Die deutschen Hersteller hatten den SUV-Trend komplett verschlafen; erst oben und dann in der Mittelklasse. Allein BMW lachte sich ins Fäustchen und sahnte mit dem exzellenten, aber teuren X3 jahrelang ohne Gegenspieler ab. Wer günstig die allseits beliebten Pseudo-Offroader fahren wollte, musste lange Zeit zur asiatischen Konkurrenz von Nissan X-Trail, Hyundai Tucson oder Toyota RAV4 ausweichen und fühlte sich bestens aufhoben. Mit Verspätung kommt jetzt der sehnlichst erwartete VW Tiguan auf den Markt. Er will im nächsten Jahr der meistverkaufte SUV Deutschlands werden die Chancen stehen exzellent. Ähnlich wie Langschläfer Touran, Fox und Eos ist der Tiguan kein automobiles Designwunder, aber einer, an dem sich ab Herbst diesen Jahres alle messen müssen klassauf, klassab. Denn der 4,46 Meter lange Allradler erlaubt sich keine echte Schwäche. Genau das wollen die Kunden, die er mit solidem Design und moderner Antriebstechnik locken möchte. Als Lockangebot soll ab Frühjahr 2008 eine Frontantriebsversion nachgelegt werden.
Lange hat man in der Wolfsburger Konzernzentrale getrickst, ehe man den Tiguan zu einem Basispreis von 26.700 Euro ins Haifischbecken werfen konnte. Hier misst er sich mit nahezu allem, was 4x4 unterwegs ist; angefangen von dem Hyundai Tucson über den Kia Sportage bis hinauf zum Platzhirschen BMW X3. Denn die 26.700 Euro sind nur die untere Seite der Medaille. Hier startet der neue, gerade einmal 1,4 Liter große Vierzylinder mit 110 kW / 150 PS. Durch knappe 1,6 Tonnen Leergewicht kann das Basismodell kaum mehr als die Brot- und Butterfraktion begeistert. Trotz Doppelaufladung und 240 Nm maximalem Drehmoment geht es vom Start weg recht zaghaft zur Sache. Nach der spürbaren Anfahrschwäche und dem Hinter-sich-lassen der Gänge eins und zwei sieht es dagegen schon besser aus. Einmal in Schwung gekommen, ist man flott und drehfreudig unterwegs. 0 auf 100 km/h in 9,6 Sekunden und 192 km/h Spitze sind für einen Einsteiger alles andere als schlechte Daten. Durchschnittlich soll sich der Tiguan dabei mit 8,4 Litern Kraftstoff begnügen.
Das Triebwerk läuft leise und angenehm im Hintergrund. Die Geräuschdämmung des Tiguan erweist sich dabei auch ohne Doppelverglasung als exzellent. Mehr als die Abrollgeräusche der Reifen sind kaum zu vernehmen. Die elektrohydraulische Lenkung arbeitet leichtgängig; etwas direkter wäre trotzdem wünschenswert. Das mit Komponenten aus dem Passat ausstaffierte Fahrwerk des VW Tiguan ist ein Volltreffer. Keine weiche Nudel wie zahlreiche Asia-Speisen und bei allen Geschwindigkeiten angenehm straff überzeugt es selbst im Grenzbereich mit stoischer Ruhe bei schnellen Kurvenfahrten oder groben Fahrbahnschwellen. Hier ist VW ein großer Wurf gelungen, der die meisten SUV-Fans nicht nur in Deutschland begeistern dürfte. Im wahren Gelände hat der Tiguan trotz variabler Haldex-Kupplung nicht viel zu suchen. 4x4 und knapp 20 Zentimeter Bodenfreiheit ermöglichen jedoch die automobile Pflicht abseits befestigter Straßen.
Das kann man vom Platzangebot nur eingeschränkt sagen. Vorne sitzt man prächtig, doch in der zweiten Reihe merkt man schnell, dass man in der aufgebockten Mittelklasse unterwegs ist. Der verschiebbaren Rückbank sei Dank finden zwei Erwachsene problemlos Platz vorausgesetzt sie sind nicht größer als 1,85 Meter. Sonst wird es an der Schädeldecke eng. Zu dritt möchte man im Tiguan-Fond nur im Notfall sitzen. Der Kofferraum schluckt zwischen 505 und 1.510 Liter. Dann schon lieber Rückbank und Beifahrersitz umgeklappt und die mächtige Ladefläche für den Hobbyeinsatz genutzt. Wer gerne einiges lädt oder gar mit dem Anhänger unterwegs ist, sollte sich gleich für den Dieselantrieb entscheiden, der zunächst nur als 140-PS-Version verfügbar ist. Erstmals mit der standesgemäßen Commonrail-Technik ausgestattet, fährt sich der Tiguan 2.0 TDI kraftvoll und stimmig.
Nicht, dass der neue zwei Liter große Wolfsburger Selbstzünder den Flüsterer mimen würde. Aber die Verbrennung läuft deutlich runder und stimmiger als bei den Polterversionen mit Pumpe-Düse-Technik. Hier kann man sich bereits auf die leistungsstärkeren Versionen mit 170 und rund 200 PS die im nächsten Jahr folgen dürften. Bereits der Einsteiger leistet bei 1.750 U/min 320 Nm, schafft jedoch nur 182 km/h Spitze. Sein Durchschnittsverbrauch liegt bei 7,5 Litern Diesel auf 100 Kilometern. Weniger wird es erst dann, wenn auch bei VW Tiguan die Start-Stopp-Technologie Einzug hält. Im Gespräch ist Herbst 2008.
Verarbeitung und Wertigkeit im neuen VW Tiguan setzen wie zu erwarten Maßstäbe. Verkleidungen, Sitze, Bedienelemente und Materialien müssen der in- und ausländischen Konkurrenz von Citroen bis Opel viel Kopfzerbrechen machen. Hier kann man allenfalls bei der Serienausstattung mäkeln. Denn nicht nur beim Basismodell Trend & Fun gibt es mächtig Spielraum nach oben. Das neue Navigationssystem, Xenonlicht, Sitzheizung und Klimaautomatik werden in dieser Liga gerne erwählt und kosten viel Geld. Dass selbst Nebelscheinwerfer, Multifunktionslenkrad, anklappbare Spiegel oder Mittelarmlehnen extra bezahlt werden müssen, kann in den komfortverwöhnten Zeiten kaum nachvollzogen werden. Dem Kundenzuspruch dürfte es keinen Abbruch tun, dass ein sinnvoll ausgestatteter VW Tiguan 1.4 TSI Sport & Style über 35.000 Euro kostet. Denn schließlich ist es ein VW und die werben seit kurzem mit dem wenig einfallsreichen, aber hintergründigen Slogan: Volkswagen das Auto. So ist es eben.