt und offensiv vertreten werden. "Wenn wir es zulassen, dass die soziale Marktwirtschaft als neoliberal diskreditiert wird, dann haben wir die Auseinandersetzung doch schon verloren, bevor sie in der Sache angefangen hat", sagte er. "Neoliberal" ist im Sprachgebrauch vieler Linker ein Schimpfwort erster Güteklasse.
Merz erhielt viel Beifall, FDP-Chef Westerwelle dankte herzlich und ergänzte mit feinem Sarkasmus, er hoffe, "dass so eine Rede auch einmal vor der CDU/CSU-Fraktion gehalten wird". Außerdem fragte er launig nach, ob Merz denn nun wirklich bei der CDU bleiben wolle. "Du bist Dir sicher mit Deiner Entscheidung?". "Ja", antwortete Merz, der schon wieder an der weiß gedeckten Tafel Platz genommen hatte.
Welcher Koalitionspartner?
Einige Parteimitglieder sind darüber offenbar nicht unglücklich. In den Tischgesprächen war zu hören, dass Merz zwar ein exzellenter Finanzpolitiker und Rhetoriker sei, aber sein konservatives Weltbild nicht zu den Liberalen passe. Explizit wurde auf Merzens Ansichten zur Familienpolitik verwiesen – ein Mann, der Frauen lieber zuhause bei den Kindern sieht, hätte mit einer Turbo-Mami wie der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin wohl so seine Probleme.
Ein kleines Scharmützel am Rande spielte sich auch um die Frage ab, wie weit sich die FDP zur frisch frisierten SPD öffnen solle. Merz hatte in seiner Rede gelästert, er hätte schon bemerkt, "wie liebevoll ihr Generalsekretär mit Frau Nahles [der stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden, Red.] umgeht". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hatte sofort reagiert und "Nie, nie, nie – nicht mit ihr!" durch den Saal gebrüllt.
Falsch lag Merz mit seiner metaphorisch gemeinten Provokation gleichwohl nicht: Die FDP wird ohne bindende Koalitionsaussagen in den Bundestagswahlkampf gehen und hatte diese Woche ein paar freundliche Signale an den potentiellen Koalitionspartner SPD ausgesandt. Es könnte ja sein, dass die Sozialdemokraten unter Müntefering sich besser in die Wiesbadener Landschaften fügen als die entmerzte CDU.
Der FPD-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff verließ als einer der Ersten das Dinner. Er ließ sich in einem Audi Q7 nachhause bringen.