Dass Videospiele mehr sein können als bloße Unterhaltung, nämlich auch ernstzunehmende Kunst, bewies der heute 46-jährige Japaner Fumito Ueda mit zwei Klassikern der Games-Geschichte. 2001 brachte er "Ico" für die Playstation 2 auf den Markt. Darin musste ein gehörnter Junge mit einem kleinen Mädchen durch eine mysteriöse Festung fliehen. Das war nicht sonderlich packend, seine Spannung zog das Spiel vielmehr durch seine geheimnisvolle, düstere Atmosphäre.
2007 legte Uedo mit "Shadow of the Colossus" nach. Es war das letzte große Spiel für die Playstation 2 und wurde mit Preisen überhäuft. Darin spielt man einen jungen Mann, der einsam durch die Lande zieht, um 16 riesige Kolosse zu bezwingen und so eine tote Frau wieder zum Leben zu erwecken. Mit jedem Giganten, der durch das eigene Schwert stirbt, ist man dem Ziel ein Stückchen näher - doch gleichzeitig fühlt man ein immer größer werdendes Schuldgefühl. Diese Melange aus Faszination und Mitgefühl vermochte kein Spiel danach mehr zu entfachen.
Am Mittwoch erscheint, nach fast einem Jahrzehnt Entwicklung, Uedas drittes Spiel. Es heißt "The Last Guardian" und kommt exklusiv für Sonys Playstation 4. Der stern hat das Spiel bereits getestet.
Die Bestie und der Junge
Die Geschichte von "The Last Guardian" ist schnell erzählt. Ein namenlose, kleiner Junge erwacht in einer Höhle, sein Körper ist übersät mit mysteriösen Tätowierungen - und vor ihm liegt ein riesiges, mythisches Wesen. Es hört auf den Namen Trico und ist halb Katze (Kopf und Körper), halb Vogel (Flügel und Federn). Die Kreatur ist verletzt, ein Speer steckt im hinteren Rücken.
Schon zu diesem Zeitpunkt sind die Rollen klar verteilt. Auf der einen Seite ist die Hauptfigur, schwach und verletzlich. Das Monster dagegen ist mehrere Meter groß und so stark, dass es Feinde in Sekunden platt macht. Das bekommt der Junge schon in der ersten Szene zu spüren: Als er den Speer aus der Wunde zieht, tritt Trico voller Schmerzen um sich und schleudert seinen Helfer so heftig gegen die Wand, dass dieser sofort bewusstlos wird. Doch es hat sich gelohnt, das Wesen vertraut nun dem Jungen und ist fortan sein Begleiter.
Das Ganze erinnert ein wenig an die Sage des Androklus, jenem Sklaven, der einem Löwen einen Dorn aus der Pranke zieht und zum Dank dafür von diesem verschont wird und am Ende seine Freiheit gewinnt. Darum geht es entfernt auch in "The Last Guardian", denn nur gemeinsam können der namenlose Junge und Trico aus den dunklen Ruinen, die ein wenig an "Ico" erinnern, entkommen. Beide haben spezielle Fähigkeiten: Der Junge ist klein genug, um sich durch schmale Felsspalten zu quetschen und kann mit Gegenständen interagieren. Trico wiederum ist in der Lage, auf entfernte Plattformen springen und dem Jungen als Leiter zu dienen.
Der Weg ist das Ziel
"The Last Guardian" ist ein Mix aus Puzzle- und Kletterspiel. Ein klares Ziel hat man selten vor Augen: Oft steht man auf einer Lichtung, in Katakomben oder einer großen Halle, und man hat keine Ahnung, wo genau es eigentlich lang geht. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die Augen offen zu halten und so lange herum zu probieren, bis man endlich den Ausgang findet. Denn Ueda hat sein Spiel wieder auf das Wesentliche reduziert, es gibt keine Karte, keinen Fortschrittsbalken.
Ein Fest für Tier-Freunde
Atmosphärische Welt, miese Kamera
Auch die Spielwelt punktet mit ihrem eigenen Charme. Zwar sieht man dem Spiel mit seiner manchmal etwas altbackenen Optik die lange Entwicklungszeit durchaus an. So kommt die Grafik nicht an Blockbuster wie "Uncharted 4" heran. Doch auf seine Art ist "The Last Guardian" sehr schön anzuschauen. Die Ruinen haben detailreiche Texturen und sehenswerte Lichteffekte. Allerdings gibt es gelegentlich Ruckler und Grafikprobleme - womöglich lag dies auch an der Vorabversion und Sony bessert per Update nach.
Ein Ärgernis ist leider die Kamera, die sich mitunter noch widerborstiger benimmt als der riesige Katzenvogelhund. Gelegentlich versperrt sie die Sicht auf die Dinge, sodass einem nichts anderes übrig bleibt, als im Blindflug loszuklettern. Manchmal richtet man sie vor schwierigen Kletterpassagen akkurat mit dem rechten Control-Stick aus, und trotzdem dreht sie sich anschließend aus unerfindlichen Gründen weg. Hier sollte Sony dringend per Update nachbessern.
Hervorzuheben ist der orchestrale Soundtrack, der in den richtigen Momenten für die nötige Portion Dramatik sorgt, sich aber ansonsten angenehm zurückhält.
Kein Spiel für jedermann, trotzdem ein Meisterwerk
"The Last Guardian" erscheint am 7. Dezember für Sonys Playstation 4 und kostet ab 60 Euro.