Herbert Diess scheint momentan einer speziellen Agenda zu folgen. "Radfahren macht Spaß, ist gesund und gut für die Umwelt. In überfüllten urbanen Zentren wird das Auto - auch das emissionsfreie E-Auto - zukünftig nur dann akzeptiert, wenn das Rad genug Raum im Mobilitätsmix hat", ließ der VW-Chef unlängst verlauten. Dazu kommt seine unlängst postulierte Forderung nach einem deutlich höheren CO2-Preis als der momentan geplante, was die Benzinpreise explodieren lassen würde. Das Echo war nicht freundlich. Diess Antrieb für diese Aussagen ist nachvollziehbar. Zum einen will sich der Konzern, der den Dieselskandal ins Rollen gebracht hat, als Umwelt-Primus positionieren, zum anderen müssen die Milliarden-Investitionen für die Elektromobilität wieder reingeholt werden. Wenn das Benzin fast unbezahlbar wird, dann werden immer mehr Menschen in ein Elektromobil kaufen, am besten mit einem VW-Logo auf der Front.
Das ist sicher ein veritables Vorhaben, doch die automobile Welt von morgen wird nicht nur durch Elektromotoren definiert, die viel beschworene digitale Transformation fängt mit der Software an und da drohen die deutschen Autobauer den Anschluss zu verlieren. Bevor Deutschland zum Land der Stromer wird, müssen diese Hausaufgaben gemacht. Die Software-Probleme beim VW Golf 8 und dem ID.3 sind nur ein ostentatives Zeichen, das klar macht, dass man auch in der Neuen Welt seine Hausaufgaben machen muss, ehe man ein Auto auf den Markt bringt. Mittlerweile hat der niedersächsische Autobauer die Fehler ausgemerzt, hat damit begonnen, drahtlose Updates für den ID.3 aufzuspielen und nimmt mit der hauseigenen Softwareschmiede Cariad das digitale Schicksal in die eigene Hand. Doch die Konkurrenz in den USA und mittlerweile auch China schläft nicht. Der Kampf an den Rechnern wird noch unerbittlicher als der am Fließband.
Die Herausforderungen, aber auch die Chancen sind umfangreich. Denn die Software und die damit verbundenen Applikationen werden immer mehr zum Unterscheidungsmerkmal der Fahrzeuge. "Software öffnet uns die Tür zu neuen Business-Modellen", erklärt VW-Vertriebsvorstand Klaus Zellmer. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Capgemini werden durch die Differenzierung mit einzigartigen softwarebasierten Funktionen und Diensten führende Automobilhersteller (OEMs) einen um neun Prozent höheren Marktanteil erzielen als ihre Wettbewerber. Die softwaregetriebene Transformation wird zudem dazu führen, dass sie in den nächsten fünf Jahren Produktivitätssteigerungen um bis zu 40 Prozent, Kostensenkungen um 37 Prozent und eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit um 23 Prozent realisieren können. "Software definiert Mobilität neu und verändert die gesamte automobile Wertschöpfungskette. Der Wettbewerb um Innovation und Wachstum findet zweifellos im Fahrzeug statt", stellt Ralf Blessmann, Leiter des Automotive Sektors bei Capgemini in Deutschland klar.
Zu den Funktionen beziehungsweise Diensten, die durch die Bits und Bytes sowie den entsprechenden Algorithmen realisiert werden, gehören weiterentwickelte Fahrassistenten, autonomen Fahrfunktionen und natürlich die Konnektivität. Ein immenses Geschäftsfeld, mit dem Milliardenbeträge erlöst werden können. Doch die weltweit befragten 572 Führungskräfte von Automobilherstellern sind skeptisch. Ihrer Ansicht nach ist der Reifegrad in den Schlüsselbereichen gering. Denn die 71 Prozent der globalen sowie 53 Prozent der deutschen Unternehmen befinden sich in der Anfangsphase ihrer softwaregetriebenen Transformation und haben bis dato lediglich Anwendungsbereiche identifiziert.
Der Weg zur schönen neuen Software-Welt lässt sich aber nicht so ohne Weiteres beschreiten. Denn die Autobauer müssten alte Zöpfe abschneiden und die traditionell enge Verknüpfung zwischen der Fahrzeugarchitektur und den Software-Applikationen aufgeben, um neue Geschäftsmodelle zu generieren. Da liefert die Studie ein ernüchterndes Bild. Derzeit nutzen 93 Prozent der OEMs eine traditionelle Fahrzeugarchitektur, während nur 13 Prozent planen, die eng integrierte Bereitstellung der Hardware- und Softwarearchitektur zu entkoppeln. "Um die Vorteile von Software zu nutzen und sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, müssen OEMs Legacy-Architekturen hinter sich lassen", fasst Ralf Blessmann zusammen.
Allerdings lauern auf den Weg in die vernetzte Welt auch Gefahren. Wo Software installiert ist, besteht auch die Möglichkeit, dass sich Hacker unerlaubten Zutritt zu dem System verschaffen. Im Falle eines Automobils ist dieser Umstand besonders heikel, da eine dysfunktionale Software verheerende Auswirkungen haben kann. Dennoch bleiben Dateneigentum und Cybersicherheit bleiben nach wie vor kritische Punkte. Gemäß der Capgemini-Studie glauben weniger als zehn Prozent der Autobauer, dass sie gut vorbereitet sind, Cybersicherheitsmaßnahmen umzusetzen und 60 Prozent haben Schwierigkeiten, sicherzustellen, dass die Produkte von Zulieferern den Sicherheits- und Cybersicherheitsvorschriften entsprechen. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis VW, Mercedes & Co. Maßnahmen ergreifen, ihre Autos zu schützen. So einfach ist es nicht. Denn die Untersuchung enthüllt, dass rund die Hälfte der Automobilherstelle damit zu kämpfen hat, Daten zu sammeln und daraus verwertbare Erkenntnisse abzuleiten.