Scheibes Kolumne "Ist die Tine Wittler da?"

stern.de-Kolumnist Carsten Scheibe traut sich nicht mehr ans Telefon. Ständig klingeln fremde Menschen an und möchten Tine Wittler von RTL sprechen. Dabei wohnt die doch ganz, ganz ehrlich nicht bei ihm. Egal: Die Anrufer haben ein fürchterlich dringendes Anliegen: Jemand muss sich einmal um ihre verdreckten Buden kümmern.

Unser Geld verdienen wir im Büro mit vielen Dingen. Etwa mit Pressemitteilungen. Wir schreiben sie im Auftrag der Kunden, versenden sie per Mail an Journalisten und stellen sie auch ins Web. Hier werden sie automatisch über RSS-Feeds in zahlreiche Presseportale gespiegelt, die nichts anderes tun, als neue Pressemitteilungen zu verbreiten. Auf diese Weise tauchen unsere Meldungen oft schon auf der allerersten Ergebnisseite auf, wenn man Google mit den entsprechenden Suchbegriffen füttert.

Der Nachteil dieser Methode ist, dass über Google nicht nur Journalisten auf die Meldungen stoßen, sondern auch alle anderen Anwender. Wir schreiben zwar über unsere Adresse in der Meldung immer drüber "Nur für Journalisten", aber das hindert niemanden daran, trotzdem bei uns anzurufen. Denn auch wenn der eigentliche Hersteller einmal nicht zu erreichen ist, bei uns ist immer jemand da. So müssen wir auch oft noch Support leisten oder uns die Klagen der Konsumenten anhören, obwohl wir mit dem Produkt als solches ja gar nichts zu tun haben. Momentan artet diese Form des Feedbacks richtig in Arbeit aus.

Fall 1: Nachmittags um zwei

Das Telefon klingelt.
Ich: "Pressebüro Typemania, Scheibe, Hallo?"
Anruferin: "Frau Wittler?"
Ich: "Nein, da haben Sie sich verwählt."
Anruferin: "Nein, habe ich nicht. Ihre Nummer steht doch hier. Tine Wittler."
Ich: "Hier ist aber keine Tine Wittler."
Anruferin: "Na, die von RTL aus Köln."
Ich: "Hier ist aber Typemania aus Berlin."
Anruferin: "Hier steht aber Ihr Name bei einer Produktmeldung."
Ich: "Ach so, Sie meinen die Pressemitteilung zur 'RTL 3D Software 2.0 mit dem Einsatz in 4 Wänden'!"
Anruferin: "Genau: Ist die Wittler denn jetzt da?"
Ich: "Nein, da sind Sie bei uns falsch. Wir hatten nur etwas mit der Software zu tun. Frau Wittler haben wir dabei selbst gar nicht kennen gelernt. Da haben wir auch keine Kontaktdaten. Tut uns Leid."
Anruferin: "Will ich der Mutti nämlich zum Geburtstag schenken."
Ich: "Äh? Was denn?"
Anruferin: "Dass die Wittler kommt und ihr alles neu macht. Die Wohnung von der Mutti müsste dringend mal renoviert werden."
Ich: "Probieren Sie es doch bei RTL."
Anruferin: "Bei Ihnen ist die Wittler wirklich nicht?"

Die letzten Tage waren ziemlich stressig. Vor Ostern musste noch alles erledigt sein, und vor lauter Nachtschichten wusste ich bald nicht mehr, wo oben und wo unten war. So darf man nicht verwundert sein, dass ich nicht gleich wusste, was Sache war, als nachts um kurz vor zwölf das Telefon im Büro klingelte.

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In seiner Freizeit geht Carsten Scheibe golfen - und arbeitet daran, dass der Golfball auf der selben Bahn ankommt, von der er abschlägt. Wenn's mit dem Spielen nicht so gut klappt, schreibt er lieber - für das eigene, kostenfrei in den Golf-Clubs ausliegende Magazin "Mein Golf-Heft". Das gibt's mit allen Artikeln auch im Internet. Natürlich ist der PC auch hier ein Thema.

Fall 2: Kurz vor Mitternacht

Das Telefon klingelt.
Ich: "Ja?"
Anrufer: "Ey, Alter, hol mir mal die Tine."
Ich: "Sie meinen Tina, meine Frau heißt Tina."
Anrufer: "Neh, ey, ich mein die Tine. Hol ma her."
Ich: "Ich versteh kein Wort, tut mir Leid."

Anrufer: "Na, Alter, die Wittler, die aussem Fernsehn. Brauch ich ganz dringend."
Ich: "Nachts um kurz vor zwölf?"
Anrufer: "Ey laber nicht rum, ist hier echt dringend. Is die Tine nun da oder nich?"
Ich: "Sie meinen die Tine Wittler, ich verstehe. Wie kommen Sie darauf, dass sie bei mir im Büro ist."
Anrufer: "Steht doch inne Internet, hier stehts doch. Da, ich sehs doch. Nun gib mal rüber, ey."
Ich: "Hier ist keine Tine Wittler. Und egal, wo sie auch ist, ich glaub nicht, dass sie so spät noch angerufen werden möchte."
Anrufer: "Ey, hat sie bestimmt voll Verständnis für. Kannst dir nicht vorstellen, Alter, sieht monströs schlimm hier aus. Muss sofort gemacht werden, verstehste? Sofort, Alter."
Ich: "Ich glaub nicht, dass die Tine Wittler da heute noch ausrückt."
Anrufer: "Ja und was dann? Wie solln wa dat denn alles wieder hinkriegn, bevor die Alten wieder da sind? Die Wittler muss ihren *** aus dem Bett schwingen, aber pronto. Sach ihr dat!"
Ich: "Hier ist keine Tine Wittler. Bitte rufen Sie doch mal bei RTL an."
Anrufer: "Beim Fernsehen? Geht doch keiner ran. Pennen doch alle schon."
Ich: "Das würden wir hier auch gerne machen. Probieren Sie es doch morgen früh bei RTL." Anrufer: KLICK

Gestern war es dann ganz schlimm mit dem Stress. Unser Ortsblatt "Falkensee aktuell" musste für den Druck vorbereitet werden, und es kam auf Sekunden an. Deswegen bat ich meine "Büromieze" Antonia, das Telefon zu hüten. Es dauerte nicht lang und ich bekam richtig etwas zu lachen.

Fall 3: Um die Mittagszeit

Das Telefon klingelt.
Antonia: "Pressebüro Typemania, hier ist Antonia Stahl, Hallo?"
(Pause. Ich kann ja nicht hören, was der Anrufer sagt.)
Antonia: "Da müssen Sie sich verwählt haben."
(Pause)
Antonia: "Die Tine Wittler gibt es bei uns nicht. Da müssen Sie bei RTL anrufen."
(Pause)
Antonia: "Nein, ich habe die private Telefonnummer von Frau Wittler nicht. Ich kenne sie ja nicht einmal. Und ich bin sicher, dass wir die auch gar nicht rausgeben dürften. Da müssen Sie schon den normalen Dienstweg gehen."
(Pause)
Antonia: "Das ist doch schön, dass Sie renovieren möchten. Aber wir können Ihnen dabei auch nicht helfen."
(Pause)
Antonia: "Sehen Sie, ich habe eben mal die Homepage von RTL aufgerufen. Da steht doch schon: Sorry, die Kandidatensuche ist abgeschlossen. Ich glaube, da sind Sie zu spät."
(Pause)
Antonia: "Ich? Nein, ich kann nicht renovieren. Glauben Sie mir, es ist besser, wenn ich in Ihrem Haus keinen Hammer in die Hand nehme."

Ich glaube, über Ostern fasse ich das Telefon besser nicht an.

Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania

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