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Sixt, WeShare und Co. Alles oder nichts: Corona wird zur härtesten Probe der Carsharing-Dienste

Ein Auto des russischen Carsharing-Anbieters Yandex wird desinfiziert.
Ein Auto des russischen Carsharing-Anbieters Yandex wird desinfiziert.
© Evgeny Odinokov/ / Picture Alliance
Carsharing-Dienste boomten in den vergangenen zehn Jahren. Dann kam die Coronakrise. Während einige Anbieter auf Nummer sicher gehen, nutzen andere die Chance zum Expandieren. Es wird sich zeigen, welcher Ansatz der bessere ist.

Es brauchte nur ein kleines Virus, das mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, um die Welt, wie wir sie kannten, aus den Angeln zu heben. Die Folgen bekommen derzeit viele Branchen zu spüren. Im Guten, wie etwa die die zahlreichen Unternehmen, welche sich auf die Digitalisierung von Prozessen spezialisiert haben und deren Dienstleistungen nun so gefragt sind wie nie zuvor. Und im Schlechten, wie die Gastronomen und Hoteliers, die durch eben jene Digitalisierung in Zukunft weniger Geschäftsreisende und damit weniger Umsatz befürchten müssen.

Und dann gibt es Branchen, bei denen noch unklar ist, ob Sie zu den Gewinnern oder Verlierern zählen. Bei denen es davon abhängt, wie sie ihr Geschäftsmodell auf die "neue Normalität", wie das Leben mit dem Coronavirus gemeinhin genannt wird, anpassen.  

Man teilt nicht nur das Auto, sondern auch Viren

Ungewiss etwa ist die Zukunft von Carsharing-Anbietern. Im vergangenen Jahrzehnt zählten sie zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen. Allein in Deutschland verzeichnet die Branche 2,5 Millionen Nutzer, Ende des Jahres sollten es europaweit 15 Millionen sein.

Doch dann kam Corona und sorgte für eine Vollbremsung. Das globale Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan prognostiziert der Carsharing-Industrie für dieses Jahr einen Rückgang um 25 Prozent.

Dabei scheint das Auto in Zeiten, in denen soziale Distanz der Schlüssel zur Eindämmung der Pandemie ist, das ideale Fortbewegungsmittel zu sein. Nur: Wer will schon ein öffentlich verfügbares Auto benutzen, bei dem man nicht weiß, wer vor einem hinterm Steuer saß? Wo unbekannt ist, ob der- oder diejenige eine Maske getragen und am Ende der Fahrt Türgriffe und Schaltknauf vorbildlich desinfiziert hat?

Die Schatten der Vergangenheit

Probleme zeichneten sich schon vor der Coronakrise ab, sie wurden durch die Pandemie lediglich befeuert. Denn schon Ende des vergangenen Jahres stellte etwa der zu Bosch gehörende Mietroller-Anbieter Coup seinen Betrieb ein. Das Carsharing-Startup Oply, das mit 510 Fahrzeugen in Hamburg, Berlin und München vertreten war, zog Anfang Februar die Reißleine.

Eines der Kernprobleme ist, dass viele Unternehmen mit ähnlichen Angeboten um die gleiche Kundschaft buhlen. Denn theoretisch mögen sich die Carsharing-Anbieter hierzulande an 83 Millionen potenzielle Kunden richten, in der Praxis werden sie jedoch vor allem von jungen, urbanen Menschen genutzt, die nur gelegentlich ein Auto benötigen.

"Carsharing ist ein Geschäftsmodell, bei dem es schwierig ist, Rentabilität zu erzielen", erklärt Shwetha Surender, Leiterin des Bereichs Neue Mobilität bei Frost & Sullivan gegenüber "Bloomberg". "Es wird nicht sofort auf das Niveau vor der Coronakrise zurückkehren. Wir erwarten eine langsame Erholung".

Ähnlich sieht es das Beratungsunternehmen EY-Parthenon. Eine Umfrage in Spanien zeigt, dass die Hälfte der Menschen Car-Sharing-Dienste weniger oder viel weniger nutzen möchte als bisher. Acht Prozent wollen sie sogar nie wieder nutzen. Eine Umfrage des Mobilitätsanbieters Moovit, der kürzlich vom Prozessorhersteller Intel übernommen wurde, zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild: In Italien planen lediglich 1,3 Prozent der Befragten, in nächster Zeit einen solchen Dienst zu nutzen. Statt des Leihautos bevorzugen viele - sofern vorhanden - den eigenen Pkw oder Roller und Fahrrad.

Wachstum - um jeden Preis?

Wie sich die Pandemie entwickeln wird, kann niemand prognostizieren. Trotz Lockerungen in immer mehr Alltagsbereichen lähmt die Angst vor einer zweiten Welle, also einem erneuten rapiden Anstieg der Corona-Infektionen, die Gesellschaft. Viele Anbieter fahren deshalb auf Sicht und gehen auf Nummer sicher: Die VW-Tochter WeShare kündigte im Juni an, die Expansion in weitere Städte neben Berlin auf das Jahr 2021 zu verschieben. Share Now, das Gemeinschaftsunternehmen von BMW und Daimler, hatte seine Expansionspläne bereits vor der Pandemie gekappt und gleichzeitig angekündigt, sich aus Nordamerika und einigen europäischen Städten zurückzuziehen. 

Den Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als sich an die neue Situation anzupassen. Am grundlegenden Geschäftsmodell können sie nichts ändern, neben größeren Hygieneanstrengungen versuchen sie das Angebot durch eine höhere Flexibilität attraktiver zu machen. So haben einige Anbieter Vorausreservierungen für Fahrzeuge eingeführt und ihre Gebiete ausgeweitet, andere erlauben nun mehrtägige Buchungen oder Abrechnungen nach Stunden statt fixen Tagespauschalen. So zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass viele Kunden die Fahrzeuge für einen längeren Zeitraum mieten wollen. "Die Grenzen zur klassischen Vermietung verwischen", erklärte ein WeShare-Sprecher gegenüber dem "Tagesspiegel"

The winner takes it all

Einige Anbieter versuchen nun, die Krise als Chance zu nutzen. Sixt etwa durchlebte das "schlechteste Quartal in der Unternehmensgeschichte", und stockte seine Flotte dennoch um 1000 Fahrzeuge auf. Seit Juni ist das Unternehmen in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag verfügbar und ermöglicht seinen Kunden den Pendelverkehr zwischen den drei niederländischen Städten. Auch VW-Tochter WeShare berichtet von höheren Auslastungswerten als vor der Krise.

Die Entwicklung zeigt: Wer tief genug ins Portemonnaie greifen kann, dem bietet sich nun die Gelegenheit, die Marktbereinigung als Chance zur Eroberung weiterer Marktanteile zu nutzen. Denn eines dürfte sicher sein: Sobald ein Impfstoff verfügbar ist, wird das Interesse an Leihautos wieder anziehen. Dank größerer Flotten und neuer Tarife könnte die Branche am Ende sogar gestärkt aus der Krise hervorgegangen sein.

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