Ein Streifen auf der Fahrbahn tut es nicht. Wenn Radfahrer sicher fahren sollen, müssen Hindernisse es Autofahrern unmöglich machen, allzu rücksichtslos an ihnen vorbeizufahren. Das ist in Kürze das Ergebnis einer Studie aus Australien.
Die in der Zeitschrift "Accident Analysis and Prevention" veröffentlichte Studie benutzte Kameras und Distanzmessgeräte, um die Überholdistanz von Autofahrer in Australien zu ermitteln. Das Ergebnis bei Radstreifen, die nur durch Farbe auf der Straße markiert werden, war ernüchternd: Die Autofahrer fahren sehr viel dichter heran, als wenn der Radler auf einer Straße ohne Markierung unterwegs war. Sie halten keinen Sicherheitsabstand ein – so wie vorgeschrieben. Vermutlich gehen sie davon aus, es reiche, dass sie die Radspur selbst nicht befahren.
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Ohne Spur fährt es sich sicherer
Tatsächlich zeigen die Daten, dass die Radfahrer ohne Radweg auf der Fahrbahn besser geschützt sind als auf einer Straße mit Radspur. Mit Markierung überholten die Kraftfahrzeuge 27 Zentimeter enger. Befand sich neben der aufgemalten Radspur noch ein Parkstreifen für Autos, fuhren die Wagen sogar 40 Zentimeter näher ran, als wenn es gar keine Radspur gegeben hätte.
Radfahren ist zu Recht mit Angst besetzt
Überholungen unter 100 Zentimeter Distanz werden in Australien als Beinaheunfälle gewertet. Immerhin sechs Prozent der Überholmanöver geschahen mit weniger als 100 Zentimeter Abstand. Es geht nicht klar hervor, welche Distanz wirklich gemessen wurde. Üblicherweise erfassen die Messgeräte die Seite des Fahrzeugs, die tatsächlich engste Stelle bilden aber meist die Seitenspiegel – dann wäre die wirkliche Entfernung noch 15 bis 20 Zentimeter weniger.
Für die Autoren der Studie sind sechs Prozent von Beinaheunfällen kein kleiner, sondern ein viel zu hoher Wert. Auf einer typischen Pendlerstrecke tritt diese bedrohliche und gefährliche Situation wegen der Vielzahl an Überholvorgängen mehrmals am Tag auf. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein einziger Streifen weißer Farbe nicht ausreicht, um Menschen zu schützen, die Fahrrad fahren", schrieb Hauptautor Dr. Ben Beck, stellvertretender Leiter der Notfall- und Traumaforschung der Monash University. Beck argumentiert dabei nicht gegen eigene Fahrstreifen, doch Farbe allein reicht eben nicht aus. "Der Schwerpunkt der Straßenrad-Infrastruktur muss auf einer Infrastruktur liegen, die Radfahrer von Kraftfahrzeugen durch eine physische Barriere trennt."
Geschieht das nicht, werde es auch kein Umsteigen vom Auto zum Rad geben, so Dr. Ben Beck. "Wir wissen, dass Fahrzeuge, die Radfahrer sehr nah überholen, das unsichere Gefühl beim Radfahren erhöhen und ein starkes Hindernis für eine zunehmende Verbreitung des Rades darstellen."
Faustrecht des Stärkeren
Allerdings kommt es auch auf die Kultur beziehungsweise Unkultur auf den Straßen an. In Ländern, in denen tendenziell das Faustrecht des Stärkeren gilt, so wie in Deutschland, lässt sich die Aggression der stärker motorisierten Verkehrsteilnehmer nur baulich in den Griff kriegen.
"Wo die Kultur nicht auf den Schutz ungeschützter Verkehrsteilnehmer ausgerichtet ist, kann Farbe keine effektive, nachhaltige Lösung für die Sicherheit sein und eine nachhaltigere Infrastruktur wäre erforderlich", sagte der britische Psychologe Ian Walker zu "Bloomberg".
Walker wurde durch eine Studie aus dem Jahr 2007 weltweit bekannt. Seine Daten zeigten damals, dass das Tragen eines Fahrradhelms Autofahrer vor allem dazu animierte, besonders riskant zu überholen. "Doch wenn die Kultur zu 100 Prozent auf den Schutz der Schwächeren ausgerichtet ist, dann wäre eine schwächere Infrastruktur wahrscheinlich akzeptabel - die Niederlande nähern sich dieser Situation weitgehend an."
Im "Autoland" Deutschland ist enges Überholen nicht strafbar. Nur wenn es zu einem Unfall kommt, hat der Autofahrer schlechte Karten, wenn er mit einem Abstand von unter einem Meter vorbeigezogen ist.
Quelle: Accident Analysis and Prevention